Die Außensozietät als Zusammenarbeitsform zweier Rechtsanwaltssozietäten

Die Verwendung der Bezeichnung Sozietät durch einen Zusammenschluss von Rechtsanwälten, die keine Sozietät in der Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts bilden, ist keine unzulässige Irreführung der Rechtsuchenden im Sinne des § 43b BRAO, wenn die Beauftragung der zusammengeschlossenen Rechtsanwälte dem Rechtsverkehr im Wesentlichen die gleichen Vorteile bietet wie die Mandatierung einer Anwaltssozietät.

Die Außensozietät als Zusammenarbeitsform zweier Rechtsanwaltssozietäten

Mit dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof seine berufsrechtliche Rechtsprechung aus dem Jahr 1990[1] vor dem Hintergrund der zwischenzeitlichen Reformen des anwaltlichen Berufsrechts geändert: Die § 43b BRAO konkretisierende Bestimmung des § 8 BORA a.F. erfasst als Zusammenarbeit „in sonstiger Weise“ nicht nur die im Klammerzusatz genannten klassischen Fallgestaltungen einer Außen(=Schein-)Sozietät (Anstellungsverhältnis, freie Mitarbeit), sondern auch solche Formen der Zusammenarbeit, in denen sich selbständige Rechtsanwälte oder rechtsfähige Sozietäten als Mitglieder einer Außen(=Schein-)Sozietät gerieren.

Die Generalklausel des § 43 BRAO legt einem Rechtsanwalt die Verpflichtung auf, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und sich innerhalb und außerhalb des Berufs der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung eines Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen. § 43b BRAO setzt der Werbetätigkeit eines Rechtsanwalts gewisse Schranken. Werbung ist ihm nur erlaubt, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist. Diese Berufspflichten werden durch §§ 8, 9 BORA (i.V.m. § 59b Abs. 2 Nr. 3 BRAO) näher konkretisiert. Die Regelungen in §§ 8, 9 BORA sind mit Wirkung zum 1.03.2011 neu gefasst und dabei etwas gelockert worden. Vorliegend kann offen bleiben, ob für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit des belehrenden Hinweises die zum Zeitpunkt der Hinweiserteilung geltende oder die aktuelle Fassung der §§ 8, 9 BORA (jeweils i.V.m. § 43b BRAO) maßgebend ist. Denn die Außendarstellung der Kläger wird auch den strengeren Vorgaben der §§ 8, 9 BORA a.F. gerecht.

Gemäß § 8 Satz 1 BORA a.F. darf auf eine berufliche Zusammenarbeit nur hingewiesen werden, wenn sie in einer Sozietät, in sonstiger Weise (Anstellungsverhältnis, freie Mitarbeit) mit sozietätsfähigen Personen im Sinne des § 59a BRAO oder in einer auf Dauer angelegten und durch tatsächliche Ausübung verfestigten Kooperation erfolgt. § 9 Satz 1 BORA a.F. bestimmt, dass bei gemeinschaftlicher Berufsausübung, soweit sie in einer Sozietät, Partnerschaftsgesellschaft oder in sonstiger Weise (Anstellungsverhältnis, freie Mitarbeit) mit sozietätsfähigen Personen im Sinne von § 59a Bundesrechtsanwaltsordnung erfolgt, eine Kurzbezeichnung geführt werden darf. Nach § 9 Satz 2 BORA a.F. muss eine solche Kurzbezeichnung bei der Unterhaltung mehrerer Kanzleien einheitlich geführt werden.

Die Auslegung dieser Vorschriften hat sich an dem die anwaltliche Berufsausübung prägenden Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) auszurichten[2]. Der Internetauftritt der beiden örtlichen Sozietäten und auch die Gestaltung und Verwendung ihres gemeinsamen Briefkopfes stellen ein werbendes Verhalten dar, das darauf abzielt, den Verkehr für die Inanspruchnahme von Leistungen der Kläger zu gewinnen[3]. Dieses ist Bestandteil der von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsausübungsfreiheit[4]. Dieser Umstand ist bei der Anwendung und Auslegung der die anwaltlichen Werbemaßnahmen einschränkenden Bestimmungen der § 43b, § 59b Abs. 2 Nr. 3 BRAO in Verbindung mit §§ 8 ff. BORA mit der Maßgabe zu berücksichtigen, dass in jedem Einzelfall nicht die Gestattung der Anwaltswerbung, sondern deren Einschränkung einer besonderen Rechtfertigung bedarf[5].

Hinreichende Gründe des Gemeinwohls, die ein Verbot rechtfertigen könnten, das rechtsuchende Publikum auf die von den Klägern gewählte Form der beruflichen Zusammenarbeit hinzuweisen („Zusammenschluss der Sozietäten“ [auf dem Briefbogen]; „Sozietät St. • S. “ [im Internetauftritt]) oder ihm gegenüber die Kurzbezeichnung „St. • S. “ zu verwenden[6], sind nicht zu erkennen.

Der Anwaltsgerichtshof Hamm[7] hält die Kundgabe des Zusammenschlusses der beiden örtlichen Sozietäten und die Verwendung einer entsprechenden Kurzbezeichnung nur dann zulässig, wenn die beiden Sozietäten nicht nur im Außenverhältnis als Sozien auftreten, sondern durch Gesellschaftsvertrag zu einer in Form einer Außengesellschaft bürgerlichen Rechts geführten überörtlichen Sozietät verbunden sind. Die rechtswirksame Gründung einer aus mehreren örtlichen Sozietäten gebildeten doppelstöckigen Gesellschaft des bürgerlichen Rechts macht er davon abhängig, dass die örtlichen Sozietäten ihre unternehmerische Selbständigkeit aufgeben, ihren Gesellschaftszweck auf die Führung und Verwaltung der örtlichen Kanzlei beschränken und sich nur noch als bloße Organisationseinheit in Form einer Innengesellschaft betätigen. Hierbei hat der Anwaltsgerichtshof die an eine überörtliche Sozietät zu stellenden Anforderungen am Bild einer klassischen, von den gesetzlichen Vorschriften der §§ 706 ff. BGB geprägten Anwaltssozietät ausgerichtet.

Mit diesen Erwägungen ist der Anwaltsgerichtshof zwar im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass die Kundgabe einer rechtlich erlaubten Form der Berufsausübung grundsätzlich durch das anwaltliche Werberecht gedeckt ist, das dem Rechtsanwalt Raum für sachgerechte, nicht irreführende Informationen im rechtlichen und geschäftlichen Verkehr lässt[8]. Er hat jedoch zu strenge Anforderungen an die Zulässigkeit einer gemeinsamen beruflichen Zusammenarbeit (§ 59a BRAO) und deren Darstellung nach außen gestellt (§ 43b BRAO, §§ 8, 9 BORA a.F.). Denn er hat zum einen nicht bedacht, dass die §§ 706 ff. BGB weitgehend abdingbar sind und es daher vielfältige Erscheinungsformen zulässiger Gestaltungen einer als (Außen-)Gesellschaft des bürgerlichen Rechts geführten Anwaltssozietät gibt[9]. Zum anderen hat er unberücksichtigt gelassen, dass sich auch außerhalb des Gesellschaftsrechts institutionalisierte Zusammenschlüsse von Rechtsanwälten entwickelt haben. So hat sich neben der Sozietät im eigentlichen Sinne zwischenzeitlich auch die vertraglich vereinbarte Außen- oder Scheinsozietät etabliert, bei der sich die beteiligten Anwälte darüber einigen, im Außenverhältnis als Scheinsozien aufzutreten und sich im Hinblick auf ihre persönliche Haftung so behandeln zu lassen, als ob sie Mitglieder einer vollwertigen Sozietät wären[10].

Durch den im Streitfall zwischen den örtlichen Sozietäten abgeschlossenen Vertrag ist entweder eine Außengesellschaft des bürgerlichen Rechts mit atypisch gestalteter Binnenstruktur oder eine reine Außen(=Schein)Sozietät begründet worden. Andere Möglichkeiten kommen dagegen nicht in Betracht.

Die Zusammenarbeit der beiden Sozietäten beschränkt sich nicht auf ein Tätigwerden im Rahmen einer reinen Innengesellschaft. Zwar könnte der vertraglich vereinbarte Ausschluss von Gesamthandsvermögen für die Gründung einer bloßen Innengesellschaft sprechen. Eine solche scheidet jedoch im Hinblick darauf aus, dass ein gemeinsames Auftreten der örtlichen Sozietäten im Außenverhältnis gewollt ist[11].

Entgegen dem vom Anwaltsgerichtshof eingenommenen Rechtsstandpunkt haben sich die beiden Sozietäten auch nicht nur zu einer bloßen Kooperation zusammengefunden. Bei einer Kooperation werden Mandate nicht gemeinschaftlich, sondern von jedem im Rahmen der Kooperation tätigen Rechtsanwalt gesondert angenommen, mit der Folge, dass dieser den Mandanten allein für die fehlerhafte Bearbeitung der übertragenen Rechtsangelegenheit haftet[12]. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben. Die örtlichen Sozietäten treten im Außenverhältnis auch Mandanten gegenüber stets gemeinsam auf. Für anwaltliche Pflichtverletzungen bei der Bearbeitung der Mandate haften die Mitglieder beider Sozietäten damit im Außenverhältnis gesamtschuldnerisch (entweder entsprechend § 128 Abs. 1 HGB oder nach den Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung[13]); lediglich für das Innenverhältnis besteht eine abweichende Haftungsabsprache.

Der danach allein möglichen rechtlichen Einordnung als atypisch ausgestaltete Außengesellschaft (Sozietät) oder als Außen(=Schein)Sozietät steht nicht entgegen, dass es vorliegend nicht nur um die Verbindung von Anwälten zu einer örtlichen Sozietät, sondern um den Zusammenschluss mehrerer, jeweils als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts betriebener örtlicher Sozietäten zu einem übergeordneten Verbund unter Fortbestand der bereits bestehenden Sozietäten geht. Da die betroffenen örtlichen Sozietäten als Außengesellschaften des bürgerlichen Rechts rechtsfähig sind[14], können sie ihrerseits Gesellschafter einer anderen Gesellschaft des bürgerlichen Rechts werden[15], wobei sie gesellschaftsvertraglich vereinbaren können, dass die übergeordnete Sozietät eine von dem Leitbild der §§ 706 ff. BGB abweichende Struktur aufweist und daher den Bestand der örtlichen Sozietäten als eigenständige unternehmerische Einheiten unangetastet lässt. Sie können aber ihren Zusammenschluss auch darauf beschränken, im Außenverhältnis als bloße Scheinsozien in Erscheinung zu treten[16].

Welche der beiden beschriebenen Erscheinungsformen die vertragsschließenden örtlichen Sozietäten gewählt haben, hängt davon ab, ob ihnen (und damit auch den in ihnen zusammengeschlossenen Rechtsanwälten) gesellschaftsvertraglich die Rechtsmacht eingeräumt worden ist, gemäß § 164 BGB die Gesellschaft nach außen zu verpflichten und zu berechtigen[17] und damit den Mandanten gegenüber eine Haftung der Gesellschaft selbst zu begründen, für die akzessorisch die beiden örtlichen Sozietäten (und damit alle Kläger) entsprechend § 128 Satz 1 HGB einzustehen hätten[18]. Ob dies der Fall ist, kann letztlich offenbleiben. Denn selbst wenn sich die Zusammenarbeit der örtlichen Sozietäten auf ein gemeinsames berufliches Auftreten als Außen(=Schein)Sozietät was im Folgenden unterstellt wird beschränken sollte, machte dies die Berufsausübung der örtlichen Sozietäten und die von ihnen gewählte Außendarstellung nicht unzulässig.

Dies gilt zunächst für die Gestaltung des Briefkopfes, der den Hinweis „Zusammenschluss der Sozietäten (…)“ trägt.

Auch wenn sich die gemeinsame Tätigkeit der örtlichen Sozietäten in der Bildung einer Außen(=Schein)Sozietät erschöpfen sollte, wäre die auf dem Briefkopf verwendete Bezeichnung „Zusammenschluss“ nicht irreführend im Sinne von § 43b BRAO. Denn die gewählte Bezeichnung ist weder nach dem allgemeinen Sprachgebrauch noch aus rechtlicher Sicht mit einer (als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts geführten) Sozietät gleichzusetzen. Es handelt sich hierbei nicht um einen Rechtsbegriff, sondern um eine nach allgemeinem Sprachverständnis weit zu verstehende Bezeichnung, die im vorliegenden Kontext nur zum Ausdruck bringt, dass sich bestimmte örtliche Sozietäten zu einer gemeinschaftlichen Tätigkeit verbunden haben, jedoch keine Aussagen über die rechtliche Qualität einer solchen Verbindung trifft. Demensprechend wird dieser Begriff auch im Zusammenhang mit der Beschreibung einer bloßen Außen(=Schein)Sozietät verwendet. Diese wird bezeichnet als ein Zusammenschluss mehrerer Rechtsanwälte, die nach außen gemeinsam in Erscheinung treten, ohne dass ein Gesellschaftsvertrag besteht oder ohne dass in einen bestehenden Gesellschaftsvertrag sämtliche nach außen in Erscheinung tretenden Rechtsanwälte einbezogen sind[19].

Der § 43b BRAO konkretisierende § 8 Satz 1 BORA a.F. verbietet es ebenfalls nicht, den allgemein gehaltenen Begriff „Zusammenschluss“ auch in den Fällen zu benutzen, in denen keine Anwaltssozietät besteht. Ein Hinweis auf eine berufliche Zusammenarbeit ist nämlich auch dann erlaubt, wenn sie nicht in einer Sozietät, sondern auf „sonstige Weise (Anstellungsverhältnis, freie Mitarbeit) mit sozietätsfähigen Personen im Sinne von § 59a BRAO (…) erfolgt“. Der Begriff „in sonstiger Weise“ wird durch den Klammerzusatz „Angestelltenverhältnis, freie Mitarbeit“ nicht auf die dort aufgeführten Tatbestände verengt[20]; dieser Zusatz ist vielmehr nur als Aufzählung von Regelbeispielen zu verstehen. Er erklärt sich dadurch, dass bei den Beratungen der Satzungsversammlung die in der damaligen Zeit am häufigsten verbreitete Form einer Außen(=Schein)Sozietät zwischen Kanzleiinhaber(n) und den bei ihm/ihnen angestellten oder als freie Mitarbeiter beschäftigen Rechtsanwälten im Vordergrund stand[21]. Die Satzungsversammlung hat sich bei § 8 BORA a.F. aber nicht auf die Aufzählung der im Klammerzusatz genannten Fallgestaltungen beschränkt, sondern stattdessen den weit gefassten Oberbegriff „in sonstiger Weise“ gewählt und damit zum Ausdruck gebracht, dass es auch außerhalb der im Klammerzusatz genannten Fälle Formen der beruflichen Zusammenarbeit „in sonstiger Weise“ gibt, deren Kundgabe zulässig ist. Dass zwischen selbständigen Rechtsanwälten[22] oder rechtsfähigen örtlichen Sozietäten bestehende Außen(=Schein)Sozietäten von der Berufsordnung in werberechtlicher Hinsicht schlechter gestellt werden sollten als freie Mitarbeiter und Angestellte, ist nicht zu erkennen. Für eine solche Ungleichbehandlung gäbe es auch keinen sachlichen Grund.

Auch der gemeinsame Internetauftritt der beiden örtlichen Sozietäten (und damit der Kläger) begegnet gemessen an § 43b BRAO, § 8 BORA a.F. – keinen rechtlichen Bedenken. Dort ist zwar über die in den Briefköpfen verwendete Bezeichnung hinausgehend von einer aus dem Zusammenschluss zweier Wirtschaftskanzleien entstandenen „(Anwalts)Sozietät“ mit über 50 Anwälten die Rede. Die darin enthaltenen Aussagen sind aber auch dann nicht irreführend und unzulässig, wenn es sich wie hier unterstellt bei dem Zusammenschluss der örtlichen Sozietäten nur um eine Außen(=Schein)Sozietät und nicht um eine echte Sozietät handelt.

Eine unzulässige Irreführung der Rechtsuchenden im Sinne des § 43b BRAO liegt regelmäßig nicht vor, wenn zwar in Wahrheit keine Sozietät in der Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts besteht, die Beauftragung von zusammengeschlossenen Rechtsanwälten dem Rechtsverkehr aber im Wesentlichen die gleichen Vorteile bietet wie die Mandatierung einer Anwaltssozietät.

Der Bundesgerichtshof hat allerdings Anfang/Mitte der 1990er Jahre entschieden, dass sich ein Rechtsanwalt wettbewerbswidrig verhält, der nach außen wahrheitswidrig den Anschein erweckt, sich mit einem anderen Rechtsanwalt in einer Sozietät zusammengeschlossen zu haben, obwohl nur eine Außen(=Schein)Sozietät vorliegt[23]. Ausschlaggebend für die genannte Rechtsprechung war einerseits die Annahme, mit einem gemeinsamen Außenauftritt der Rechtsanwälte verbinde ein Rechtsuchender die Erwartung, gleichzeitig alle Sozien zu beauftragen und deren Solidarhaftung herbeizuführen[24], und andererseits die Annahme, der Rechtsverkehr erwarte in diesen Fällen eine kollegiale Zusammenarbeit aller gleichrangig aufgeführten Rechtsanwälte auf gleicher Ebene[25].

Diese Sichtweise ist jedoch überholt. Der gesetzlich nicht definierte und seit der – zum 18.12.2007 wirksam gewordenen – Änderung der grundlegenden Norm über die Zulässigkeit beruflicher Zusammenarbeit (= § 59a BRAO) dort nicht mehr verwendete Begriff der „Sozietät“ hat seit einiger Zeit an Konturen verloren. Während ein Teil des Schrifttums die Sozietät nach wie vor als Synonym für eine Außengesellschaft des bürgerlichen Rechts ansieht, verstehen andere Stimmen unter dem Begriff „Sozietät“ jegliche Form gemeinsamer anwaltlicher Berufsausübung[26].

Es braucht vorliegend nicht abschließend geklärt zu werden, welche rechtlichen Strukturen der Rechtsverkehr heutzutage mit dem Begriff „Sozietät“ verbindet. Denn jedenfalls in den Fällen, in denen wie hier unterstellt ein gemeinsames berufliches Auftreten der „Scheinsozien“ durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen gewährleistet ist (gemeinsame Annahme von Mandaten; Verweisung der Mandanten an den für das jeweilige Fachgebiet zuständigen Spezialisten; gesamtschuldnerische Haftung der „Scheinsozien“), ist eine rechtlich bedeutsame Irreführung der Rechtsuchenden durch den von ihnen erweckten Anschein einer Sozietät auszuschließen.

Der Rechtsuchende, der eine Sozietät beauftragt, will sich in der Regel die Vorteile zunutze machen, die ihm aus einer gemeinschaftlichen Berufsausübung verschiedener Anwälte erwachsen. Solche Vorteile sind vor allem Spezialisierung, gegenseitige Vertretung sowie interne Beratung und Abstimmung unter den verbundenen Rechtsanwälten[27]. Diese Anforderungen sind im Streitfall nach den – von keiner Seite angegriffenen – Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs gewahrt. Der Mandantschaft steht nicht nur die Expertise derjenigen Anwälte zur Verfügung, die in der kontaktierten örtlichen Sozietät zusammengeschlossen sind. Vielmehr werden sie jeweils an den zuständigen Fachspezialisten verwiesen; gehört dieser der Partnersozietät an, wird das Mandat an diese weitergegeben. Die von den Mandaten erteilten Vertretungs- und Prozessvollmachten erstrecken sich auf sämtliche Rechtsanwälte. Diese tauschen sich unstreitig in grundsätzlichen Fragen und bei der Bearbeitung problematischer Einzelmandate aus. Damit bietet der Zusammenschluss der beiden örtlichen Sozietäten den Rechtsuchenden eine der Arbeitsweise in einer Sozietät vergleichbare Bearbeitung, so dass eine Irreführung des Rechtsverkehrs insoweit auszuschließen ist.

Auch hinsichtlich der Solidarhaftung der nach außen als Scheinsozien in Erscheinung tretenden Rechtsanwälte besteht zu der Haftung von Mitgliedern einer tatsächlich existierenden Sozietät kein entscheidender Unterschied. Beim Fehlen einer gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit verpflichtet das gemeinschaftliche Auftreten nach außen alle Rechtsanwälte nach Rechtsscheingrundsätzen zu einer gesamtschuldnerischen Haftung gegenüber dem Mandanten[28]. Diese haftungsrechtliche Gleichstellung mit Mitgliedern einer tatsächlich bestehenden Sozietät schützt den Mandanten, der in der Regel nicht ohne weiteres erkennen kann, ob ein Anwalt die Stellung eines Sozius oder Scheinsozius innehat[29]. Was die Solidarhaftung der beruflich gemeinsam auftretenden Rechtsanwälte angeht, ist es für die Mandanten damit ohne Belang, ob der Außenauftritt von Rechtsanwälten der Binnenstruktur ihres Zusammenschlusses entspricht[30].

Eine andere Beurteilung ist auch nicht deswegen angezeigt, weil der Rechtsverkehr anders als bei der in Form einer rechtsfähigen Außengesellschaft des bürgerlichen Rechts geführten Sozietät die Scheinsozietät nicht neben den Scheinsozien als eigenständiges Haftungssubjekt in Anspruch nehmen kann[31]. Es mag zwar sein, dass dem Mandanten in diesen Fällen Kostennachteile entstehen können, etwa weil er neben den gesamtschuldnerisch haftenden Scheinsozien auch eine rechtliche nicht existente „Scheingesellschaft des bürgerlichen Rechts“ gerichtlich in Anspruch nimmt. Diesem Umstand kommt jedoch kein entscheidendes Gewicht zu. Denn der Rechtsverkehr wäre, sofern die gemeinsam tätigen Anwälte den Rechtsschein erweckten, sie seien zu einer – tatsächlich nicht bestehenden – Außengesellschaft des bürgerlichen Rechts verbunden, nicht rechtlos gestellt, weil die Scheinsozien in diesem Fall auch für hierdurch entstehende Kostennachteile gesamtschuldnerisch hafteten.

Schließlich weckt der Werbeauftritt der örtlichen Sozietäten im Internet beim rechtsuchenden Publikum auch insoweit keine nach § 43b BRAO unzulässigen Fehlvorstellungen, als er die besonderen Vorzüge der gemeinsamen Berufsausübung anpreist („eine der größten Anwaltskanzleien in Westfalen“; „Sozietät besteht aus über 50 Rechtsanwälten“; „Durch den Zusammenschluss sind wir zu einem der bedeutendsten regionalen Anbieter anwaltlicher Beratung gewachsen, indem wir die Stärken zweier namhafter westfälischer Kanzleien zum Nutzen unserer Mandanten gebündelt haben.“). Die Rechtsanwaltskammer Hamm sieht hierin eine Irreführung der Rechtsuchenden über das Vorhandensein besonderer personeller Ressourcen, besonderer Marktpräsenz und besonderer Arbeits- und Schlagkraft. Dem folgt der Bundesgerichtshof nicht.

Durch den Zusammenschluss der beiden örtlichen Sozietäten hat sich nicht nur der Pool der zur Verfügung stehenden Anwälte, sondern auch der Kreis der Fachanwälte und sonstigen Spezialisten deutlich erhöht. Mandanten werden unstreitig an den für das jeweilige Fachgebiet zuständigen Spezialisten verwiesen. Darüber hinaus ist die überörtliche „Sozietät“ in mehreren größeren Städten präsent und führte im Jahr 2009 in ihrem Briefkopf zuletzt 46 Anwälte auf (ein weiterer Anwalt wurde als ausgeschiedener Partner ausgewiesen). Auch wenn damit die in dem beanstandeten Internetauftritt angegebene Anzahl der zusammengeschlossenen Rechtsanwälte eventuell nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprach, ist die Differenz doch nicht so signifikant, dass damit die „Sozietät“ größenmäßig in eine niedrigere Kategorie einzustufen wäre. Die anpreisenden Werbeaussagen über die Bedeutung des überörtlichen Zusammenschlusses und die wirtschaftliche Position der „Sozietät“ auf dem landesweiten „Anwaltsmarkt“ sind möglicherweise ebenfalls übertrieben. Dass sie in ihrem wesentlichen Aussagegehalt falsch sind, hat die Beklagte aber nicht dargelegt. Insbesondere hat sie keine Angaben zur Größe und wirtschaftlichen Bedeutung der übrigen in Westfalen ansässigen Kanzleien gemacht.

§ 8 BORA a.F. steht einem gemeinsamen Auftreten der beiden örtlichen Sozietäten als hier unterstellte – Außen(=Schein)Sozietät unter Verwendung der Bezeichnung „Sozietät“ ebenfalls nicht entgegen. Diese – § 43b BRAO konkretisierende – Bestimmung stuft ausdrücklich diejenigen Fallgestaltungen, die die Rechtsprechung zum Anlass genommen hat, die Haftungsfigur der Scheinsozietät zu entwickeln (nach außen als dem/den Kanzleiinhaber(n) gleichgestellt in Erscheinung tretende angestellte oder als freie Mitarbeiter tätige Anwälte), als aus werberechtlicher Sicht unbedenklich ein[32]. Wie bereits ausgeführt, erfasst § 8 BORA a.F. nicht nur diese klassischen Fallgestaltungen einer Außen(=Schein)Sozietät, sondern auch diejenigen Fälle, in denen sich selbständige Rechtsanwälte oder – wie hier zu unterstellen – rechtsfähige Sozietäten als Mitglieder einer Außen(=Schein) Sozietät gerieren.

Dass § 8 BORA a.F. begrifflich zwischen der Sozietät im eigentlichen Sinne und einer Außen(=Schein)Sozietät als Form der „beruflichen Zusammenarbeit in sonstiger Weise“ (vgl. auch § 32 Abs. 3 BORA) unterscheidet, bedeutet nicht, dass er Scheinsozien untersagt, bei ihrer Außendarstellung die rechtsscheinbegründende Bezeichnung „Sozietät“ zu verwenden. Die genannte Unterscheidung beruht lediglich darauf, dass § 8 BORA a.F. an von § 59a BRAO erlaubte berufliche Erscheinungsformen (und noch an die Begrifflichkeiten des § 59a BRAO a.F.) anknüpft und hiervon ausgehend sowohl den Hinweis auf ein Sozietätsverhältnis als auch auf ein scheinbares Sozietätsverhältnis gestattet[33].

Auch die von den örtlichen Sozietäten gewählte Kurzbezeichnung „St. • S. “ ist nicht zu beanstanden. § 9 BORA a.F. gestattet nicht nur den Mitgliedern einer Sozietät, sondern auch einer Scheinsozietät die Führung einer Kurzbezeichnung. Wie bei § 8 BORA a.F. ist der dem Oberbegriff „in sonstiger Weise“ beigefügte Klammerzusatz „Anstellungsverhältnis, freie Mitarbeit“ nicht abschließend zu verstehen. Insoweit kann auf die Ausführungen unter Rn. 29 verwiesen werden. Die verwendete Kurzbezeichnung genügt den von § 9 BORA a.F. gestellten Anforderungen. Sie wird einheitlich geführt und enthält den Namen jeweils eines prominenten Mitglieds der beiden örtlichen Sozietäten.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. Juli 2012 – AnwZ(Brfg) 37/11

  1. BGH, Urteil vom 29.10.1990 – AnwSt (R) 11/90, BGHSt 37, 220, 223 ff.[]
  2. vgl. BGH, Beschluss vom 25.07.2005 – AnwZ (B) 42/04, NJW 2005, 2692 unter II 2 a bb[]
  3. vgl. BGH, Beschlüsse vom 23.09.2002 – AnwZ (B) 67/01, NJW 2003, 346 unter [III] 1; vom 25.07.2005 – AnwZ (B) 42/04, aaO; jeweils m.w.N.[]
  4. BGH, Beschluss vom 25.07.2005 – AnwZ (B) 42/04, aaO; vgl. ferner BVerfGE 106, 181, 191 f. [zur Kundgabe einer ärztlichen Doppelqualifikation][]
  5. BGH, Urteil vom 01.03.2001 – I ZR 300/98, BGHZ 147, 71, 74 f.; BGH, Beschluss vom 25.07.2005 – AnwZ (B) 42/04, aaO m.w.N.[]
  6. vgl. zu diesem Erfordernis BVerfGE aaO; BGH, Urteil vom 01.03.2001 I ZR 300/98, aaO; BGH, Beschluss vom 25.07.2005 – AnwZ (B) 42/04, aaO[]
  7. AGH Hamm, Urteil vom 04.03.2011 – 2 AGH 1 – 15 u. 17 – 35/10[]
  8. BGH, Beschlüsse vom 12.02.2001 – AnwZ (B) 11/00, NJW 2001, 1573 unter II 3; vom 25.07.2005 – AnwZ (B) 42/04, aaO[]
  9. vgl. hierzu Henssler/Prütting/Hartung, aaO Rn. 23 m.w.N.; Feuerich/Weyland/Böhnlein, aaO, § 59a BRAO Rn. 10 f.; Heussen, AnwBl.2006, 293, 298[]
  10. vgl. hierzu Peres/Depping, DStR 2006, 2261, 2262[]
  11. vgl. Erman/Westermann, BGB, 13. Aufl., Vor § 705 Rn. 28; MünchKomm-BGB/Ulmer, 5. Aufl., § 705 Rn. 279[]
  12. Bormann in Gaier/Wolf/Göcken, aaO § 59a BRAO Rn. 27; Feuerich/Weyland/Böhnlein, aaO § 59a BRAO Rn. 93; vgl. auch die Legaldefinition in § 56 Abs. 5 Satz 1 StBerG[]
  13. zu letzterem vgl. BGH, Urteil vom 17.11.2011 IX ZR 161/09, ZIP 2012, 28 Rn. 22[]
  14. vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 29.01.2001 II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 342 ff.[]
  15. BGH, Urteil vom 02.10.1997 II ZR 249/96, NJW 1998, 376 unter A I 1 a [schon nach alter Rechtslage]; Henssler/Prütting/Hartung, aaO Rn. 116; MünchKomm-BGB/Ulmer, aaO, § 705 Rn. 79[]
  16. vgl. Graf von Westphalen in Henssler/Streck, Handbuch des Sozietätsrechts, 2. Aufl., B Rn. 602[]
  17. vgl. hierzu BGH, Urteil vom 09.12.2010 IX ZR 44/10, ZIP 2011, 129 Rn. 15 ff.[]
  18. vgl. etwa BGH, Versäumnisurteil vom 29.01.2001 II ZR 331/00, aaO, S. 358[]
  19. BGH, Urteil vom 17.11.2011 – IX ZR 161/09, aaO Rn. 11; vgl. auch BGH, Urteil vom 03.05.2007 – IX ZR 218/05, BGHZ 172, 169 Rn.19[]
  20. so aber Hartung/Römermann, Anwaltliche Berufsordnung, 3. Aufl., § 8 BORA Rn. 61[]
  21. vgl. Protokoll über die 2. Sitzung der Satzungsversammlung bei der BRAK vom 01. bis 3.02.1996, S. 36[]
  22. u. U. auch zwischen Partnern einer Bürogemeinschaft – vgl. Feuerich/Weyland/Böhnlein, aaO § 8 BORA Rn. 12; Baldringer/Jordans, AnwBl.2005, 676, 677 f.[]
  23. BGH, Urteil vom 29.10.1990 – AnwSt (R) 11/90, BGHSt 37, 220, 223 ff.; BGH, Urteile vom 23.09.1992 I ZR 150/90, BGHZ 118, 225, 233 f.; vom 05.05.1994 I ZR 57/92, NJW 1994, 2288 unter I 1 a m.w.N.[]
  24. vgl. BGH, Urteil vom 29.10.1990 – AnwSt (R) 11/90, aaO[]
  25. vgl. BGH, Urteil vom 25.04.1996 – I ZR 106/94, NJW 1996, 2308, 2310[]
  26. Deckenbrock in Henssler/Streck, Handbuch Sozietätsrecht, 2. Aufl., M Rn. 5 m.w.N.[]
  27. vgl. BGH, Urteile vom 25.04.1996 – I ZR 106/94, aaO; vom 03.05.2007 – IX ZR 218/05, BGHZ 172, 169 Rn. 17; jeweils m.w.N.[]
  28. BGH, Urteil vom 21.07.2011 IV ZR 42/10, NJW 2011, 3718 Rn. 24; vgl. auch Urteil vom 17.11.2011 IX ZR 161/09, aaO Rn. 22[]
  29. BGH, Urteil vom 21.07.2011 IV ZR 42/10, aaO[]
  30. so auch Feuerich/Weyland/Böhnlein, aaO, § 8 BORA Rn. 12; § 59a BRAO Rn. 15; § 51a BRAO Rn. 14; Bormann in Gaier/Wolf/Göcken, aaO, § 59a BRAO Rn. 35, 63; Henssler/Prütting, aaO, § 8 BORA Rn. 5; Hartung/Römermann, aaO § 8 BORA Rn. 38, 39; vgl. auch Graf von Westphalen in Henssler/Streck, aaO, B Rn. 604[]
  31. vgl. hierzu BGH, Urteil vom 17.11.2011 – IX ZR 161/09, aaO Rn. 22 f.[]
  32. vgl. Protokoll über die 2. Sitzung der Satzungsversammlung bei der BRAK vom 01. bis 3.02.1996, aaO; Roth in Festschrift für Karsten Schmidt zum 70. Geburtstag, 2009, S. 1375, 1376, 1379[]
  33. vgl. Bormann in Gaier/Wolf/Göcken, aaO, § 59a BRAO/§ 8 BORA Rn. 104; vgl. ferner Henssler/Prütting, aaO, § 8 BORA Rn. 3, 5; Feuerich/Weyland/Böhnlein, aaO, § 8 BORA Rn. 11 f.[]