Eine gesetzliche Krankenkasse muss für einen Insolvenzantrag stets auch die ihr obliegende sozialrechtliche Ermessensentscheidung treffen.

Mit dieser Begründung hat aktuell das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen eine Krankenkasse in einem Eilverfahren verpflichtet, ihren Insolvenzantrag gegen einen Steuerberater wegen des Ermessensfehlers zurücknehmen. Der selbständige Steuerberater zahlte für einen Arbeitnehmer die Gesamtsozialversicherungsbeiträge seit Dezember 2021 nicht. Die gesetzliche Krankenkasse stellte daraufhin einen Antrag auf Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens zulasten des Steuerberaters in dessen Eigenschaft als Steuerberater und Arbeitgeber beim Amtsgericht Essen. Der Steuerberater erhob Klage und beantragte zugleich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes anzuordnen, dass die Krankenkasse den von ihr gestellten Insolvenzantrag zurückzunehmen habe.
Das erstinstanzlich hiermit befasste Sozialgericht Gelsenkirchen lehnte diesen Antrag des Steuerberaters ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Steuerberaters war vor dem Landessozialgericht erfolgreich. Dieses hat die Krankenkasse verpflichtet, den Insolvenzantrag zurückzunehmen:
Die Krankenkasse scheine, so das Landessozialgericht, davon auszugehen, dass die Stellung eines Insolvenzantrages bereits immer dann gerechtfertigt sei, wenn die insolvenzrechtlichen Voraussetzungen hierfür vorlägen. Dies greife zu kurz. Die Krankenkasse habe vielmehr darüber hinaus die ihr obliegende sozialrechtliche Ermessensentscheidung zu treffen.
Im Fall des Steuerberaters habe sie jedenfalls insoweit ermessensfehlerhaft gehandelt, als sie sich vorzeitig des Insolvenzantrages und damit der für den Steuerberater einschneidendsten und gefährlichsten Maßnahme der Zwangsvollstreckung bedient habe, ohne zuvor in ausreichendem Umfang weniger belastende Maßnahmen der Einzelvollstreckung ausgeschöpft oder wenigstens in zureichendem Maß ernsthaft versucht zu haben. Sämtliche dieser Maßnahmen, die angesichts des vorhandenen Immobilienvermögens auch nicht als von vorneherein ohne Erfolgsaussicht erschienen, seien weniger belastend als der Insolvenzantrag, in dessen Folge dem Steuerberater als Steuerberater eine Einschränkung seiner Berufsausübung drohe. Denn nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 Steuerberatungsgesetz darf die Bestellung zum Steuerberater widerrufen werden, wenn dieser in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Auftraggeber nicht gefährdet sind; ein Vermögensverfall wird u.a. vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Steuerberaters eröffnet ist.
Landessozialgericht Nordrhein -Westfalen, Beschluss vom 24. Juli 2024 – L 10 KR 343/24 B ER