War die von dem Prozessbevollmächtigten der Partei zulässigerweise gewählte Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes am Tag des Fristablaufs aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen gescheitert und hält das mit dem Wiedereinsetzungsgesuch befasste Gericht einen anderen Übermittlungsweg für zumutbar, womit der Prozessbevollmächtigte nicht zu rechnen brauchte, hat das Gericht vor der Entscheidung hierauf hinzuweisen und der Partei Gelegenheit zur Stellungnahme zur Frage der Zumutbarkeit dieses anderen Übermittlungswegs im konkreten Fall zu geben.

Der Ausgangssachverhalt
In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall war die Berufungsbegründung der Beklagten, einer sich selbst vertretenden Rechtsanwältin, erst einen Tag nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist beim Oberlandesgericht Karlsruhe, dem Oberlandesgericht Karlsruhe, eingegangen. Die Beklagte hat fristgemäß die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt und zur Begründung vorgetragen, aufgrund einer unerwarteten Sperrung durch den Telekommunikationsanbieter sei ihr Kanzleianschluss seit dem Tag des Fristablaufs nicht funktionsfähig gewesen. Sie habe daher die Berufungsbegründung nicht – wie beabsichtigt – am letzten Tag der Begründungsfrist durch Telefax an das Oberlandesgericht Karlsruhe übermitteln können. Auch ihr besonderes elektronisches Anwaltspostfach sei nicht nutzbar gewesen. Allerdings habe sie am 14.07.2021 bei der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts Karlsruhe telefonisch – auf dem ihr einzig möglichen Weg – einen Antrag auf Fristverlängerung bis zum 15.07.2021 gestellt. Auf die Gewährung der Fristverlängerung habe sie unter diesen Umständen, und weil sie die Einwilligung der Gegenseite eingeholt habe, vertrauen dürfen. Da der Kanzleianschluss auch am 15.07.2021 noch nicht wieder funktioniert habe, sei sie an diesem Tag nach Karlsruhe gefahren und habe die Berufungsbegründung persönlich in den Gerichtsbriefkasten eingeworfen.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen[1]:
Die Beklagte sei nicht ohne ihr Verschulden an der fristgemäßen Einreichung der Berufungsbegründung gehindert gewesen. Wenn sie die Sperrung des Anschlusses, wie vorgetragen, am Mittag beziehungsweise am Nachmittag des letzten Tags der Frist bemerkt habe, sei es ihr – wie am Folgetag auch tatsächlich erfolgt – „ohne weiteres möglich gewesen“, die Berufungsbegründung noch an diesem Tag persönlich beim Oberlandesgericht Karlsruhe einzuwerfen. Die einfache Entfernung von ihrer Kanzlei zum Oberlandesgericht Karlsruhe betrage zwischen 63, 2 und 71, 5 km.
Auf die Gewährung einer Fristverlängerung um einen Tag habe die Beklagte nicht vertrauen dürfen. Hierfür hätte sie noch am Tag des Fristablaufs einen schriftlichen Verlängerungsantrag persönlich beim Oberlandesgericht Karlsruhe einwerfen können und müssen. Der innerhalb der Frist beabsichtigte Fristverlängerungsantrag sei lediglich telefonisch der Geschäftsstelle mitgeteilt worden, was dem Schriftformerfordernis nicht genüge. In schriftlicher Form sei der Verlängerungsantrag hingegen erst eine Woche nach Fristablauf gestellt worden.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der diese insbesondere geltend macht, es sei ihr aufgrund einer außergewöhnlichen Gehbehinderung infolge eines Schlaganfalls gerade nicht – wie das Oberlandesgericht Karlsruhe gemeint habe – „ohne weiteres möglich“ gewesen, am Tag des Fristablaufs die Berufungsbegründung persönlich zum Oberlandesgericht Karlsruhe zu bringen. Die Rechtsbeschwerde hatte vor dem Bundesgerichtshof Erfolg. Sie führte zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht Karlsruhe:
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte und auch den Form- und Fristerfordernissen genügende Rechtsbeschwerde der Beklagten ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die angefochtene Entscheidung verletzt, wie die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend macht, in entscheidungserheblicher Weise die Verfahrensgrundrechte der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip.
Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden beziehungsweise die den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren[2].
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat zwar im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass die Berufungsbegründung der Beklagten erst nach Ablauf der bis zum 14.07.2021 verlängerten Begründungsfrist eingegangen und damit verspätet gewesen ist (vgl. § 520 Abs. 2 Satz 1 und 3 ZPO). Mit der vom Oberlandesgericht Karlsruhe gegebenen Begründung kann jedoch ein Verschulden der – sich als Rechtsanwältin selbst vertretenden und deshalb den hierfür geltenden Sorgfaltspflichten unterliegenden[3] – Beklagten an der Fristversäumnis (§ 233 Satz 1 ZPO) nicht angenommen und dementsprechend eine Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist nicht versagt werden.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat allerdings, ohne dies im Einzelnen auszuführen, im Ausgangspunkt noch rechtsfehlerfrei ein Verschulden der Beklagten nicht darin gesehen, dass diese sich organisatorisch auf die Übermittlung der Berufungsbegründung an das Oberlandesgericht Karlsruhe am letzten Tag der Begründungsfrist per Telefax eingerichtet hatte und eine solche wegen der auch den Versand mittels Telefax umfassenden Sperre des Kanzleianschlusses durch den Telekommunikationsanbieter gescheitert war.
Die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax ist in allen Gerichtszweigen uneingeschränkt zulässig[4]. Vom Gesetz eingeräumte prozessuale Fristen dürfen auch bis zu ihrer Grenze ausgenutzt werden[5]. Die dann aufzuwendende erhöhte Sorgfalt, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen[6], reicht jedenfalls nicht so weit, dass die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter auch damit rechnen müssten, durch ein unvorhersehbares Ereignis noch an der rechtzeitigen Einreichung gehindert zu werden[7].
Hiernach hat das Oberlandesgericht Karlsruhe rechtsfehlerfrei angenommen, dass die erst am Tag des Fristablaufs erfolgte Sperre des Kanzleianschlusses für die Beklagte unter Zugrundelegung ihres Vortrags im Wiedereinsetzungsgesuch weder vorhersehbar noch vermeidbar war, auch wenn sie eine Rechnung des Telekommunikationsanbieters mit Blick auf vermeintlich berechtigte eigene Gegenforderungen nicht beglichen hatte. Denn sie stand mit dem Anbieter diesbezüglich in noch laufenden Verhandlungen und musste jedenfalls wegen dessen kurz zuvor unterbreiteten neuen Vergleichsangebots sowie mangels einer entsprechenden Androhung (vgl. § 45k Abs. 2 Satz 1 TKG in der bis zum 30.11.2021 geltenden Fassung) nicht davon ausgehen, dass eine Sperre ihres Anschlusses bevorstand und ihr deshalb die am letzten Tag der Frist beabsichtigte Übermittlung der Berufungsbegründung durch Telefax nicht möglich sein würde. Nach Mitteilung des Anbieters war Ursache der Sperre eine unzureichende interne Abstimmung verschiedener Abteilungen.
Insoweit unterscheidet sich die Situation der Beklagten im Streitfall nicht von den Fällen, in denen nicht vorhersehbare und nicht vermeidbare technische Störungen der EDV-Anlage eine Partei beziehungsweise ihren Prozessbevollmächtigten am rechtzeitigen Erstellen oder Absenden eines Schriftsatzes hindern und die von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als Wiedereinsetzungsgrund anerkannt werden[8].
Von Rechtsfehlern beeinflusst ist jedoch die Annahme des Oberlandesgerichts Karlsruhe, es gereiche der Beklagten zum Verschulden (§ 233 Satz 1 ZPO), dass sie – nachdem das Scheitern der Übermittlung per Telefax spätestens am Nachmittag des Tags des Fristablaufs offenbar geworden war – nicht noch an demselben Tag an den Ort des Oberlandesgerichts Karlsruhe gefahren ist und die Berufungsbegründung persönlich in den Gerichtsbriefkasten eingeworfen hat.
Ausgangspunkt der Beurteilung, ob die Versäumung einer Frist auf dem Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) im Sinne von § 233 Satz 1 ZPO beruht, ist die Frage, ob die Partei mit den nach der jeweiligen prozessualen Lage gegebenen und zumutbaren Anstrengungen die Wahrung ihres rechtlichen Gehörs zu erlangen vermocht hätte[9].
Auf diesem Grundsatz beruht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs, dass von einem Rechtsanwalt, der sich und seine organisatorischen Vorkehrungen darauf eingerichtet hat, einen Schriftsatz weder selbst noch durch Boten oder per Post, sondern durch Telefax zu übermitteln, beim Scheitern der gewählten Übermittlung infolge eines Defekts des Empfangsgeräts grundsätzlich nicht verlangt werden kann, dass er – unter Aufbietung aller nur denkbaren Anstrengungen – innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte Zugangsart sicherstellt[10].
Entscheidend ist neben der Möglichkeit einer bestimmten Übermittlungsart ihre Zumutbarkeit. Daher ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ebenfalls anerkannt, dass es dem Rechtsanwalt, wenn er feststellt, dass das Empfangsgerät gestört ist, zumutbar ist, jedenfalls im gewählten Übermittlungsweg nach Alternativen zu suchen, die sich aufdrängen. Maßgeblich ist hier der geringfügige Aufwand, der zur Nutzung der Übermittlungsalternative erforderlich gewesen wäre[11], etwa die Ermittlung einer anderen Telefaxnummer des Gerichts aus einer allgemein zugänglichen Quelle wie der Internetstartseite oder einer von dort leicht zugänglichen Internetseite[12].
Auch im Falle nicht vorhersehbarer und nicht zu vertretender technischer Störungen des Sendegeräts sind diejenigen Maßnahmen zur Fristwahrung zu ergreifen, die der Partei oder ihrem Prozessbevollmächtigten dann noch möglich und zumutbar sind[13].
Dabei kann ausnahmsweise auch ein anderer als der gewählte Übermittlungsweg als zumutbar im vorgenannten Sinne anzusehen sein, wenn dieser andere Weg sich aufdrängt und der hierfür erforderliche Aufwand geringfügig ist[14].
Unter welchen Voraussetzungen es hiernach einem Rechtsanwalt zum Verschulden gereichen kann, wenn er nach dem – aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen erfolgten – Scheitern der gewählten Übermittlung mittels Telefax den fristwahrenden Schriftsatz nicht noch am Tag des Fristablaufs persönlich zum Gericht bringt, hat der Bundesgerichtshof – soweit ersichtlich – bislang nicht entschieden. Diese Frage bedarf auch vorliegend keiner Entscheidung.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat ein dahingehendes Verschulden der Beklagten bejaht, ohne dieser zuvor die Möglichkeit zu geben, zur Zumutbarkeit etwaiger Übermittlungsalternativen nach den vorgenannten Grundsätzen vorzutragen. Indem es den nach § 139 ZPO gebotenen Hinweis darauf unterlassen hat, dass es den persönlichen Einwurf der Berufungsbegründung beim Oberlandesgericht Karlsruhe noch am Tag des Fristablaufs als der Beklagten „ohne weiteres möglich“ ansieht und hieraus den Vorwurf eines Verschuldens der Beklagten im Sinne von § 233 Satz 1 ZPO ableitet, hat es das Verfahrensgrundrecht der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt und ihr damit zugleich – unter Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) – den Zugang zur Berufungsinstanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert.
Die Beklagte musste nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht damit rechnen, dass ihr das Oberlandesgericht Karlsruhe – ohne vorherigen Hinweis – einen entsprechenden Verschuldensvorwurf machen würde.
Ihr Vorbringen in dem bei dem Oberlandesgericht Karlsruhe angebrachten Wiedereinsetzungsgesuch (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO) hat sich auf diejenigen Umstände erstreckt, die nach der Rechtsprechung für die Gewährung einer Wiedereinsetzung bei Scheitern der gewählten Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes am Tag des Fristablaufs aus von dem Rechtsanwalt nicht zu vertretenden Gründen bedeutsam sind. Die Beklagte hat als der Fristwahrung entgegen- stehendes Hindernis die unerwartete Sperre ihres Kanzleianschlusses durch den Telekommunikationsanbieter geltend gemacht, die den von ihr für die Übermittlung der Berufungsbegründung vorgesehenen Faxversand umfasste, und insoweit unter Glaubhaftmachung die für ihr fehlendes Verschulden an der Sperre sprechenden Umstände vorgetragen. Ferner hat sie sich darauf berufen, dass ihr eine Übermittlung der Berufungsbegründung auf anderem Wege von ihrem Büro aus, etwa über das besondere elektronische Anwaltspostfach, aus diesem Grunde gleichfalls nicht möglich gewesen sei.
Soweit sie in ihrer Schilderung der Abläufe auch die durch sie persönlich am Tag nach Fristablauf erfolgte Überbringung der Berufungsbegründung zum Oberlandesgericht Karlsruhe erwähnt hat, geschah dies erkennbar allein im Zusammenhang mit der Darstellung ihrer noch vor Fristablauf ergriffenen Bemühungen um eine Fristverlängerung bis zum Folgetag. Lediglich auf diese Bemühungen hat sich auch der dem Wiedereinsetzungsgesuch vorausgegangene Hinweis des Oberlandesgerichts Karlsruhe bezogen; die Frage der Zumutbarkeit eines persönlichen Einwurfs der Berufungsbegründung am Tag des Fristablaufs hat das Oberlandesgericht Karlsruhe hingegen nicht thematisiert.
In Anbetracht dieser Umstände durfte das Oberlandesgericht Karlsruhe die Versagung der Wiedereinsetzung nicht ohne vorherige Gewährung rechtlichen Gehörs über einen rechtlichen Hinweis nach § 139 ZPO mit der Begründung versagen, der persönliche Einwurf der Berufungsbegründung beim Oberlandesgericht Karlsruhe noch am Tag des Fristablaufs sei der Beklagten „ohne weiteres möglich“ gewesen.
Die Beklagte hat mit der Rechtsbeschwerde dargelegt, bei einem vorherigen Hinweis des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf seine erst im angefochtenen Beschluss zu erkennen gegebene Auffassung zur Zumutbarkeit eines persönlichen Einwurfs der Berufungsbegründung hätte sie vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass ihre erhebliche körperliche Behinderung einen solchen Übermittlungsweg unzumutbar gemacht hätte. Sie hat im Einzelnen vorgetragen und durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht, dass sie Ende Oktober 2009 einen Schlaganfall erlitten habe, aufgrund dessen sie außergewöhnlich gehbehindert mit einem Grad der Behinderung von 80 sei. Das Laufen sei für sie sehr beschwerlich und kräftezehrend. Für einen Fußweg von 12 Metern benötige sie innerhalb eines Gebäudes zwei Minuten, für den Weg von ihrer Kanzlei zum 10 Meter entfernten Parkplatz einschließlich des Einladens ihres Rollators 25 bis 30 Minuten. Es bestehe eine erhebliche Sturzgefahr. Aufgrund zahlreicher erlittener Stürze leide sie unter einer massiven Angststörung, so dass ein Laufen mit dem Stock nicht mehr und mit dem Rollator im Außenbereich teilweise nur noch eingeschränkt möglich sei. Der Gerichtsbriefkasten sei für sie mit dem Rollator nicht erreichbar gewesen, so dass die Berufungsbegründung an dem Tag nach Fristablauf durch eine zufällig anwesende Person habe eingeworfen werden müssen.
Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht Karlsruhe unter Berücksichtigung dieses Vorbringens eine Zumutbarkeit der persönlichen Übermittlung der Berufungsbegründung durch die Beklagte am Tag des Fristablaufs verneint hätte. Denn solche individuellen Gründe sind bei der Prüfung der Zumutbarkeit von Übermittlungsalternativen zur Fristwahrung von Bedeutung.
Die mit der Rechtsbeschwerde von der Beklagten vorgebrachten Hinderungsgründe sind auch nicht etwa deshalb für die Prüfung der Zumutbarkeit unerheblich, weil die Beklagte an dem Tag nach Fristablauf die Berufungsbegründung persönlich zum Oberlandesgericht Karlsruhe gebracht hat. Dieses Verhalten der Beklagten nach Fristablauf führte jedenfalls dann nicht zu einer – individuellen – Verschärfung des Sorgfaltsmaßstabs im Hinblick auf die Zumutbarkeit fristwahrender Maßnahmen, wenn es nach den aufgezeigten Grundsätzen der Rechtsprechung als überobligatorisch zu beurteilen wäre. Anderenfalls stünde derjenige, der überobligatorische Maßnahmen zur Fristwahrung ergreift, bei Ausbleiben des Erfolgs schlechter da als derjenige, der insoweit untätig bleibt[15].
Nach alledem konnte die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben; sie war aufzuheben und die nicht entscheidungsreife Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Karlsruhe zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 8. März 2022 – VIII ZB 45/21
- OLG Karlsruhe, Beschluss vom vom 18.08.2021 – 19 U 62/21[↩]
- st. Rspr.; vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 25.08.2015 – 1 BvR 1528/14 9 ff.; BGH, Beschlüsse vom 22.06.2021 – VIII ZB 56/20, NJW 2022, 400 Rn. 13; vom 16.11.2021 – VIII ZB 70/20, NJW-RR 2022, 201 Rn. 11; jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 21.08.2019 – XII ZB 93/19, NJW-RR 2019, 1395 Rn. 8[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 11.01.2011 – VIII ZB 44/10 8; vom 17.12.2020 – III ZB 31/20, NJW 2021, 390 Rn. 17; vom 29.09.2021 – VII ZB 12/21, WM 2021, 2302 Rn. 23[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 08.05.2018 – VI ZB 5/17, NJW-RR 2018, 958 Rn. 11 mwN [für die Wiedereinsetzungsfrist]; vom 28.04.2020 – X ZR 60/19, NJW 2020, 2194 Rn. 7 [für die Berufungsbegründungsfrist][↩]
- vgl. hierzu nur BGH, Beschlüsse vom 13.02.2007 – VIII ZB 40/06, NJW 2007, 2559 Rn. 11; vom 20.04.2016 – XII ZB 390/15, NJW-RR 2016, 882 Rn. 10; vom 09.05.2017 – VIII ZB 5/16, NJW-RR 2017, 953 Rn. 16; jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 23.04.1998 – I ZB 2/98, NJW 1998, 2677 unter II[↩]
- siehe nur BGH, Beschlüsse vom 12.02.2015 – V ZB 75/13, NJW-RR 2015, 1196 Rn. 10; vom 22.11.2017 – VII ZB 67/15, FamRZ 2018, 281 Rn. 23; jeweils mwN[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 17.12.2020 – III ZB 31/20, NJW 2021, 390 Rn. 24; vom 29.09.2021 – VII ZB 12/21, WM 2021, 2302 Rn. 29[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 05.09.2012 – VII ZB 25/12, NJW 2012, 3516 Rn. 10; vom 27.06.2017 – II ZB 22/16, NJW-RR 2017, 1084 Rn. 12; vom 28.04.2020 – X ZR 60/19, NJW 2020, 2194 Rn. 15; vom 29.09.2021 – VII ZB 12/21, WM 2021, 2302 Rn. 29; vom 02.12.2021 – III ZB 42/21 14; vgl. auch BVerfG NJW 1996, 2857, 2858; NJW 2000, 1636[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 05.09.2012 – VII ZB 25/12, aaO Rn. 11; vom 17.12.2020 – III ZB 31/20, aaO Rn. 25; vom 29.09.2021 – VII ZB 12/21, aaO Rn. 30; vom 02.12.2021 – III ZB 42/21, aaO[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 26.01.2017 – I ZB 43/16, NJW-RR 2017, 629 Rn. 15; vom 27.06.2017 – II ZB 22/16, aaO Rn. 14 bis 16[↩]
- vgl. nur BGH, Beschluss vom 26.06.1996 – IV ZB 5/96, NJW-RR 1996, 1275; BayObLG, NJW-RR 1998, 418; MünchKomm-ZPO/Stackmann, 6. Aufl., § 233 Rn. 160[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 17.12.2020 – III ZB 31/20, NJW 2021, 390 Rn. 26; vom 25.02.2021 – III ZB 34/20 16; vom 29.09.2021 – VII ZB 12/21, WM 2021, 2302 Rn. 31; vom 02.12.2021 – III ZB 42/21 16 [jeweils für das besondere elektronische Anwaltspostfach][↩]
- vgl. hierzu BGH, Urteil vom 19.12.1991 – VII ZR 155/91, NJW 1992, 1047 unter – II mwN; Beschlüsse vom 11.10.1989 – IVa ZB 7/89, NJW 1990, 188 unter – III 3; vom 08.04.1992 – XII ZB 34/92, NJW-RR 1992, 1020 unter II; vom 06.05.2015 – VII ZB 19/14, NJW 2015, 2266 Rn. 14[↩]