Die Verschwiegenheitspflicht des Notars gegenüber den gesetzlichen Erben

Im Rahmen des § 18 Abs. 2, 2. Halbs. BNotO hat die Aufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob der verstorbene Beteiligte, wenn er noch lebte, bei verständiger Würdigung der Sachlage die Befreiung erteilen würde oder ob unabhängig hiervon durch den Todesfall das Interesse an einer weiteren Geheimhaltung entfallen ist[1].

Die Verschwiegenheitspflicht des Notars gegenüber den gesetzlichen Erben

Dabei ist nur über die auf einen bestimmten tatsächlichen Vorgang bezogene Befreiung des Notars von der Verschwiegenheitspflicht zu entscheiden, aber nicht (auch nicht nur mittelbar) darüber, ob überhaupt und wie der bei einer stattgebenden Entscheidung von seiner Verschwiegenheitspflicht entbundene Notar dem Antragsteller die erstrebte Information zu verschaffen hat.

Mit dem Tod entfällt das Interesse des Erblassers an der Geheimhaltung seines letzten Willens den gesetzlichen Erben gegenüber insoweit, als der letzte Wille diese betrifft. Denn um die Verwirklichung des letzten Willens sicherzustellen, müssen insbesondere über die Erbeinsetzung der testamentarischen Erben und die damit verbundene Enterbung der gesetzlichen Erben auch letztere informiert werden.

Im Rahmen des § 18 Abs. 2, 2. Halbs. BNotO ist nur über die auf einen bestimmten tatsächlichen Vorgang bezogene Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht zu entscheiden, aber nicht (auch nicht nur mittelbar) darüber, ob überhaupt und wie der bei einer stattgebenden Entscheidung von seiner Verschwiegenheitspflicht entbundene Notar dem Sohn die erstrebte Information zu verschaffen hat[2]. Es kommt in einem Rechtsstreit mit der Aufsichtsbehörde über die Entbindung von der Schweigepflicht demnach auch nicht darauf an, ob der Antragsteller ein berechtigtes Interesse daran hat, (hier:) die Abschrift des notariellen Testaments einzusehen und mit dem Original-Testament abzugleichen.

Gemäß § 18 Abs. 2, 2. Halbs. BNotO kann, wenn ein Beteiligter verstorben ist, die Aufsichtsbehörde an dessen Stelle den Notar von seiner gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 BNotO bestehenden Pflicht zur Verschwiegenheit befreien. Dabei hat sie nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob der verstorbene Beteiligte, wenn er noch lebte, bei verständiger Würdigung der Sachlage die Befreiung erteilen würde oder ob unabhängig hiervon durch den Todesfall das Interesse an einer weiteren Geheimhaltung entfallen ist[3]. Demnach genügt es für die Erteilung der Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht, wenn durch den Todesfall das Interesse des oder der Beteiligten an einer weiteren Geheimhaltung entfallen ist. Die weitere in dem vorgenannten BGH, Beschluss (aaO) genannte Voraussetzung für die Erteilung der Befreiung (dass „der verstorbene Beteiligte, wenn er noch lebte, bei verständiger Würdigung der Sachlage die Befreiung erteilen würde“) ist, wie sich aus der Formulierung des Beschlusses „unabhängig hiervon“ ergibt, entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Köln[4] lediglich eine Alternative und muss daher nicht kumulativ zu der erstgenannten Voraussetzung hinzutreten.

Dies bedeutet nicht, dass zwangsläufig allein das Versterben eines Beteiligten dessen Geheimhaltungsinteresse entfallen lassen würde. Vielmehr bedarf es für die Entscheidung über die Befreiung des Notars von der Verschwiegenheitspflicht der Feststellung, wem gegenüber und hinsichtlich welcher Tatsachen das Geheimhaltungsinteresse des verstorbenen Beteiligten entfallen ist.

Mit seinem Tod ist das Interesse des Vaters des Sohnes an der Geheimhaltung seines letzten Willens diesem als gesetzlichen Erben gegenüber insoweit entfallen, als der letzte Wille ihn betrifft. Dasselbe gilt für das auf die letztwillige Verfügung ihres Ehemannes bezogene Geheimhaltungsinteresse der vorverstorbenen zweiten Ehefrau als weiterer Beteiligter. Dem steht nicht entgegen, dass der Sohn nicht testamentarisch eingesetzter Erbe, sondern enterbter gesetzlicher Erbe ist. Denn um die Verwirklichung des letzten Willens sicherzustellen, müssen insbesondere über die Erbeinsetzung der testamentarischen Erben und die damit verbundene Enterbung der gesetzlichen Erben auch letztere informiert werden. Dementsprechend hat das Nachlassgericht – wie vorliegend geschehen – den gesetzlichen Erben den (sie betreffenden) Inhalt der Verfügung von Todes wegen bekannt zu geben (§ 348 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 FamFG; siehe auch Keidel/Zimmermann, FamFG, 20. Aufl., § 357 Rn. 22).

Das Interesse der verstorbenen Beteiligten an der Geheimhaltung des den (hier: Sohn als) gesetzlichen Erben betreffenden Inhalts der Verfügung von Todes wegen ist nicht nur in Bezug auf das zum Nachlassgericht gegebene Original des Testaments weggefallen, sondern auch in Bezug auf die beim Notar verbliebene Abschrift. Aus Sicht der testierenden Ehegatten ist der Inhalt beider Dokumente (Original und Abschrift) notwendig identisch, so dass kein Grund ersichtlich ist, den Inhalt der Abschrift anders als den des Originals geheim zu halten. Für den hier vom Sohn in Betracht gezogenen, wenn auch höchst außergewöhnlichen Fall, dass das Original nach der Fertigung der Abschrift manipuliert worden sein und daher von der Abschrift abweichen könnte, gilt nichts anderes. Denn dann wäre der „wahre“ letzte Wille, den die Ehegatten bekannt gegeben und vollzogen haben möchten, aus der Abschrift ersichtlich.

Der Grund, aus dem der Sohn die Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht erreichen möchte – die Vermutung, dass eine Manipulation erfolgt sein könnte, ist für die Beurteilung des Geheimhaltungsinteresses der verstorbenen Ehegatten und die Ermessensausübung des Landgerichtspräsidenten unerheblich. Insbesondere verbietet sich die Annahme, dass die Ehegatten an der Geheimhaltung des den gesetzlichen Erben betreffenden Inhalts des Testaments nur dann kein Interesse mehr haben, wenn der gesetzliche Erbe aus nachvollziehbaren Motiven über den Inhalt des Testaments (bzw. der beim Notar verbliebenen Abschrift) informiert werden möchte. Es kommt damit nicht darauf an, ob der Sohn seinen Manipulationsverdacht überzeugend begründet hat.

Darauf, ob überhaupt und wie der Notar dem Sohn die von diesem erstrebte Information zu verschaffen hat und ob er dazu bereit ist, kommt es aus den genannten Gründen entgegen der im angefochtenen Urteil des Oberlandesgerichts Köln vertretenen Ansicht auch für die Begründetheit der Klage nicht an.

Da das Geheimhaltungsinteresse der Beteiligten gegenüber dem Sohn hinsichtlich des diesen betreffenden Inhalts des Testaments im Original und in der Abschrift entfallen ist, ist das Ermessen des Landgerichtspräsidenten bei seiner Entscheidung über die Befreiung des Notars von der Verschwiegenheitspflicht auf Null reduziert. Er ist verpflichtet, den Notar von der Verschwiegenheitspflicht hinsichtlich des Inhalts der den Sohn betreffenden letztwilligen Verfügung des Vaters des Sohnes, wie er sich aus der beim Notar befindlichen Abschrift des notariellen Testaments ergibt, zu befreien.

Hinsichtlich des Inhalts der letztwilligen Verfügung des Vaters, die den Sohn nicht betrifft, ist hingegen weder das Geheimhaltungsinteresse entfallen noch kann davon ausgegangen werden, dass der Vater, wenn er noch lebte, bei verständiger Würdigung der Sachlage die Befreiung insoweit erteilen würde. In diesem Umfang sind die Klage und die Berufung daher unbegründet[5].

Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. Juli 2020 – NotZ(Brfg) 1/19

  1. Fortführung von BGH, Beschluss vom 10.03.2003 – NotZ 23/02, DNotZ 2003, 780, 781[]
  2. vgl. BGH, Beschluss vom 10.03.2003 – NotZ 23/02, DNotZ 2003, 780, 782 24[]
  3. BGH, Beschluss vom 10.03.2003 – NotZ 23/02, DNotZ 2003, 780, 781 22[]
  4. OLG Köln, Urteil vom 26.11.2018 – 2 VA (Not) 8/18[]
  5. vgl. auch § 348 Abs. 3 Satz 1 FamFG, Keidel/Zimmermann aaO.[]

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