Ein Rechtsanwalt, der einen Anwaltsvertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen hat, muss darlegen und beweisen, dass seine Vertragsschlüsse nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgen.

Ist ein auf ein begrenztes Rechtsgebiet spezialisierter Rechtsanwalt deutschlandweit tätig, vertritt er Mandanten aus allen Bundesländern und erhält er bis zu 200 Neuanfragen für Mandate pro Monat aus ganz Deutschland, kann dies bei einer über die Homepage erfolgenden deutschlandweiten Werbung im Zusammenhang mit dem Inhalt seines Internetauftritts für ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem sprechen.
Der Ausgangssachverhalt
In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatte ein Student eine auf Hochschul- und Prüfungsrecht spezialisierte, bundesweit tätige Anwaltskanzlei mit Hauptsitz in Köln und Kontaktstellen in Frankfurt am Main, Hamburg und München verklagt. Der Student erhob am 4.02.2017 persönlich Klage vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg gegen einen Notenbescheid der Fernuniversität Hagen. Bereits im Januar 2017 informierte der AStA der Fernuniversität Hagen die Rechtsanwaltskanzlei über den Sachverhalt und stellte den Kontakt zwischen den Parteien her. Daraufhin beriet die Rechtsanwaltskanzlei den Studenten zunächst telefonisch. Am 28.03.2017 unterschrieb der Student eine schriftliche Honorarvereinbarung und zahlte einen Vorschuss in Höhe des hälftigen Betrages. Am 6.11.2017 stellte die Rechtsanwaltskanzlei dem Studenten insgesamt 6.247,50 € in Rechnung und verlangte abzüglich des Vorschusses noch 2.975 €, welche sie im Hinblick auf die Kostenerstattung im Prozess vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg auf 2.482,46 € reduzierte. Mit Schreiben vom 30.11.2017 widerrief der Student die Honorarvereinbarung vom 28.03.2017 und verlangte den geleisteten Vorschuss zurück.
Die Entscheidung der Kölner Gerichte
Der Student und die Rechtsanwälte verfolgen ihre wechselseitigen Zahlungsforderungen mit Klage und Widerklage. Das erstinstanzlich hiermit befasste Amtsgericht Köln hat der Klage des Studenten stattgegeben und die Widerklage der Anwaltskanzlei abgewiesen[1]; auf die Berufung der Anwaltskanzlei hat das Landgericht Köln die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben[2]:
Dem Studenten stehe, so das Landgericht Köln, kein Anspruch auf Rückzahlung des Vorschusses zu. Die Rechtsanwaltskanzlei könne Zahlung des restlichen Honorars verlangen. Der Student könne den Anwaltsvertrag nicht widerrufen, weil kein Fernabsatzgeschäft im Sinne des § 312c Abs. 1 BGB vorliege. Der Vertrag sei unstreitig unter ausschließlichem Einsatz von Fernkommunikationsmitteln zustande gekommen. Die Rechtsanwaltskanzlei habe jedoch hinreichend dargelegt, dass bei ihr kein Fernabsatzsystem vorliege.
Die Rechtsanwaltskanzlei erwecke nach ihrem Internetauftritt zwar den Eindruck, dass sie regelmäßig Verträge mittels Fernkommunikationsmitteln abschließe. Es sei jedoch zu berücksichtigen, dass ein auf den Fernabsatz organisiertes Vertriebsund Dienstleistungssystem nicht schon vorliege, wenn die technischen Möglichkeiten für einen Abschluss im Fernabsatz vorgehalten würden. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Anwaltskanzlei, auf welche Weise es beim Einsatz elektronischer Mittel oder des Telefons zum Vertragsschluss komme, sei ein typisches für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem ausgeschlossen. Die Rechtsanwaltskanzlei unterbreite mit der Übersendung von Vollmacht und Honorarvereinbarung nicht generell und unabhängig vom Einzelfall ein Angebot auf Abschluss eines Anwaltsvertrags. Vielmehr gehe dem eine Erstberatung des Mandanten voraus. Die Rechtsanwaltskanzlei behalte sich zudem vor, ein vom Mandanten an sie herangetragenes Angebot abzulehnen. Die Rechtsanwaltskanzlei sei auch nicht Teil einer Anwaltshotline. Das Handeln des AStA sei der Anwaltskanzlei nicht zuzurechnen.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Auf die vom Landgericht Köln im Berufungsurteil zugelassene Revision des Studenten befand der Bundesgerichtshof nun, dass der Student den Anwaltsvertrag wirksam widerrufen habe, und stellte das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts wieder her:
Dem Studenten steht gemäß § 355 Abs. 3 Satz 1 BGB ein Anspruch auf Rückzahlung des geleisteten Vorschusses zu. Er hat den Anwaltsvertrag wirksam widerrufen.
Anwaltsvertrag per Fernabsatz
Dem Studenten steht ein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1, § 355 BGB zu, weil der Anwaltsvertrag einen Fernabsatzvertrag gemäß § 312c BGB darstellt. Die Parteien haben für Vertragsverhandlungen und -schluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet. Die Rechtsanwaltskanzlei hat nicht dargelegt, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist.
Anwaltsverträge sind Verträge über die entgeltliche Erbringung einer Dienstleistung im Sinne von § 312 Abs. 1, § 312c Abs. 1 BGB und können als solche den Regeln über Fernabsatzverträge unterworfen sein[3].
Die Rechtsanwaltskanzlei und der Student haben für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel im Sinne des § 312c Abs. 2 BGB eingesetzt. Maßgeblich ist dabei, dass die Parteien von der Vertragsverhandlung bis zum Abschluss des Vertrags für ihre Vertragsgespräche und -erklärungen zu keinem Zeitpunkt gleichzeitig körperlich anwesend waren. Nach dem unstreitigen Sachvortrag haben die Parteien bis zum Abschluss der Honorarvereinbarung nur telefonisch und durch E-Mails miteinander in Kontakt gestanden, so dass dahinstehen kann, ob der Vertrag bereits bei der Erstberatung oder erst mit Abschluss der Honorarvereinbarung zustande kam.
Rechtsfehlerhaft meint das Landgericht Köln, aus dem unstreitigen Vortrag der Anwaltskanzlei folge, dass der Anwaltsvertrag im Streitfall nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems abgeschlossen worden sei.
Das „für den Fernabsatz organisierte Vertriebs- oder Dienstleistungssystem“ der Anwaltskanzlei
Steht – wie im Streitfall – fest, dass der Unternehmer sowohl für die Vertragsverhandlungen als auch für den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet hat, wird nach der gesetzlichen Regelung in § 312c Abs. 1 BGB widerleglich vermutet, dass der Vertrag im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems abgeschlossen worden ist[4]. Es obliegt daher dem Unternehmer, in derartigen Fällen darzulegen und zu beweisen, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebsoder Dienstleistungssystems erfolgt ist[5].
Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, ein organisiertes Fernabsatzsystem verlange, dass der Unternehmer mit – nicht notwendig aufwendiger personeller und sachlicher Ausstattung innerhalb seines Betriebs die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hat, die notwendig sind, um regelmäßig im Fernabsatz zu tätigende Geschäfte zu bewältigen[6]. Dabei sind an die Annahme eines solchen Vertriebs- oder Dienstleistungssystems insgesamt keine hohen Anforderungen zu stellen[7]. Nur Geschäfte, die unter gelegentlichem, eher zufälligem Einsatz von Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden, sollen aus dem Anwendungsbereich des Fernabsatzwiderrufs ausscheiden[8].
Ob ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem besteht, hängt wesentlich davon ab, auf welche Art und Weise der Unternehmer in seinem Geschäftsbetrieb Vertragsverhandlungen und Vertragsschlüsse ermöglicht. Danach muss er sein Unternehmen personell und sachlich so ausgestalten und organisieren, dass sowohl Vertragsverhandlungen als auch Vertragsschluss regelmäßig und ohne weiteres unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln jederzeit möglich sind. Ist diese Einrichtung derart ausgestaltet, dass er damit regelmäßig im Fernabsatz zu tätigende Geschäfte bewältigen kann, und bietet er diese Möglichkeit von sich aus aktiv an, liegt ein entsprechendes System vor. Bei einem Rechtsanwalt ist dies etwa der Fall, wenn er seine Kanzlei so organisiert hat, dass gerade für die von ihm erstrebten Mandate typischerweise weder für die Vertragsverhandlungen noch für den Abschluss des Mandatsvertrags eine gleichzeitige, persönliche Anwesenheit von Mandant und Anwalt erforderlich ist und der Anwalt eine Mandatserteilung unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Außenverhältnis gegenüber Dritten aktiv bewirbt. Die nach Abschluss des Vertrags erfolgende Art und Weise der Leistungserbringung ist hingegen unerheblich[9].
Hierfür spricht der mit dem Fernabsatzrecht verfolgte Schutzzweck. Für diesen sind gerade die Art und Weise der Vertragsverhandlungen und des Vertragsschlusses wesentlich. Die fernabsatztypische Gefährdungslage entsteht regelmäßig erst durch die systematische Nutzung von Fernkommunikationsmitteln[10]. Fernabsatzgeschäfte sind dadurch gekennzeichnet, dass Anbieter und Verbraucher sich nicht physisch begegnen und der Verbraucher die vom Unternehmer angebotene Ware oder Dienstleistung in der Regel nicht vor Vertragsschluss in Augenschein nehmen kann. Um der daraus erwachsenden Gefahr von Fehlentscheidungen des Verbrauchers zu begegnen, wird ihm ein Widerrufsrecht eingeräumt[11].
Darlegungslast des Anwalts
Unter welchen Voraussetzungen bei einem Anwaltsvertrag der Abschluss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt, ist noch nicht abschließend geklärt. Der Bundesgerichtshof hat bislang offengelassen, welche (Mindest-)Anforderungen bei einer Rechtsanwaltskanzlei an ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem zu stellen sind[12]. Die Frage bedarf auch im Streitfall keiner abschließenden Entscheidung. Die Rechtsanwaltskanzlei hat bereits ihrer Darlegungs- und Beweislast nicht genügt. Es lässt sich nicht ausschließen, dass die Rechtsanwaltskanzlei ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem vorhält und der Anwaltsvertrag in diesem Rahmen abgeschlossen worden ist.
Ein Rechtsanwalt, der einen Anwaltsvertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Sinne des § 312c Abs. 2 BGB abgeschlossen hat, muss darlegen und beweisen, in welcher Form er seine Rechtsanwaltskanzlei im Hinblick auf Verhandlungen und Abschluss eines Anwaltsvertrags organisiert hat. Dabei muss er in erster Linie darlegen und beweisen, dass die für ein auf den Fernabsatz ausgerichtetes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem sprechenden Indizien in seinem Fall keinen Rückschluss darauf zulassen, dass seine Rechtsanwaltskanzlei darauf eingerichtet ist, Verträge im Rahmen eines solchen Systems zu bewältigen[13]. Er kann auch darlegen und beweisen, dass er kein solches System eingerichtet hat und die ausschließliche Verwendung von Fernkommunikationsmitteln bei Vertragsverhandlungen und -schluss nur zufällig erfolgte, etwa aus besonderen Gründen des Einzelfalls. Die Rechtsanwaltskanzlei ist dieser Darlegungslast nicht nachgekommen. Es kann daher dahinstehen, ob ein Rechtsanwalt den Beweis auch dadurch führen könnte, dass der Vertrag trotz ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Einzelfall nicht im Rahmen des bestehenden Fernabsatzsystems geschlossen worden ist[14].
Nach den Feststellungen des Landgerichts Köln liegen im hier entschiedenen Fall mehrere Indizien vor, die dafür sprechen, dass die Rechtsanwaltskanzlei im Rahmen ihrer anwaltlichen Tätigkeit ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem eingerichtet hat. Danach hat sich die Rechtsanwaltskanzlei auf Hochschul- und Prüfungsrecht spezialisiert, ist in ganz Deutschland tätig und vertritt Mandanten aus allen Bundesländern. Das Landgericht Köln hat weiter festgestellt, dass die Rechtsanwaltskanzlei eine Homepage im Internet unterhält. Die Rechtsanwaltskanzlei weist unter dem Stichwort „Kontakt“ darauf hin, dass sie jederzeit auch telefonisch und elektronisch für interessierte Mandanten bereit stehe. Unter dem Stichwort „Mandatserteilung“ erklärt sie, dass der Ortsbezug immer mehr an Bedeutung verliere, die vermeintliche persönliche Erreichbarkeit nicht entscheidend sei und Entfernung keine Rolle spiele. Dank ihrer modernsten technischen Ausstattung könne sie das Anliegen der Mandanten schnell und ohne Zeitverlust bearbeiten.
Wie das Landgericht Köln rechtsfehlerfrei angenommen hat, kann aufgrund dieser Umstände darauf geschlossen werden, dass die Rechtsanwaltskanzlei gezielt Fernkommunikationsmittel zum regelmäßigen Abschluss von Anwaltsverträgen einsetzt und ihre Rechtsanwaltskanzlei darauf eingerichtet hat, eine Vielzahl von Mandanten unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zu gewinnen. Zwar kann bei einem Rechtsanwalt ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem nicht bejaht werden, wenn dieser lediglich die technischen Möglichkeiten zum Abschluss eines Anwaltsvertrags im Fernabsatz, etwa einen Briefkasten, elektronische Postfächer und/oder Telefonund Faxanschlüsse vorhält, die auch sonst zur Bewältigung des Betriebs einer Anwaltskanzlei erforderlich sind[15]. Die im Streitfall bestehenden Indizien gehen jedoch weit darüber hinaus. Dabei kommt dem eigenen Auftritt eines Anwalts im Internet erhebliche Bedeutung zu[16]. Die planmäßige Werbung eines Unternehmers mit dem Angebot eines Vertragsschlusses unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln spricht für eine Fernabsatzorganisation[17]. Vor diesem Hintergrund weisen die vom Landgericht Köln festgestellten Umstände in ihrer Gesamtheit deutlich darauf hin, dass die Rechtsanwaltskanzlei ihre Rechtsanwaltskanzlei darauf eingerichtet hat, Mandatserteilungen regelmäßig und in großer Zahl jederzeit unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zu erhalten. Hierzu zählen der Inhalt des Internetauftritts in Verbindung mit der Spezialisierung der Anwaltskanzlei auf ein begrenztes Rechtsgebiet, die deutschlandweite Tätigkeit und die über ihre Homepage erfolgende deutschlandweite Werbung. Angesichts von bis zu 200 Neuanfragen für Mandate pro Monat aus ganz Deutschland bei nur einem Hauptsitz und drei weiteren Kontaktstellen sprechen diese Indizien in ihrer Gesamtheit dafür, dass die Rechtsanwaltskanzlei ihre Anwaltskanzlei darauf eingerichtet hat, dass jederzeit und wiederholt Vertragsschlüsse ohne gleichzeitige persönliche Anwesenheit der Parteien in großer Zahl möglich sind, ohne dass die Rechtsanwaltskanzlei hierzu besondere Maßnahmen ergreifen müsste. Diese Indizien muss die Rechtsanwaltskanzlei entkräften, so dass nicht genügt, dass auch ein anderes Verständnis des Internetauftritts möglich ist.
Die vom Landgericht Köln für seine gegenteilige Auffassung herangezogenen Umstände sind schon aus Rechtsgründen nicht geeignet, die im Streitfall für einen Abschluss des Anwaltsvertrags im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems sprechenden Indizien zu entkräften. Unter welchen inhaltlichen Voraussetzungen die Rechtsanwaltskanzlei bereit ist, einen Anwaltsvertrag abzuschließen, ist hierfür – anders als das Landgericht Köln meint – nicht entscheidend. Zwar kann eine besondere Individualisierung der Vertragserklärung einen Hinweis darauf bieten, dass das anbietende Unternehmen nicht über eine hinreichende Fernabsatzorganisation verfügt[18]. Dies allein genügt jedoch nicht, um den dem Unternehmer obliegenden Beweis zu führen[19]. Für ein Fernabsatzsystem ist nicht das Ob eines Vertragsschlusses wesentlich, sondern die Art und Weise, wie Vertragsverhandlungen, ein Vertragsangebot, eine Vertragsannahme und die hierfür erheblichen Umstände innerhalb des Unternehmens im Hinblick auf den Einsatz von Fernkommunikationsmitteln organisatorisch behandelt werden. Daher erfordert ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem nicht, dass jedes mit Fernkommunikationsmitteln unterbreitete Vertragsangebot angenommen wird oder jedem interessierten Mandanten stets ein Angebot zum Abschluss eines Mandatsvertrags unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln unterbreitet wird.
Es ist daher unerheblich, dass die Rechtsanwaltskanzlei sich vorbehält, Mandate abzulehnen. Ebenso spielt es keine Rolle, ob die Rechtsanwaltskanzlei eine weitere Übernahme des Mandats erst nach einer Erstberatung in Betracht zieht, wenn diese Erstberatung – wie auch im Streitfall – ebenfalls unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln erfolgt. Schließlich kommt es nicht darauf an, ob die Rechtsanwaltskanzlei ihr Angebot zum Abschluss eines Anwaltsvertrags erst nach Kenntnis von Einzelheiten des Falles und nach einem persönlichen telefonischen Kontakt unterbreitet, sofern – wie im Streitfall – hierfür ausschließlich Fernkommunikationsmittel genutzt werden. Alle diese Umstände betreffen die Frage, unter welchen inhaltlichen Voraussetzungen die Rechtsanwaltskanzlei gewillt ist, einen Anwaltsvertrag zu schließen. Sie geben hingegen keine Auskunft darüber, dass die Rechtsanwaltskanzlei Anwaltsverträge nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems abschließt.
Widerrufsfrist und Widerrufsbelehrung
Der Student hat seine Willenserklärungen mit Schreiben vom 30.11.2017 wirksam widerrufen und ist daher nicht mehr an den Anwaltsvertrag gebunden (§ 355 Abs. 1 BGB). Die Widerrufsfrist des § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB hat nicht zu laufen begonnen, weil die Rechtsanwaltskanzlei ihren Informationspflichten nach § 356 Abs. 3 BGB iVm Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB nicht nachgekommen ist. Insbesondere hat sie den Studenten nicht über sein Widerrufsrecht belehrt. Das Widerrufsrecht ist schließlich nicht nach § 356 Abs. 3 Satz 2 BGB erloschen, weil der Student den Widerruf innerhalb von weniger als zwölf Monaten und 14 Tagen erklärt hat.
Kein Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts
Der Anwaltskanzlei steht kein Anspruch auf restliches Anwaltshonorar zu, nachdem die Parteien aufgrund des Widerrufs nicht mehr an den Anwaltsvertrag gebunden sind. Ebensowenig besteht ein Anspruch auf Wertersatz nach § 357 Abs. 8 Satz 1 BGB, weil die Rechtsanwaltskanzlei den Studenten nicht ausreichend belehrt hat (§ 357 Abs. 8 Satz 2 BGB).
Das Berufungsurteil war daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgte und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif war, hatte der Bundesgerichtshof in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO) und stellte das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts Köln wieder her.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 19. November 2020 – IX ZR 133/19
- AG Köln, Urteil vom 28.11.2018 – 112 C 204/18[↩]
- LG Köln, Urteil vom 14.06.2019 – 29 S 248/18[↩]
- BGH, Urteil vom 23.11.2017 – IX ZR 204/16, ZIP 2018, 279 Rn. 11 ff zu § 312b Abs. 1 BGB aF[↩]
- vgl. BT-Drs. 17/12637, S. 50; Staudinger/Thüsing, BGB, 2019, § 312c Rn. 51; MünchKomm-BGB/Wendehorst, 8. Aufl., § 312c Rn. 30; Spindler/Schuster/Schirmbacher, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl., § 312c BGB Rn. 21; ebenso bereits BT-Drs. 14/2658, S. 31[↩]
- BGH, Urteil vom 12.11.2015 – I ZR 168/14, WM 2016, 968 Rn. 28 mwN; vom 23.11.2017 – IX ZR 204/16, ZIP 2018, 279 Rn. 17 mwN; vom 17.10.2018 – VIII ZR 94/17, NJW 2019, 303 Rn. 18[↩]
- vgl. BT-Drs. 14/2658 S. 30; dem folgend MünchKomm-BGB/Wendehorst, 8. Aufl., § 312c Rn. 24; Erman/Koch, BGB, 16. Aufl., § 312c Rn. 8 mwN[↩]
- vgl. BT-Drs. 17/12637, S. 50; ebenso Staudinger/Thüsing, BGB, 2019, § 312c Rn. 49; Erman/Koch, aaO; Ernst, NJW 2014, 817, 819[↩]
- vgl. BT-Drs. 14/2658, S. 30 f.; siehe auch BGH, Urteil vom 07.07.2016 – I ZR 30/15, NJW 2017, 1024 Rn. 51; vom 17.10.2018, aaO Rn.19[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 07.07.2016, aaO Rn. 53; Staudinger/Thüsing, BGB, 2019, § 312c Rn. 40; Markworth, AnwBl 2018, 214, 218; vgl. auch BGH, Urteil vom 23.11.2017 – IX ZR 204/16, ZIP 2018, 279 Rn. 22 zur Unerheblichkeit späterer persönlicher Kontaktaufnahmen; ebenso Rinkler/Pape in Handbuch der Anwaltshaftung, 5. Aufl., § 1 Rn. 45[↩]
- vgl. Staudinger/Thüsing, BGB, 2019, § 312c Rn. 42[↩]
- BGH, Urteil vom 21.10.2004 – III ZR 380/03, BGHZ 160, 393, 399; vom 12.11.2015 – I ZR 168/14, WM 2016, 968 Rn. 30 mwN; vom 17.10.2018 – VIII ZR 94/17, NJW 2019, 303 Rn. 24 mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 23.11.2017 – – IX ZR 204/16, ZIP 2018, 279 Rn.20[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 23.11.2017, aaO Rn.20 f[↩]
- verneinend etwa Buchmann K&R 2014, 369, 371; Markworth, AnwBl 2018, 214, 217; bejahend etwa MünchKommBGB/Wendehorst, 8. Aufl., § 312c Rn. 28[↩]
- BGH, Urteil vom 23.11.2017 – IX ZR 204/16, ZIP 2018, 279 Rn.19[↩]
- vgl. Buchmann, K&R 2018, 313, 315; Markworth, AnwBl 2018, 214, 217 f[↩]
- vgl. BGH, aaO; Erman/Koch, BGB, 16. Aufl., § 312c Rn. 8; BT-Drs. 14/2658 S. 31[↩]
- BGH, Urteil vom 17.10.2018 – VIII ZR 94/17, NJW 2019, 303 Rn. 21[↩]
- BGH, aaO Rn. 21 f[↩]