Der anwaltliche Beisitzer in der Anwaltsgerichtsbarkeit – und seine Befangenheit

Die Besorgnis der Befangenheit eines anwaltlichen Beisitzers (hier: im Anwaltssenat des Bundesgerichtshofs) ergibt sich nicht bereits aus dessen früherer Tätigkeit als Schatzmeister der beklagten Rechtsanwaltskammer.

Der anwaltliche Beisitzer in der Anwaltsgerichtsbarkeit – und seine Befangenheit

Nach der gemäß § 112e Satz 2 BRAO, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 1 VwGO entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen.

Dies ist dann der Fall, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßgeblich ist, ob aus der Sicht der ablehnenden Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln[1].

Gemäß § 41 Nr. 4 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen in Sachen, in denen er als Prozessbevollmächtigter oder Beistand einer Partei bestellt oder als gesetzlicher Vertreter einer Partei aufzutreten berechtigt ist oder gewesen ist.

Diese Voraussetzungen sind bei einem ehemaligen Schatzmeister der an dem Verfahren beteiligten Rechtsanwaltskammer bereits deshalb nicht erfüllt, weil dieser als Schatzmeister der Rechtsanwaltskammer nicht deren gesetzlicher Vertreter im Sinne dieser Vorschrift gewesen ist. Bei einer Körperschaft öffentlichen Rechts wie der beklagten Rechtsanwaltskammer (§ 62 Abs. 1 BRAO) bestimmt sich die gesetzliche Vertretung nach den jeweils maßgeblichen Organisationsnormen[2], hier mithin nach der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Nach § 80 Abs. 1 BRAO wird die Rechtsanwaltskammer durch ihren Präsidenten gerichtlich und außergerichtlich vertreten[3]. Aufgabe des Schatzmeisters hingegen ist gemäß § 83 BRAO die Verwaltung des Vermögens der Rechtsanwaltskammer – einschließlich der Überwachung des Eingangs der Kammerbeiträge – nach den Weisungen des Präsidiums[4]. Der Schatzmeister der Rechtsanwaltskammer ist auch nicht etwa deshalb als deren gesetzlicher Vertreter im Sinne des § 41 Nr. 4 ZPO anzusehen, weil das Gesetz ihm die Aufgabe der (eigenständigen) Beitreibung rückständiger Beiträge auf Grund einer von ihm selbst ausgestellten, mit der Bescheinigung der Vollstreckbarkeit versehenen Zahlungsaufforderung zuweist (§ 84 Abs. 1 BRAO).

Einem Ausschluss des Rechtsanwalts von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes steht zudem entgegen, dass das Tatbestandmerkmal der „Sache“ im Sinne des § 41 Nr. 4 ZPO zumindest eine Identität des Streitgegenstandes erfordert[5].

Daran fehlte es hier: Die von der Rechtsanwältin in ihrem Ablehnungsgesuch angeführten, viele Jahre zurückliegenden Vorgänge betreffen einen anderen Streitgegenstand als der im vorliegenden Verfahren zu beurteilende Widerruf der Rechtsanwaltszulassung der Rechtsanwältin wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO), der sich auf im Jahr 2014 erfolgte Eintragungen der Rechtsanwältin im Schuldnerverzeichnis und auf weitere in jüngerer Zeit erfolgte Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen die Rechtsanwältin stützt.

Die frühere Tätigkeit des abgelehnten Richters als Schatzmeister der Rechtsanwaltskammer vermag der Rechtsanwältin bei vernünftiger Würdigung aller Umstände auch keinen Anlass zu geben, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung dieses Richters zu zweifeln (§ 42 Abs. 1 Halbs. 2, Abs. 2 ZPO).

Eine Vorbefassung des abgelehnten Richters mit früheren Verfahren der Prozessparteien ist – von den in § 41 Nr. 4 bis 6 ZPO aufgeführten, hier nicht gegebenen, Ausnahmen abgesehen – als solche regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten[6]. Derartige Umstände zeigt die Rechtsanwältin weder auf noch sind diese sonst ersichtlich.

Diese ergeben sich im vorliegenden Fall insbesondere nicht daraus, dass die Vorbefassung des Rechtsanwalts nicht als – unparteiischer – Richter, sondern aufgrund einer dienstlichen Beziehung zur Rechtsanwaltskammer – als deren Schatzmeister und damit zugleich Mitglied des Präsidiums (§ 78 Abs. 2 BRAO) – erfolgt ist[7].

Denn dieser Umstand rechtfertigt hier bereits deshalb keine Besorgnis der Befangenheit, weil sich die Vorbefassung des abgelehnten Richters weder auf das anhängige Verfahren bezieht noch denselben Streitgegenstand wie dieses hat. Im vorliegenden Verfahren geht es nicht um eine Beurteilung der von der Rechtsanwältin in Zweifel gezogenen, viele Jahre zurückliegenden Beitragsrückstände, sondern allein darum, ob sich die Rechtsanwältin zum maßgeblichen (späteren) Zeitpunkt des Widerrufs ihrer Rechtsanwaltszulassung in Vermögensverfall befunden hat und insbesondere ob ihr eine Widerlegung der mit den Eintragungen im Schuldnerverzeichnis verbundenen gesetzlichen Vermutung des Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbs. 2 BRAO) gelungen ist.

Hinzu kommt, dass die im Ablehnungsgesuch angeführte Vorbefassung mehr als zehn Jahre zurückliegt und der Rechtsanwalt das Amt des Schatzmeisters der Rechtsanwaltskammer bereits seit Anfang des Jahres 2007, mithin seit fast zehn Jahren, nicht mehr ausübt[8].

Bei vernünftiger Würdigung ist daher aus Sicht der Rechtsanwältin kein Grund für eine Besorgnis ersichtlich, der Rechtsanwalt könnte den vorliegenden Fall als Richter des Bundesgerichtshofs nicht ausschließlich nach sachlichen Kriterien objektiv und unvoreingenommen beurteilen[9].

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 2. November 2016 – AnwZ (B) 2/16

  1. st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 07.03.2012 – AnwZ (B) 13/10 5; vom 10.06.2013 – AnwZ (Brfg) 24/12, NJW-RR 2013, 1211 Rn. 6; vom 30.12 2013 – AnwZ (Brfg) 60/13 4; BVerfG, NJW 2012, 3228; jeweils mwN[]
  2. MünchKomm-ZPO/Lindacher, 5. Aufl., § 52 Rn. 30; Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 51 Rn. 5; Musielak/Voit/Weth, ZPO, 13. Aufl., § 51 Rn. 7; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 37. Aufl., § 51 Rn. 7; jeweils mwN[]
  3. vgl. hierzu Weyland in Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Aufl., § 80 Rn. 1 f.; Hartung in Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl., § 80 Rn. 1; Lauda in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 80 BRAO Rn. 3[]
  4. vgl. hierzu Hartung in Henssler/Prütting, aaO, § 83 Rn. 1; Weyland in Feuerich/Weyland, aaO, § 83 Rn. 1 f.[]
  5. vgl. BAG, NJW 2013, 1180 Rn. 15; B ayVGH, Beschluss vom 22.07.2014 – 20 ZB 14.339 3; Münch-KommZPO/Stackmann, aaO, § 41 Rn.20; Musielak/Voit/Heinrich, aaO, § 41 Rn. 11; vgl. auch BSGE 78, 175, 179; 82, 150, 152; jeweils mwN[]
  6. st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 18.06.2008 – AnwZ (B) 4/07 7; vom 20.01.2014 – AnwZ (Brfg) 51/12 9; BGH, Beschlüsse vom 08.05.2014 – 1 StR 726/13, NJW 2014, 2372 Rn. 12; vom 18.12 2014 – IX ZB 65/13, NJW-RR 2015, 444 Rn. 12; vom 12.04.2016 – VI ZR 549/14 8; BAG, NJW 1993, 879, Münch-KommZPO/Stackmann, aaO, § 42 Rn.20 ff.; Zöller/Vollkommer, aaO, § 42 Rn. 15; jeweils mwN[]
  7. vgl. zur nicht richterlichen Vorbefassung: BGH, Beschlüsse vom 31.10.1966 – AnwZ (B) 3/66, NJW 1967, 155 unter 3; vom 25.02.1988 – III ZR 196/87, NJW-RR 1988, 766, 767; aA MünchKomm-ZPO/Stackmann, aaO, § 42 Rn. 23; Hüßtege in Thomas/Putzo, aaO, § 42 Rn. 10 [eine Besorgnis der Befangenheit bei einer solchen Vorbefassung im Regelfall bejahend]; wohl auch OLG Frankfurt am Main, OLGR Frankfurt 2008, 317[]
  8. vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 25.02.1988 – III ZR 196/87, aaO[]
  9. vgl. BGH, Beschluss vom 12.04.2016 – VI ZR 549/14, aaO[]