Fristbeginn bei Wiedereinsetzung nach PKH-Gewährung

Beantragt eine unbemittelte Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einlegungs- und Begründungsfrist für eine Rechtsbeschwerde, läuft die Frist für deren Begründung ab der Bekanntgabe der Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts und nicht erst ab Bekanntgabe der Bewilligung von Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einlegungsfrist[1].

Fristbeginn bei Wiedereinsetzung nach PKH-Gewährung

In die versäumte Rechtsbeschwerdefrist ist der Klägerin Wiedereinsetzung zu gewähren. Die Klägerin war wegen ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse verhindert, die Einlegungsfrist zu wahren. Mit der am 22.10.2020 bewirkten Zustellung des BGH, Beschlusses über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwältin X. ist das Hindernis entfallen (§ 234 Abs. 2 ZPO). Die Klägerin hat im Anschluss hieran fristgerecht binnen zwei Wochen Wiedereinsetzung in die Einlegungsfrist beantragt (§ 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und durch Einlegung der Rechtsbeschwerde die versäumte Prozesshandlung nachgeholt (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

Im Unterschied hierzu hat die Klägerin hinsichtlich der versäumten Rechtsbeschwerdebegründungsfrist auch die Wiedereinsetzungsfrist versäumt. Anders als die Klägerin meint, beginnt bei der Rechtsbeschwerde die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO mit Bekanntgabe der Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts und nicht erst mit der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts über die Wiedereinsetzung in die versäumte Einlegungsfrist (§ 234 Abs. 2 ZPO).

Im Unterschied zur Berufung[2], Revision und Nichtzulassungsbeschwerde ist bei der Rechtsbeschwerde nicht zwischen zeitlich voneinander abweichenden Einlegungs- und Begründungsfristen zu differenzieren. Vielmehr ist die Rechtsbeschwerde innerhalb eines Monats sowohl einzulegen (§ 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO) als auch zu begründen (§ 575 Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO). Mit der Gewährung von Prozesskostenhilfe entfällt das Hindernis für die Einhaltung der beiden gleich laufenden Fristen. Die Einlegung muss daher innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO und die Begründung innerhalb der Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 nachgeholt werden. Damit wird – was Ziel der Einführung des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO in seiner jetzigen Fassung war[3] – eine unbemittelte Partei im Blick auf die Länge der Begründungsfrist einer bemittelten Partei exakt gleichgestellt[4].

Nähme die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO bei der Rechtsbeschwerde erst mit Gewährung der Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einlegungsfrist ihren Anfang, wäre eine unbemittelte Partei erheblich günstiger als eine bemittelte Partei gestellt, weil die Begründungsfrist nicht der Einlegungsfrist entspräche, sondern deutlich später anliefe. Abweichend von den Rechtsmitteln der Berufung und Revision besteht bei einer Rechtsbeschwerde für eine bemittelte ebenso wie eine unbemittelte Partei bereits während der gesamten Dauer der Einlegungsfrist Anlass zur Fertigung der Beschwerdebegründung. Erleidet die unbemittelte Partei durch den an die Gewährung von Prozesskostenhilfe anknüpfenden Fristbeginn im Vergleich zu einer bemittelten Partei keinen Nachteil, ist kein Grund ersichtlich, den Beginn der Wiedereinsetzungsfrist hinsichtlich Einlegungs- und Begründungsfrist zeitlich abweichend festzulegen[5].

Der Bundesgerichtshof sieht auch in Ansehung der hiergegen von der Klägerin vorgebrachten Argumente keinen Anlass, diese Rechtsprechung in Frage zu stellen. Soweit die unbemittelte gegenüber der bemittelten Partei benachteiligt sein könnte, weil die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO nach der Konzeption des Gesetzgebers (§ 224 Abs. 2 ZPO) nicht verlängerbar ist, während die bemittelte Partei in den Grenzen des § 575 Abs. 2 Satz 3 ZPO i.V.m. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 ZPO eine Verlängerung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist erreichen kann, trägt dem die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Rechnung, indem sie eine Verlängerung der Begründungsfrist (§ 234 Abs. 1 Satz 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO) ausnahmsweise zulässt, wenn dem Rechtsmittelführer die Gerichtsakten nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden konnten[6]. Eine solche Fallgestaltung ist hier jedoch nicht gegeben. Die Akten standen der beigeordneten Rechtsanwältin der Klägerin seit dem 29.10.2020 zur Verfügung; ein Antrag auf Fristverlängerung wurde nicht gestellt.

Im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall war der Klägerin auch die vorsorglich beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsbeschwerdebegründungsfrist nicht zu gewähren. Die Klägerin war nicht ohne ihr Verschulden verhindert, die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO einzuhalten; sie muss sich insoweit vielmehr das Verschulden ihrer Rechtsanwältin zurechnen lassen (§ 85 Abs. 2 ZPO).

Der Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts ist regelmäßig nicht unverschuldet. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen. Eine irrige Auslegung des Verfahrensrechts kann als Entschuldigungsgrund nur dann in Betracht kommen, wenn der Prozessbevollmächtigte die volle, von einem Rechtsanwalt zu fordernde Sorgfalt aufgewendet hat, um zu einer richtigen Rechtsauffassung zu gelangen. Hierbei ist ein strenger Maßstab anzulegen, denn die Partei, die dem Anwalt die Prozessführung überträgt, vertraut zu Recht darauf, dass er dieser als Fachmann gewachsen ist. Wenn die Rechtslage zweifelhaft ist, muss der bevollmächtigte Anwalt den sicheren Weg wählen[7].

Nach diesen Grundsätzen hätte die beigeordnete Rechtsanwältin der Klägerin die seit dem Jahr 2008 bestehende, in der amtlichen Sammlung veröffentlichte[8] und in den gängigen Kommentaren zur Zivilprozessordnung nachgewiesene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kennen und berücksichtigen müssen. Soweit die Rechtsanwältin darauf verweist, „in einer ähnlich gelagerten Angelegenheit“ durch den V. Zivilsenat bestätigt bekommen zu haben, dass erst die Zustellung des die Wiedereinsetzung in die Einlegungsfrist gewährenden Beschlusses die Begründungsfrist auslöse, hilft ihr dies schon deshalb nicht weiter, weil es sich in dem in Bezug genommenen Verfahren – V ZR 30/20 nicht um ein Rechtsbeschwerde, sondern um ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren handelt. Im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren greifen aufgrund der dort geltenden unterschiedlichen Einlegungs- und Begründungsfristen nach dem oben Ausgeführten aber gerade andere Grundsätze Platz; es handelt sich also nicht um eine „ähnlich gelagerte Angelegenheit“.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27. April 2021 – VI ZB 60/20

  1. Anschluss an BGH, Beschluss vom 29.05.2008 – IX ZB 197/07, BGHZ 176, 379[]
  2. vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 19.06.2007 – XI ZB 40/06, BGHZ 173, 14 Rn. 8 ff.; vom 30.04.2014 – III ZB 86/13, NJW 2014, 2442 Rn. 8 ff.[]
  3. BT-Drs. 15/1508 S. 17[]
  4. BGH, Beschluss vom 29.05.2008 – IX ZB 197/07, BGHZ 176, 379 Rn. 8; vgl. Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 234 Rn. 18; Lohmann in Prütting/Gehrlein, ZPO, 12. Aufl., § 575 Rn. 4; Stackmann in MünchKomm, ZPO, 6. Aufl., 234 Rn. 16; Hamdorf, ebd., § 575 Rn. 13[]
  5. vgl. BGH, Beschluss vom 29.05.2008 – IX ZB 197/07, BGHZ 176, 379 Rn. 9 mwN; vgl. weiter BGH, Beschluss vom 27.08.2019 – VI ZB 32/18, NJW 2019, 3727 Rn. 5[]
  6. vgl. BGH, Beschluss vom 05.07.2007 – V ZB 48/06, NJW-RR 2008, 146 Rn. 12[]
  7. st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 03.11.2010 – XII ZB 197/10, NJW 2011, 386 Rn.19; BGH, Beschluss vom 10.11.1952 – VI ZR 249/52, BGHZ 8, 47, 54 f.; jeweils mwN[]
  8. BGHZ 176, 379[]