Wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Behauptung begehrt, dass ein vom Prozessbevollmächtigten zur Post aufgegebener fristgebundener Schriftsatz verloren gegangen sei, ist innerhalb der Antragsfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO darzulegen, wie der Postausgang und die Fristenkontrolle organisiert sind und durch welche organisatorischen Maßnahmen die ordnungsgemäße Überwachung der konkreten Frist unter normalen Umständen gewährleistet ist[1].

Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm gemäß § 56 Abs. 1 FGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. In formeller Hinsicht setzt die Gewährung der Wiedereinsetzung voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen[2]. Die erforderliche Glaubhaftmachung der Tatsachen kann auch noch im weiteren Verfahren über den Antrag geschehen[3].
Wird die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen des Nichteingangs eines angeblich rechtzeitig abgesandten, fristgebundenen Schriftsatzes begehrt, ist genau darzulegen, welche Person zu welcher Zeit[4] und in welcher Weise[5] den Brief, in dem sich das fristgebundene Schreiben befunden haben soll, zur Post gegeben hat[6]. Bei Bevollmächtigten, die die Rechtsberatung berufsmäßig ausüben, ist außerdem die Schilderung der Fristenkontrolle sowie der Postausgangskontrolle nach Art und Umfang erforderlich und durch Vorlage des Fristenkontrollbuchs und des Postausgangsbuchs glaubhaft zu machen. Denn zu den in Betracht kommenden, objektiv präsenten Beweismitteln gehört bei Angehörigen der rechtsberatenden Berufe insbesondere die Eintragung der Frist in ein Fristenkontrollbuch, das Festhalten der Absendung fristwahrender Schriftstücke in einem Postausgangsbuch und das Löschen einer Frist auf der Grundlage der Ausgangseintragung im Postausgangsbuch. Allein eine eidesstattliche Versicherung des Bevollmächtigten genügt für die Glaubhaftmachung nicht, wenn der Bevollmächtigte vorträgt, das fristwahrende Schriftstück selbst eingeworfen zu haben[7].
Diesen Anforderungen entspricht der Wiedereinsetzungsantrag des Prozessbevollmächtigten der Kläger im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall nicht. Der Prozessbevollmächtigte hat innerhalb der Darlegungsfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO lediglich vorgetragen, dass er die Revisionsbegründung am 08.02.2021 gefertigt und am selben Tag durch Einwurf in einen Briefkasten persönlich zur Post aufgegeben habe, wobei ihm die Angabe des Aktenzeichens des Revisionsverfahrens zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich gewesen sei. Er hat jedoch keine Angaben dazu gemacht, dass und in welcher Weise die Überwachung und Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist durch strukturelle organisatorische Maßnahmen in Gestalt eines Fristenkontrollbuchs und einer Postausgangskontrolle im Grundsatz gewährleistet war. Ein solcher Vortrag ergibt sich auch nicht aus dem Schriftsatz vom 07.12.2021, der im Übrigen allenfalls zur Substantiierung des bereits Vorgetragenen herangezogen werden könnte[8]. Denn in diesem Schriftsatz trägt der Prozessbevollmächtigte lediglich vor, dass in dem Fristenkontrollbuch die Revisionsbegründungsfrist für den 07.03.2021 eingetragen und „abgehakt“ worden sei. Diesem Vorbringen kann nur entnommen werden, dass die Revisionsbegründungsfrist zur Kenntnis genommen wurde, nicht aber, dass das Austragen der Frist mit der Dokumentation verbunden wurde, dass eine Absendung der Revisionsbegründungsschrift auch tatsächlich erfolgt war. Nach ständiger Rechtsprechung müssen die Fristen- und die Postausgangskontrolle in der Weise erfolgen, dass die notierte Frist frühestens erst dann gelöscht werden darf, wenn das zur Fristwahrung bestimmte Schriftstück abgesandt oder zumindest postfertig gemacht worden ist[9]. Dass diese Kriterien in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten beachtet wurden, ist nicht dargelegt. Damit ist die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags nicht geeignet, ein Organisationsverschulden als Ursache der Fristversäumung mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Die Kläger müssen sich ein solches Organisationsverschulden wie ein eigenes Verschulden zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 14. Dezember 2021 – VIII R 6/21
- Anschluss an Rechtsprechung, vgl. BFH, Beschluss vom 08.12.2010 – IX R 12/10, BFH/NV 2011, 445[↩]
- ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Beschlüsse vom 24.06.2008 – X R 38/07, BFH/NV 2008, 1517; und vom 11.05.2010 – XI R 24/08, BFH/NV 2010, 1834, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 13.12.2007 – VI R 75/04, BFHE 220, 18, BStBl II 2009, 577[↩]
- Tag, Uhrzeit[↩]
- Einwurf in einen bestimmten Briefkasten oder Abgabe bei einer bestimmten Postfiliale[↩]
- BFH, Urteil vom 31.01.2017 – IX R 19/16, BFH/NV 2017, 885; BFH, Beschluss vom 15.05.2019 – XI R 14/17, BFH/NV 2019, 924[↩]
- ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Beschlüsse vom 04.05.2021 – VIII B 121/20, BFH/NV 2021, 1329, Rz 5; vom 08.12.2010 – IX R 12/10, BFH/NV 2011, 445; und vom 15.01.2002 – X B 143/01, BFH/NV 2002, 669; BFH, Urteil vom 07.12.1988 – X R 80/87, BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266; vgl. auch Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 56 Rz 112, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 2011, 445[↩]
- vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 05.11.1998 – I R 90/97, BFH/NV 1999, 512; vom 08.11.2006 – VII R 20/06, BFH/NV 2007, 469; in BFH/NV 2011, 445; und vom 15.12.2011 – II R 16/11, BFH/NV 2012, 593[↩]