Nach § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO kann die Erlaubnis zum Führen einer Fachanwaltsbezeichnung widerrufen werden, wenn eine in der Berufsordnung vorgeschriebene Ausbildung unterlassen wird. § 15 FAO bestimmt hierzu, dass der Fachanwalt kalenderjährlich auf seinem Fachgebiet wissenschaftlich publizieren oder an anwaltlichen Fortbildungsveranstaltungen hörend oder dozierend teilnehmen muss, wobei die Gesamtdauer der Fortbildung 10 Stunden nicht unterschreiten darf und die Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung der Rechtsanwaltskammer unaufgefordert nachzuweisen ist.

Mit der Verleihung und Führung der Fachanwaltsbezeichnung nimmt der Rechtsanwalt gegenüber dem rechtsuchenden Publikum eine im Vergleich zu anderen Anwälten besondere Qualifikation auf diesem Gebiet in Anspruch. Es entspricht der verständigen Erwartung der Rechtsuchenden und damit vernünftigen Gründen des Gemeinwohls, dass er seine spezifischen Kenntnisse jeweils auf dem neuesten Stand hält. Lediglich durch ständige fortlaufende Fortbildungen kann auch gewährleistet werden, dass Änderungen der Gesetzeslage und Rechtsprechung sowie neuere Literatur Einzug in die Beratung der Fachanwälte finden. Die Fortbildungspflicht dient insoweit der Sicherung eines einheitlichen Qualitätsstandards[1]. Vor diesem Hintergrund bestehen gegen das Regelungsgefüge aus § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO, § 15 FAO auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken[2].
Die Fortbildungspflicht ist in jedem Kalenderjahr aufs Neue zu erfüllen. Ob ein Fachanwalt Fortbildungsveranstaltungen im Umfang von mindestens zehn Zeitstunden besucht hat, steht erst nach Ablauf des jeweiligen Jahres fest, ändert sich dann aber auch nicht mehr. Ist ein Jahr verstrichen, kann er sich in diesem Jahr nicht mehr fortbilden. Hinsichtlich der Voraussetzungen des § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO kommt es also weder auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Verwaltungsverfahrens noch auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im gerichtlichen Verfahren, sondern auf den Ablauf des jeweiligen Jahres an. Mit dessen Ablauf steht die Verletzung der Fortbildungspflicht, die Tatbestandsvoraussetzung für die Befugnis der Rechtsanwaltskammer zum Widerruf ist, unumkehrbar fest[3]. Eine die Verletzung der Fortbildungspflicht rückwirkend heilende „Nachholung“ der Fortbildung im Folgejahr kommt deshalb nicht in Betracht.
Eine einmalige Verletzung der Fortbildungspflicht führt allerdings nicht zwingend zum Widerruf. Zwar ist die Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer möglicherweise davon ausgegangen, dass bereits in diesem Fall ein Widerruf zu erfolgen hat ; denn ein Antrag, den Widerruf erst vorzusehen, wenn die Fortbildungspflicht in zwei aufeinander folgenden Jahren nicht erfüllt wird, wurde einstimmig abgelehnt[4]. Gegenteiliges folgt aber aus dem Wortlaut des § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO („kann“) und daraus, dass ein Verständnis der Regelung in § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO, § 15 FAO als „Muss-Regelung“ mit Art. 12 Abs. 1 GG und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unvereinbar wäre. Vielmehr entscheidet der Vorstand der Rechtsanwaltskammer nach pflichtgemäßem Ermessen über den Widerruf[5]. Hierbei sind alle Umstände des Einzelfalls – so z.B. eine aufgrund Erkrankung unverschuldete Versäumung der Fortbildung[6] – zu berücksichtigen. Insoweit liegt es durchaus auch im Rahmen der pflichtgemäßen Entscheidung der Kammer, wenn sie – wie hier anfangs die Rechtsanwaltskammer – bei der erstmaligen Verletzung der Fortbildungspflicht vom Widerruf zunächst absieht und dem Anwalt – hier allerdings erfolglos – die Möglichkeit gibt, durch verstärkte Fortbildung im laufenden Jahr eine Sanktionierung der einmaligen Pflichtverletzung im zurückliegenden Jahr zu vermeiden[7]. Zwar kann dadurch die Fortbildungspflicht nicht mehr rückwirkend erfüllt werden. Angesichts des engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen der im Vorjahr unterbliebenen und der im nachfolgenden Jahr zusätzlichen Fortbildung kann ein Absehen vom Widerruf trotz des Hintergrundes der Zielrichtung der Fortbildung aber letztlich nicht als ermessensfehlerhaft angesehen werden.
In diesen Zusammenhang gehört auch die in der Literatur diskutierte Frage nach dem Verhältnis von § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO zum Rügerecht des Kammervorstands nach § 74 BRAO. Vielfach[8] wird die Auffassung vertreten, § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO sei lex spezialis, sodass eine Verletzung der Fortbildungspflicht nicht mit einer Rüge geahndet werden könne. Teilweise wird dies demgegenüber für möglich erachtet[9], teilweise – hierauf aufbauend und weitergehend – die Meinung vertreten, im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei die Kammer gehalten, bei einer einmaligen Verletzung der Fortbildungspflicht zunächst zur Rüge statt zum Widerruf zu greifen[10].
Diese Diskussion ist im vorliegenden Fall jedoch nicht entscheidungserheblich. Das wäre sie lediglich dann, wenn der Bundesgerichtshof – für den Fall, dass er bei Verletzung der Fortbildungspflicht eine Rüge für grundsätzlich möglich hielte – im konkreten Fall den Widerruf ohne vorangegangene Rüge als unverhältnismäßig beurteilen würde. Hiervon kann aber keine Rede sein. Denn der Rechtsanwalt hat im vorliegenden Fall nicht einmal, sondern in drei aufeinander folgenden Kalenderjahren (20102012) – entgegen seiner in 2011 der Rechtsanwaltskammer gegebenen Zusage und trotz Androhung des Widerrufs in 2012 – seine Fortbildungspflicht nicht erfüllt. Da mit Ablauf des jeweiligen Jahres die Verletzung der Fortbildungspflicht feststand, konnte sich hieran bis zum Zeitpunkt des Widerrufs am 14.02.2013 nichts ändern. Durch den Besuch einer Fortbildungsveranstaltung Anfang Februar 2013 hat der Rechtsanwalt seine Fortbildungspflicht nicht mehr (teilweise) für die Vergangenheit, sondern nur für 2013 erfüllt.
Die Rechtsanwaltskammer war vor diesem Hintergrund auch nicht verpflichtet, vor dem Widerruf den vom Rechtsanwalt angekündigten weiteren Besuch von Fortbildungsveranstaltungen abzuwarten. Abgesehen davon, dass hierdurch die bereits vorliegenden Pflichtverletzungen nicht hätten beseitigt werden können und auch das Ziel des § 15 FAO, durch laufende jährliche Weiterbildung eine durchgängige Qualitätssicherung zu gewährleisten, nicht mehr zu erreichen war, hat die Rechtsanwaltskammer dem Rechtsanwalt bereits zuvor ausreichend – aber ohne Erfolg – Gelegenheit gegeben, einen Widerruf abzuwenden.
Frist für den Widerruf
Nach § 25 Abs. 2 FAO sind die Rücknahme und der Widerruf nur innerhalb eines Jahres seit Kenntnis des Vorstands der Rechtsanwaltskammer von den sie rechtfertigenden Tatsachen zulässig. Die Vorschrift des § 25 Abs. 2 FAO ist den in § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG (auch i.V.m. § 49 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 VwVfG) enthaltenen Regelungen zur Rücknahme und zum Widerruf von Verwaltungsakten entlehnt. Hier wie dort handelt es sich bei der Jahresfrist um eine Entscheidungsfrist. Sie beginnt erst zu laufen, wenn der Behörde sämtliche – auch für die Ermessensausübung – relevanten Tatsachen bekannt sind, mithin Entscheidungsreife eingetreten ist. Auch eine notwendige Anhörung zum Widerruf muss grundsätzlich bereits erfolgt sein[11]. Räumt die Kammer einem Fachanwalt bei einmaliger Versäumung der Fortbildung die Möglichkeit ein, im Folgejahr zur Vermeidung eines Widerrufs sich verstärkt fortzubilden, kann auch dies den Fristbeginn hinausschieben[12]. Insoweit läuft die Frist des § 25 Abs. 2 FAO nicht bereits mit fruchtlosem Fristablauf der ersten Erinnerung zur Vorlage des Fortbildungsnachweises. Eine Verfristung ist im vorliegenden Fall auch nicht eingetreten.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 5. Mai 2014 – AnwZ (Brfg) 76/13
- vgl. nur BGH, Beschluss vom 02.04.2001 – AnwZ (B) 37/00, NJW 2001, 1945, 1946[↩]
- siehe bereits BGH, Beschluss vom 06.11.2000 – AnwZ (B) 78/99, NJW 2001, 1571, 1572 ; BVerfG, MDR 2002, 299 mit Vorinstanz AGH Bayern, NJW 2002, 2041[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 08.04.2013 – AnwZ (Brfg) 16/12, NJW 2013, 2364 Rn. 10[↩]
- vgl. die Nachweise bei Scharmer in Hartung, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 5. Aufl., § 25 FAO Rn. 1[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 02.04.2001, aaO S.1945 ; siehe auch Beschluss vom 06.11.2000, aaO S. 1572 und Urteile vom 26.11.2012 – AnwZ (Brfg) 56/11, NJW 2013, 175 Rn. 12 ; und vom 08.04.2013, aaO Rn. 10[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 02.04.2001, aaO[↩]
- vgl. auch BGH, Urteile vom 26.11.2012, aaO Rn. 9 ; und vom 08.04.2013, aaO[↩]
- vgl. etwa Kleine-Cosack, BRAO, 6. Aufl., § 25 FAO Rn. 3 ; Jährig, Fachanwaltschaften – Entstehung, Entwicklung und aktuelle Fragen, S. 140 f.; Offermann-Burckart, Fachanwalt werden und bleiben, 3. Aufl., S. 308 Rn. 1385 ; dieselbe auch in Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl., § 15 FAO Rn. 43[↩]
- vgl. Vossebürger in Feuerich/Weyland, BRAO, 8. Aufl., § 15 FAO Rn. 7[↩]
- vgl. Scharmer, aaO § 15 Rn. 72, § 25 FAO Rn. 11 ff.[↩]
- vgl. nur BGH, Urteile vom 26.11.2012, aaO Rn. 8 m.w.N.; und vom 08.04.2013, aaO Rn. 11[↩]
- vgl. BGH, aaO Rn. 9 bzw. aaO Rn. 11[↩]