Erneute Bestellung eines Notars nach vorübergehender Amtsniederlegung

Obgleich die Vorschriften der §§ 48b, c BNotO über die vorübergehende Amtsniederlegung nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen, ist in der Sache deren Auslegung und Anwendung durch den Bundesgerichtshof mit dem Grundgesetz vereinbar.

Erneute Bestellung eines Notars nach vorübergehender Amtsniederlegung

Nach § 48b BNotO kann ein Notar sein Amt mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde vorübergehend niederlegen, wenn er ein minderjähriges Kind oder einen pflegebedürftigen Angehörigen betreut.

Erklärt der Notar mit dem Antrag auf Genehmigung der vorübergehenden Amtsniederlegung, sein Amt innerhalb von höchstens einem Jahr am bisherigen Amtssitz wieder antreten zu wollen, wird er gemäß § 48c BNotO innerhalb dieser Frist dort erneut bestellt. Nach erneuter Bestellung am bisherigen Amtssitz ist eine nochmalige unterjährige Amtsniederlegung innerhalb der nächsten beiden Jahre ausgeschlossen. Die Dauer mehrfacher Amtsniederlegungen nach Absatz 1 darf drei Jahre nicht überschreiten.

Die vorübergehende Niederlegung des Notaramts führt nach § 47 Nr. 7 BNotO sowohl im Fall des § 48b BNotO als auch im Fall des § 48c BNotO zu dessen Erlöschen. Bewerber um eine Notarstelle sind nach § 6b Abs. 1 Halbsatz 1 BNotO durch Ausschreibung zu ermitteln. Dies gilt gemäß § 6b Abs. 1 Halbsatz 2 BNotO nicht bei einer erneuten Bestellung nach einer vorübergehenden Amtsniederlegung innerhalb der Jahresfrist gemäß § 48c BNotO.

Den durch Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen beanspruchten Notarinnen und Notaren wird – entgegen der missverständlichen Formulierung des § 48b BNotO – keine von vornherein nur vorübergehende Amtsniederlegung ermöglicht. Folge der gesetzlichen Regelungen ist vielmehr zunächst nach § 47 Nr. 7 BNotO das Erlöschen ihres notariellen Amtes. Um das Amt erneut aufzunehmen, ist daher eine erneute Bestellung zur Notarin oder zum Notar erforderlich, auf die § 48c BNotO allerdings nur dann einen Anspruch gibt, wenn das Notaramt innerhalb eines Jahres wieder angetreten wird. Letztlich bleibt die Rückkehr in das konkrete frühere Amt danach lediglich für ein Jahr sichergestellt, was schwerlich dem Zeitrahmen gerecht werden kann, der typischerweise für Kinderbetreuung oder Pflegeaufgaben benötigt wird. Dies mag zumindest einer der Gründe dafür sein, dass die vorübergehende Amtsniederlegung nach den in der Stellungnahme der Bundesnotarkammer genannten Zahlen keine praktische Bedeutung erlangen konnte: Nach dem Ergebnis einer Umfrage bei allen Notarkammern wurden seit Inkrafttreten der Vorschriften nur in insgesamt 31 Fällen Anträge nach §§ 48b, 48c BNotO gestellt. Zweifel an der Eignung der genannten Vorschriften waren ausweislich der Stellungnahme der Hessischen Staatskanzlei auch bereits im Gesetzgebungsverfahren bekannt; allerdings konnte sich der Gegenvorschlag einer – das Notaramt erhaltenden – bis zu fünfjährigen Vertreterbestellung nicht durchsetzen. Ob diese Umstände im Zusammenwirken mit Grundrechten zur Verfassungswidrigkeit namentlich der engen Voraussetzung für eine Wiederbestellung führen können, kann allerdings vorliegend dahinstehen; denn selbst bei unterstellter Wirksamkeit hätte die Beschwerdeführerin mit ihrer Bewerbung um die ausgeschriebene Stelle Erfolg haben können.

Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs[1] ist in einem neuen Auswahlverfahren um eine ausgeschriebene Notarstelle besonders zu berücksichtigen, dass eine Bewerberin oder ein Bewerber bereits einmal erfolgreich das Bewerbungsverfahren durchlaufen und die fachliche und persönliche Eignung für das Amt hierdurch sowie durch die Ausübung des Amts bewiesen habe. Auch in seiner mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidung hat der Bundesgerichtshof hervorgehoben, bei einer künftigen Auswahlentscheidung gemäß § 6 BNotO werde der Umstand Berücksichtigung finden müssen, dass eine Bewerberin oder ein Bewerber um eine Stelle im Bereich des Anwaltsnotariats schon einmal eine solche Stelle innegehabt und das Amt gemäß § 48b BNotO für mehr als ein Jahr vorübergehend niedergelegt habe.

Diese Auslegung ist verfassungsrechtlich geboten. Sie ergibt sich aus den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinreichend geklärten verfassungsrechtlichen Maßstäben des Art. 3 Abs. 2 GG[2].

Art. 3 Abs. 2 GG bietet Schutz auch vor faktischen Benachteiligungen. Die Verfassungsnorm zielt auf die Angleichung der Lebensverhältnisse von Frauen und Männern[3]. Durch die Anfügung von Satz 2 in Art. 3 Abs. 2 GG ist ausdrücklich klargestellt, dass sich das Gleichberechtigungsgebot auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt[4]. In diesem Bereich wird die Durchsetzung der Gleichberechtigung auch durch Regelungen gehindert, die zwar geschlechtsneutral formuliert sind, im Ergebnis aber aufgrund natürlicher Unterschiede oder der gesellschaftlichen Bedingungen überwiegend Frauen betreffen[5]. Demnach ist es nicht entscheidend, dass eine Ungleichbehandlung unmittelbar und ausdrücklich an das Geschlecht anknüpft. Über eine solche unmittelbare Ungleichbehandlung hinaus erlangen für Art. 3 Abs. 2 GG die unterschiedlichen Auswirkungen einer Regelung für Frauen und Männer ebenfalls Bedeutung[6].

Die Vorschrift des § 48b BNotO kann zu einer faktischen Benachteiligung von Frauen gegenüber Männern führen. Wenn das Amt für einen längeren Zeitraum als ein Jahr niedergelegt wird, ist dies mit erheblichen Nachteilen verbunden, die typischerweise Frauen insbesondere im Fall der Betreuung minderjähriger Kinder treffen. Sie müssen sich nach der gesetzlichen Konzeption erneut um eine ausgeschriebene Notarstelle bewerben und ein Bewerbungsverfahren durchlaufen. Gehen ihnen konkurrierende Mitbewerber vor, können sie auf Dauer von der Ausübung des Notarberufs ausgeschlossen sein.

In der sozialen Wirklichkeit werden hierdurch in erster Linie Frauen benachteiligt. Trotz des Anstiegs ihres Anteils unter den Berufstätigen tragen überwiegend Frauen die Aufgaben der Kinderbetreuung und verzichten aus diesem Grund zumindest vorübergehend ganz oder teilweise auf eine Berufstätigkeit[7]. Für den Zeitraum, in dem sich die Beschwerdeführerin zur vorübergehenden Amtsniederlegung aus Gründen der Kindererziehung entschloss, wird dies nachdrücklich durch den verschwindend geringen Anteil von Männern unter den Empfängern des damals gezahlten Erziehungsgeldes belegt[8]. Seit der Einführung des Elterngeldes hat sich die Situation zwar verbessert, nicht aber zu einem annähernden Gleichstand zwischen den Geschlechtern geführt: So stieg der Anteil von Männern im Jahr 2007 auf 11 %[9], während 2011 die Väterbeteiligung 27,3 % erreichte, wobei allerdings immer noch Mütter in durchschnittlich 95 % der Fälle Elterngeld bezogen[10]. Es gibt keine Hinweise dafür, dass die Situation in Familien, in denen ein Elternteil oder beide Elternteile dem Notarberuf nachgehen, von diesem gesamtgesellschaftlichen Bild grundlegend verschieden ist.

Bei Besetzung einer gemäß § 4 BNotO bereits ausgeschriebenen Amtsstelle kann die Beachtung der verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 3 Abs. 2 GG – jedenfalls für die vorliegende Konstellation des Anwaltsnotariats – durch die vom Bundesgerichtshof befürwortete Auslegung der Vorschriften der Bundesnotarordnung hinreichend sichergestellt werden. Zwar ist es auch dann erforderlich, das für die Besetzung der Notarstelle vorgeschriebene Bewerbungsverfahren zu durchlaufen, gemäß § 6 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 BNotO können aber insbesondere in Fällen der Wiederbestellung nach Anhörung der Notarkammer ausnahmsweise besondere, die fachliche Eignung vorrangig kennzeichnende Umstände berücksichtigt werden. Dass bereits zuvor eine – beanstandungsfreie und nicht vernachlässigbare – notarielle Amtstätigkeit vorzuweisen ist und das Amt aus familiären Gründen vorübergehend für einen längeren Zeitraum als ein Jahr nach § 48b BNotO niedergelegt wurde, kann sich daher im Einzelfall unter Abwägung der grundrechtlich geschützten Interessen der konkurrierenden Bewerber als vorrangiges Kriterium der fachlichen Eignung gegenüber den sonst nach § 6 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 BNotO maßgeblichen Prüfungsergebnissen durchsetzen.

Einer solchen Auslegung stehen die in § 6 Abs. 2 Satz 1 BNotO geregelten Voraussetzungen, insbesondere die danach vorausgesetzte örtliche Wartezeit (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO) und das Bestehen der notariellen Fachprüfung (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BNotO), nicht entgegen. Denn diese Erfordernisse sind nur in Sollvorschriften geregelt, so dass in begründeten Ausnahmefällen von ihnen abgewichen werden kann, wenn besondere Umstände des Einzelfalls dies erfordern[11]. Die Landesjustizverwaltung wird demnach insbesondere bei Bewerbung einer früheren Notarin, die ihr Amt nach § 48b Abs. 1 BNotO vorübergehend für einen längeren Zeitraum als ein Jahr niedergelegt hatte, sorgfältig zu prüfen haben, ob unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 3 Abs. 2 GG eine Ausnahme von den Regelvoraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 BNotO möglich und geboten ist. Bislang fehlende transparente und hinreichend voraussehbare Vorgaben zur Verwaltungspraxis bei Auslegung und Anwendung der Vorschrift etwa in Form eines Erlasses der Landesjustizverwaltung könnten dazu beitragen, die mit der gesetzlichen Regelung verbundenen Unklarheiten auszuräumen und den betroffenen Amtsträgern und Bewerbern Sicherheit für ihre beruflichen Perspektiven zu vermitteln.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20. November 2013 – 1 BvR 63/12

  1. vgl. BGH, Urteil vom 23.07.2012 – NotZ (Brfg) 12/11, NJW 2012, S. 2972 ff.[]
  2. vgl. BVerfGE 113, 1, 15 ff.[]
  3. vgl. BVerfGE 109, 64, 89; 113, 1, 15[]
  4. vgl. BVerfGE 92, 91, 109; 109, 64, 89; 113, 1, 15[]
  5. vgl. BVerfGE 104, 373, 393; 113, 1, 15[]
  6. vgl. BVerfGE 113, 1, 15 f.[]
  7. vgl. BVerfGE 113, 1, 19[]
  8. vgl. BVerfGE 113, 1, 19*[]
  9. vgl. Destatis, Datenreport 2008, S. 283[]
  10. Zahlen & Fakten – Elterngeld[]
  11. vgl. BVerfGK 15, 355, 371[]