Vorlage der Handakte – und die Überprüfung der Fristen

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs[1] hat ein Anwalt die Berechnung einer Frist, ihre Notierung auf den Handakten, ihre Eintragung im Fristenkalender, die Bestätigung der Kalendereintragung durch einen Erledigungsvermerk auf den Handakten sowie die Einhaltung seiner darauf bezogenen Anweisungen stets zu prüfen, wenn ihm die Handakten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt werden. 

Vorlage der Handakte – und die Überprüfung der Fristen

Grundsätzlich erstreckt sich die Pflicht zur Prüfung insbesondere darauf, ob das (zutreffend errechnete) Fristende im Fristenkalender notiert worden ist. Allerdings kann sich der Rechtsanwalt grundsätzlich auf die Prüfung des Erledigungsvermerks in der Handakte beschränken. Ist die Erledigung der Eintragung im Fristenkalender ordnungsgemäß in der Handakte vermerkt und drängen sich an der Richtigkeit insoweit keine Zweifel auf, braucht der Rechtsanwalt nicht noch zu überprüfen, ob das Fristende auch tatsächlich (korrekt) im Fristenkalender eingetragen ist. Andernfalls würde die Einschaltung von Bürokräften in die Fristenüberwachung weitgehend sinnlos, die jedoch aus organisatorischen Gründen erforderlich und deshalb zulässig ist.

In weiteren Entscheidungen[2] hat der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung dahingehend präzisiert, dass ein Rechtsanwalt nur dann von einer eigenständigen Prüfung des Fristenkalenders befreit ist, wenn die Büroorganisation die klare Anweisung erhält, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender eingetragen werden müssen, bevor ein entsprechender Vermerk in der Akte eingetragen werden kann. Sonst besteht nämlich die Gefahr, dass der Erledigungsvermerk in der Handakte bereits vor der Eintragung in den Kalender angebracht wird die Gegenkontrolle versagt.

Ein Prozessbevollmächtigter darf dann nicht auf die Bewilligung einer Fristverlängerung vertrauen, wenn er selbst die nicht rechtzeitige Stellung des Fristverlängerungsantrag durch ein eigenes Versehen schuldhaft veranlasst hat[3]

Im hier vom Oberlandesgericht Bamberg entschiedenen Berufungsverfahren führten der Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers, sowie die eidesstattliche Versicherung seiner Kanzleiangestellten nicht dazu, dass die schuldlose Fristversäumung glaubhaft gemacht wurde, denn beide beschränken sich darauf mitzuteilen, dass der Rechtsanwalt die handschriftlich auf der Urteilsabschrift notierte Fristberechnung kontrolliert und hinsichtlich der Übertragung in den Fristenkalender von einer korrekten Übertragung ausgegangen sei. Nicht behauptet wurde hingegen konkret, dass die Erledigung der Eintragung im Fristenkalender auch in der Handakte vermerkt worden sei. Dass die allgemeine Anweisung an das Büropersonal bestanden habe, zuerst die Fristen zu berechnen, sie dann im Kalender einzutragen und erst danach ein entsprechender Vermerk anzubringen, lässt sich der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags und der Eidesstattlichen Versicherung nicht entnehmen.

Damit steht auf Basis des Vortrags des Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers, sowie der Eidesstattliche Versicherung seiner Kanzleiangestellten vom 07.11.2022 gerade nicht fest, dass der Rechtsanwalt auf die (korrekte) Übertragung berechneten Frist in den Fristenkalender vertrauen durfte und seiner Pflicht enthoben gewesen wäre, eigenständig zu überprüfen, ob das Fristende auch (korrekt) im Fristenkalender notiert wurde.

Das Vorbringen des Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers in seinem weiteren Schriftsatz ist nicht innerhalb der Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO erfolgt, nachdem dieser auf die Fristversäumung hingewiesen worden und damit das Hindernis behoben war (§ 234 Abs. 2 ZPO). Das Nachschieben der Gründe war daher nicht zulässig. 

Die vollständige Begründung des Wiedereinsetzungsantrags muss innerhalb der Frist des § 234 ZPO vorgelegt werden. Ein Nachschieben neuer Gründe ist nicht möglich, es sei denn, diese wären – wie im vorliegenden Fall nicht – aktenkundig. Zulässig ist zwar auch nach Ablauf der Frist die Ergänzung fristgerechter Angaben, d. h. solcher, die erkennbar unklar oder unvollständig sind. Lässt das Vorbringen dagegen keinen Ergänzungsbedarf erkennen, ist das Nachschieben unzulässig, und zwar erst recht, wenn die ursprüngliche Darstellung falsch oder unschlüssig war. Auf einen Ergänzungsbedarf hat das Gericht nach § 139 ZPO hinzuweisen[4].

Die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers waren, so das Oberlandesgericht, unschlüssig und nicht etwa erkennbar unklar oder unvollständig, weshalb auch ein Hinweis des Oberlandesgerichts nach § 139 ZPO entbehrlich war:

Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Organisation des Fristenwesens stellt, sind bekannt und müssen einem Anwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein[5]. Tragen die zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags gemachten Angaben diesen Anforderungen nicht Rechnung – lässt sich insbesondere dem Vorbringen des Prozessbevollmächtigten im Wiedereinsetzungsverfahren nicht entnehmen, dass in seinem Büro konkrete, die zeitliche Abfolge der Eintragungen festlegende, organisatorischen Anweisungen bestanden haben – deutet das nicht auf Unklarheiten oder Lücken des Vortrags hin, die aufzuklären oder zu füllen wären, sondern erlaubt den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben[6].

Oberlandesgericht Bamberg, Beschluss vom 16. Dezember 2022 – 11 U 148/22

  1. BGH Beschluss vom 22.01.2008 – VI ZB 46/07 [bei juris] = NJW 2008, 1670 m.w.N.; s. auch Zöller/Greger ZPO 34. Aufl. § 233 Rn. 23.15 Stichwort: Fristenkontrolle m.w.N.[]
  2. vgl. etwa BGH Beschluss vom 12.06.2018 – II ZB 23/17 [bei 11 m.w.N.] = NJW 2018, 2895[]
  3. OLG München Beschluss vom 24.06.2015 – 32 U 718/15[]
  4. Zöller-Greger ZPO 34. Aufl. § 236 Rn. 6a m.w.N.[]
  5. BGH Beschluss vom 12.06.2018 – II ZB 23/17 [bei 16] = NJW 2018, 2895[]
  6. BGH a.a.O.; Beschluss vom 06.02.2018 – II ZB 14/17[]