Widerstreitende Interessen bei der Nachlassabwicklung

Ein Rechtsanwalt, der anlässlich desselben Erbfalles Pflichtteilsberechtigte bei der Durchsetzung von Pflichtteilsansprüchen und deren Mutter bei der Abwehr von Nachlassforderungen vertritt, verstößt ohne die Interessenkollision auflösende Mandatsbeschränkungen gegen das Vertretungsverbot gemäß § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 Abs. 1 BORA. Ein solcher Verstoß kann die rückwirkende Aufhebung seiner Beiordnung gemäß § 121 ZPO rechtfertigen.

Widerstreitende Interessen bei der Nachlassabwicklung

Der Rechtsanwalt hat mit der Wahrnehmung der Interessen der Kinder bei der Durchsetzung von Pflichtteilsansprüchen gegen die Erbin (Erstmandat) einerseits und der Interessen der Mutter bei der Abwehr von Nachlassforderungen der Erbin (Zweitmandat) andererseits gegen das Vertretungsverbot gemäß § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 BORA verstossen, weswegen seine Beiordnung rückwirkend aufzuheben ist.

Beide Mandate betreffen dieselbe Rechtssache (§ 3 Abs. 1 BORA), die jeweils wahrzunehmenden Interessen widersprechen einander (§ 43a Abs. 4 BRAO) und dieser Interessenkonflikt ist im Streitfall nicht nur latent gegeben, sondern er besteht auch konkret. Die dafür herangezogenen maßgeblichen Rechtsgrundsätze sind höchstrichterlich geklärt[1].

Der Annahme, bei den beiden Mandaten handele es sich um dieselbe Rechtssache i.S. von § 3 Abs. 1 BORA, steht nicht entgegen, dass es an der erforderlichen Sachverhaltsidentität fehlt. Insoweit reicht es, wenn sich die übernommenen Mandate zumindest teilweise sachlich-rechtlich decken[2]. Daran bestehen allein schon wegen der Klammerwirkung des vom Erbfall bestimmten Nachlassbestandes keine Zweifel, aus dem sich die gegenläufigen Beratungspflichten gegenüber Pflichtteilsberechtigtem und in Anspruch genommenem Nachlassschuldner ergeben. Insoweit sind insbesondere mit Blick auf Gegenstände und Wert des Nachlasses die gleichen tatsächlichen Umstände von Bedeutung für die von den Auftraggebern bezogenen unterschiedlichen Rechtspositionen[3].

Bei der Festlegung des konkreten Interessenwiderstreits halten die Rechtsbeschwerdeführer zu Unrecht dem Beschwerdegericht vor, rechtsfehlerhaft die Frage offengelassen zu haben, inwieweit ein solcher Interessenkonflikt im Streitfall allein „mit einer grundsätzlich fehlenden Dispositionsbefugnis der Parteien über das Verbot der Doppelvertretung zu begründen“ sei.

Die spätere Einverständniserklärung der Mutter und ihrer Kinder schließt diesen konkreten Interessengegensatz bei der Vertretung durch denselben Prozessbevollmächtigten offensichtlich nicht aus. Zu Recht hat das Beschwerdegericht dieser Erklärung eine konfliktlösende Wirkung bei Mandatserteilung nicht entnommen. Auch das Verständnis, dass die weitere Verfolgung (weiterer) Pflichtteilsansprüche vom Bestand der behaupteten Nachlassforderung abhängig gemacht wird und dieser im vorliegenden Rechtsstreit geklärt werden soll, lässt den Konflikt konkret bestehen.

Der Rechtsanwalt ist gehalten, die Durchsetzung der Nachlassforderung, zu der die Erbin verpflichtet ist (§ 2313 Abs. 2 BGB)[4], zu verhindern, was den Interessen der Pflichtteilsberechtigten nach wie vor zuwiderläuft, auch wenn sie letztlich bereit sind, den Ausgang des Rechtsstreits hinzunehmen. Die Gesamtumstände führen insoweit gerade nicht über eine etwaige Mandatsbeschränkung zu einem nur noch latent vorhandenen Interessenkonflikt[5].

Damit ist schließlich zugleich den Bedenken gegen die rückwirkende Aufhebung der Beiordnung die Grundlage entzogen[6]. Der Rechtsanwalt hätte diesen Konflikt von Anfang an unschwer erkennen können, zumal er in dem Parallelverfahren von der Erbin (dortige Beklagte) frühzeitig darauf hingewiesen worden ist. Das rechtfertigt angesichts der gleichwohl vorgenommenen anwaltlichen Beratung der Mutter und ihrer Kinder den auch rückwirkenden Entzug der Beiordnung ohne Rücksicht auf den Willen der Beteiligten[7]. Dem etwa entgegenstehende Vertrauensschutzgesichtspunkte sind nicht ersichtlich.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16. Januar 2013 – IV ZB 32/12

  1. BGH, Urteil vom 23.04.2012 AnwZ(Brfg) 35/11, BeckRS 2012, 15772, NJW 2012, 3039; vgl. ferner BGH, Urteile vom 25.06.2008 – 5 StR 109/07, BGHSt 52, 307; vom 07.10.1986 – 1 StR 519/86, BGHSt 34, 190; vom 16.11.1962 – 4 StR 344/62, BGHSt 18, 192; BAG, Beschluss vom 25.08.2004 – 7 ABR 60/03, BAGE 111, 371; BVerfG, Beschlüsse vom 20.06.2006 – 1 BvR 594/06, ZEV 2006, 413; vom 03.07.2003 – 1 BvR 238/01, BVerfGE 108, 150; BayObLG, Urteil vom 26.07.1989 – RReg 3 St 50/89, BayObLGSt 1989, 120[]
  2. BGH, Urteil vom 23.04.2012, aaO, Rn. 8 m.w.N.[]
  3. vgl. BayObLG, aaO, unter 1, m.w.N.[]
  4. vgl. MünchKomm-BGB/Lange, 5. Aufl. § 2313 Rn. 14[]
  5. anders insoweit die Sachlage in BGH, Urteil vom 23.04.2012, aaO, Rn. 14 und 15[]
  6. vgl. insoweit KG FamRZ 2008, 510 f.; OLG Celle FamRZ 1983, 1045[]
  7. vgl. Musielak/Fischer, ZPO 9. Aufl. § 121 Rn. 27[]