Wird eine bei einem Haftpflichtversicherer angestellte Rechtsanwältin zur Unterstützung von Versicherungsnehmern des Haftpflichtversicherers bei der Abwehr unberechtigter Haftpflichtansprüche tätig, handelt sie in Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers i.S.v. § 46 Abs. 5 Satz 1 BRAO[1].

Gemäß § 46a BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt auf Antrag zu erteilen, wenn die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen zum Beruf des Rechtsanwalts gemäß § 4 BRAO erfüllt sind, kein Zulassungsversagungsgrund nach § 7 BRAO vorliegt und die Tätigkeit den Anforderungen des § 46 Abs. 2 bis 5 BRAO entspricht.
Diese Voraussetzungen liegen im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Falle des Zulassungsantrages einer bei einem Haftpflichtversicherer angestellten Rechtsanwältin vor:
Die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt erfolgt tätigkeitsbezogen (§ 46a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 46b Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 BRAO)[2]. Streitgegenständlich ist daher, ob die Tätigkeit der Rechtsanwältin für die M. zulassungsfähig ist. Unerheblich ist, dass das entsprechende Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich beendet wurde[3]. Liegen die Voraussetzungen für eine von der Rechtsanwaltskammer abgelehnte Zulassung vor, ist diese daher auch dann noch – für die dem Zulassungsantrag zugrundeliegende Tätigkeit und den betroffenen Zeitraum – zu erteilen, wenn die Verpflichtung der Rechtsanwaltskammer zur Zulassung erst im Verlauf des den Ablehnungsbescheid betreffenden Rechtsstreits rechtskräftig festgestellt wird und zu diesem Zeitpunkt die Tätigkeit, auf die sich der Zulassungsantrag bezieht, bereits beendet ist.
Die Rechtsanwältin erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für den Zugang zur Rechtsanwaltschaft. Sie hat die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz erlangt (§ 4 BRAO). Ein Zulassungshindernis gemäß § 7 BRAO besteht nicht.
Die Tätigkeit der Rechtsanwältin entsprach auch den Anforderungen des § 46 Abs. 2 bis 5 BRAO.
Soweit die Rechtsanwältin nach den von ihr eingereichten Tätigkeitsbeschreibungen und ihrer Anhörung vor dem Anwaltsgerichtshof sowie dem Bundesgerichtshof Versicherungsnehmer ihrer Arbeitgeberin in deren Eigenschaft als Haftpflichtversicherer betreute und unterstützte, war sie in Rechtsangelegenheiten ihrer Arbeitgeberin i.S.v. § 46 Abs. 5 Satz 1 BRAO tätig.
Bei dem Merkmal der Tätigkeit in Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers (§ 46 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 BRAO) handelt es sich um eine tatbestandliche Voraussetzung für die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt. Ist der Betreffende in den Rechtsangelegenheiten der Kunden des Arbeitgebers tätig, fehlt es an der für die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt erforderlichen vorgenannten Voraussetzung, dass sich die Tätigkeit auf die Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers beschränkt. Wer etwa bei den Kunden seines Arbeitgebers als externer Datenschutzbeauftragter eingesetzt oder gegenüber diesen als Rentenberater tätig wird, ist nicht in den Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers, sondern in denjenigen von dessen Kunden tätig[4]. Die rechtliche Beratung von Kunden des Arbeitgebers steht nach § 46 Abs. 5 BRAO einer Zulassung als Syndikusrechtsanwalt entgegen, auch wenn die Wahrnehmung von Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers die Tätigkeit des Antragstellers prägt und dieser nur vereinzelt dessen Kunden berät. Jede rechtsberatende Tätigkeit in Rechtsangelegenheiten eines Kunden des Arbeitgebers schließt unabhängig von deren Umfang grundsätzlich eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt aus[5].
Hiermit ist indes die Tätigkeit der hier klagenden Rechtsanwältin nicht vergleichbar.
Nach den Bekundungen der Rechtsanwältin in ihrer Anhörung durch den Bundesgerichtshof wurden die von ihr zu bearbeitenden Schadensfälle zu etwa 80 % von Maklern und im Übrigen von den Versicherungsnehmern selbst angezeigt. Die Schadensfallbearbeitung habe rund 60 % ihrer Arbeitszeit in Anspruch genommen. Etwa die Hälfte hiervon sei auf die Prüfung des Versicherungsschutzes entfallen. Bei den vom Versicherungsschutz umfassten Fällen habe es sich überwiegend um unberechtigte, abzuwehrende Ansprüche gehandelt. Sie habe zu diesem Zweck regelmäßig gemeinsam mit den Versicherungsnehmern, den Maklern und den von den Versicherungsnehmern beauftragten Rechtsanwälten die Abwehrstrategie besprochen, etwa in Telefonkonferenzen. In der Hälfte dieser Fälle hätten die Versicherungsnehmer von Anfang an einen Rechtsanwalt mandatiert, auch in den weiteren Fällen sei häufig ein Rechtsanwalt mit der Anspruchsabwehr beauftragt worden. Die Versicherungsnehmer hätten – entsprechend dem gewährten Versicherungsschutz – einen Anspruch auf Mandatierung eines Rechtsanwalts gehabt, ihre Arbeitgeberin habe allerdings in Bezug auf die Auswahl des Rechtsanwalts grundsätzlich ein Weisungsrecht gehabt.
Auch bei und nach Beauftragung eines Rechtsanwalts sei sie, die Rechtsanwältin, in der Fallbetreuung „eng am Ball“ geblieben. Sie habe gegenüber den Rechtsanwälten darauf bestanden, sich eng mit ihr abzustimmen. Jeder Schriftsatz habe von ihr freigegeben werden müssen. Dabei sei es auch vorgekommen, dass sie eingegriffen und Änderungen verlangt habe. Sie habe jeweils die Schriftsätze der Gegenseite gesehen. Bei vielen außergerichtlichen Verhandlungen, zum Beispiel – im Falle der Geschäftsführerhaftung – mit Insolvenzverwaltern, sei sie zugegen gewesen. Ähnlich habe es sich bei der gerichtlichen Abwehr unberechtigter Ansprüche verhalten. Hier sei ebenfalls eine Abstimmung mit ihr erforderlich gewesen. Sie sei die Herrin des Verfahrens geblieben. Die Fäden seien weiterhin bei ihr zusammengelaufen.
Der Bundesgerichtshof hält die Bekundungen der Rechtsanwältin für glaubhaft. Sie hat ihre Tätigkeit ausgesprochen detailreich, lebhaft und nachvollziehbar geschildert. Einzelne Verfahrensabläufe und ihren eigenen Verantwortungsbereich konnte sie plausibel und authentisch darstellen. Dabei vermochte die Rechtsanwältin auch aus ihrer Sicht unerwartete und sehr spezielle Fragen ohne Zögern, widerspruchsfrei und überzeugend zu beantworten. Der Bundesgerichtshof hat keine Zweifel, dass die Bekundungen der Rechtsanwältin ihre Aufgaben und Tätigkeiten bei ihrer ehemaligen Arbeitgeberin zutreffend wiedergeben.
Auf der Grundlage dieser Bekundungen betraf die gesamte Tätigkeit der Rechtsanwältin im Bereich der Schadensfallbearbeitung Rechtsangelegenheiten ihrer Arbeitgeberin i.S.v. § 46 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 BRAO.
Dies gilt zunächst, soweit die Rechtsanwältin nach der Meldung von Schadensfällen zu prüfen hatte, ob Versicherungsschutz bestand. Diese Prüfung betraf ohne Zweifel Rechtsangelegenheiten der Arbeitgeberin der Rechtsanwältin. Gleiches gilt, soweit sie – nach Bejahung des Versicherungsschutzes – bei berechtigten Ansprüchen gegen den Versicherungsnehmer in die Schadensregulierung eintrat.
Aber auch, soweit die Rechtsanwältin bei bestehendem Versicherungsschutz – wie von ihr in der Anhörung vor dem Bundesgerichtshof und dem Anwaltsgerichtshof sowie in den von ihr eingereichten Tätigkeitsbeschreibungen geschildert – Versicherungsnehmer bei der Abwehr unberechtigter Haftpflichtansprüche unterstützte, handelte sie in Rechtsangelegenheiten ihrer Arbeitgeberin.
Dem besonderen Bereich der Haftpflichtversicherung und hier der Abwehr unberechtigter Haftpflichtansprüche gegen den Versicherungsnehmer ist es zu eigen, dass Versicherer und Versicherungsnehmer bei der Anspruchsabwehr in einem notwendig gleichgerichteten Interesse handeln. Daher lässt in dieser besonderen Fallgruppe der Umstand, dass ein Mitarbeiter des Haftpflichtversicherers Versicherungsnehmer bei der Anspruchsabwehr unterstützt, nicht den Schluss darauf zu, dass er nicht in Rechtsangelegenheiten seines Arbeitgebers tätig wird. Denn die Unterstützung der Versicherungsnehmer erfolgt hier – aus Sicht des Versicherungsmitarbeiters – allein zu dem Zweck, die Schadensregulierung durch den Versicherer zu vermeiden. Sie erfolgt damit primär im Interesse seines Arbeitgebers[6]. Im Unterschied zu den vom Bundesgerichtshof bisher entschiedenen Fällen handelte es sich mithin bei der Unterstützung von Versicherungsnehmern der Arbeitgeberin der Rechtsanwältin nicht vorrangig um eine Leistung, zu deren Erbringung sich die Arbeitgeberin der Rechtsanwältin zuvor verpflichtet hatte. Vielmehr diente die von der Rechtsanwältin unterstützte Anspruchsabwehr unmittelbar ihrer andernfalls einstandspflichtigen Arbeitgeberin[7]. Die Rechtsanwältin war mithin, auch wenn sie zu diesem Zweck Versicherungsnehmer unterstützte, in Rechtsangelegenheiten ihrer Arbeitgeberin i.S.v. § 46 Abs. 5 Satz 1 BRAO tätig.
Die gesetzliche Beschränkung auf die Tätigkeit des Syndikusrechtsanwalts für seinen Arbeitgeber in dessen Rechtsangelegenheiten soll eine Gefährdung der anwaltlichen Unabhängigkeit durch das Einwirken fremder wirtschaftlicher Interessen verhindern[8]. Eine solche Gefährdung der anwaltlichen Unabhängigkeit war im Falle der die Versicherungsnehmer ihrer Arbeitgeberin unterstützenden Tätigkeit der Rechtsanwältin nicht gegeben. Soweit im Einzelfall ein Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse des Versicherers an der Abwehr unberechtigter, gegen den Versicherungsnehmer geltend gemachter Ansprüche und den Interessen des Versicherungsnehmers an einer dennoch erfolgenden Schadensregulierung bestanden haben sollte, wurde die Rechtsanwältin nach den von ihr vorgelegten Tätigkeitsbeschreibungen nicht zur Regulierung solcher Schäden tätig, hinsichtlich derer keine Ansprüche gegen die Versicherungsnehmer bestanden. Vielmehr unterstützte sie die Versicherungsnehmer allein bei der Abwehr unberechtigter Ansprüche. Diese Tätigkeit lag im Interesse ihrer Arbeitgeberin, deren Einstandspflicht durch die Rechtsanwältin abgewehrt werden sollte und in deren Rechtsangelegenheiten sie dabei tätig wurde.
Die Vertretung widerstreitender Interessen durch die Rechtsanwältin ist auch nicht erkennbar, soweit sie in Schadensfällen mit Versicherungsmaklern in Kontakt trat. Soweit Schadensfälle von Maklern an die Rechtsanwältin gemeldet wurden, begründet dies noch keine widerstreitenden Interessen in vorstehendem Sinne. Gleiches gilt für den Fall, dass die Rechtsanwältin, wenn der gemeldete Schaden seitens ihrer Arbeitgeberin zu regulieren war, den Makler hierüber informierte. Aber auch, soweit bei der Erörterung der Abwehr unberechtigter Ansprüche mit den Versicherungsnehmern und deren Rechtsanwälten Makler hinzugezogen wurden, hatte die Rechtsanwältin nicht widerstreitende Interessen zu vertreten. Vielmehr waren in derartigen Fällen das Interesse des – den Versicherungsnehmer betreuenden Maklers und das von der Rechtsanwältin verfolgte Interesse ihrer Arbeitgeberin ebenfalls notwendig gleichgerichtet.
Da die Rechtsanwältin nach alledem auch, soweit sie Versicherungsnehmer bei der Abwehr unberechtigter Ansprüche unterstützte, in Rechtsangelegenheiten ihrer Arbeitgeberin i.S.v. § 46 Abs. 5 Satz 1 BRAO tätig war, besteht kein Grund, diesen Aufgabenbereich nicht bei der Ermittlung des Anteils der anwaltlichen Tätigkeit der Rechtsanwältin zu berücksichtigen.
Die Rechtsanwältin übte ihre Tätigkeit im hier entschiedenen Fall auch fachlich unabhängig und eigenverantwortlich aus (§ 46 Abs. 3 und 4 BRAO). Nach der von ihr eingereichten Tätigkeitsbeschreibung war sie bevollmächtigt, Schadensfälle bis USD 500.000 zu regulieren beziehungsweise bis USD 250.000 Versicherungsschutz zu versagen. Im Rahmen dieser Größenordnungen sei sie bevollmächtigt, ihre Arbeitgeberin uneingeschränkt nach außen verbindlich zu vertreten und alle notwendigen Erklärungen und Rechtshandlungen vorzunehmen.
Zweifel bestehen insoweit für den Bundesgerichtshof auch nicht in Anbetracht der „Richtlinien und Anweisungen der Gesellschaft“, welche die Rechtsanwältin gemäß ihres Arbeitsvertrages zu beachten hat. Zwar können Regelungen, die Weisungen in Bezug auf die anwaltliche Tätigkeit des Betroffenen beinhalten, der Unabhängigkeit dieser Tätigkeit entgegenstehen[9]. Vorliegend war eine Beeinträchtigung der fachlichen Unabhängigkeit der Tätigkeit der Rechtsanwältin durch die „Richtlinien und Anweisungen“ indes ausgeschlossen, weil nach der insoweit getroffenen Ergänzungsabrede zum Arbeitsvertrag die Rechtsanwältin keinen allgemeinen Weisungen unterlag, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung ausschlossen, und etwaige vormalige Regelungen, die die fachliche Unabhängigkeit der Tätigkeit der Rechtsanwältin einschränkten oder ihr entgegenstanden, aufgehoben wurden. Hätten mithin die „Richtlinien und Anweisungen“ fachbezogene Regelungen enthalten, die geeignet waren, die fachliche Unabhängigkeit der Tätigkeit der Rechtsanwältin zu beeinträchtigen, galten sie nach der Ergänzungsabrede nicht für die Rechtsanwältin.
Das im Arbeitsvertrag bestimmte Versetzungsrecht steht der Annahme einer fachlichen Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der Rechtsanwältin (vgl. § 46 Abs. 3 und 4 BRAO) ebenfalls nicht entgegen[10].
Der Bayerische Anwaltsgerichtshof in München hat im vorliegenden Fall in der Vorinstanz auch zu Recht eine Prägung des Arbeitsverhältnisses der Rechtsanwältin durch anwaltliche Tätigkeiten (§ 46 Abs. 3 BRAO) angenommen[11]:
Die Schadensfallbearbeitung durch die Rechtsanwältin, die 60 % ihrer Arbeitszeit in Anspruch nimmt, ist anwaltliche Tätigkeit i.S.v. § 46 Abs. 3 BRAO. Dies gilt sowohl für die Prüfung des Versicherungsschutzes als auch für die Regulierung berechtigter Ansprüche gegen Versicherungsnehmer der Arbeitgeberin der Rechtsanwältin. Auch bei den von der Rechtsanwältin in ihrer Anhörung durch den Bundesgerichtshof – glaubhaft – geschilderten Tätigkeiten zur Abwehr unberechtigter Ansprüche handelte es sich ohne Zweifel um anwaltliche Tätigkeiten i.S.v. § 46 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BRAO.
Zwar ist einzuräumen, dass die Bemerkung in dem angefochtenen Urteil, die weiteren 40 % der Tätigkeit der Rechtsanwältin fielen auf den Bereich „wording“ sowie Organisation (Statistik, Teamleitung etc.) keine eindeutige Zuordnung dieser Tätigkeiten zum anwaltlichen oder nichtanwaltlichen Bereich durch den Anwaltsgerichtshof erkennen lassen. Indes kann eine solche Zuordnung aufgrund der glaubhaften Bekundungen der Rechtsanwältin vor dem Anwaltsgerichtshof und dem Bundesgerichtshof sowie der von ihr eingereichten Tätigkeitsbeschreibungen erfolgen. Danach waren die organisatorischen Tätigkeiten der Rechtsanwältin nichtanwaltlicher Natur. Sie nahmen nach den Angaben in der eingereichten Tätigkeitsbeschreibung 20 % ihrer Arbeitskraft in Anspruch. Der Schwerpunkt der Aufgaben der Rechtsanwältin hat sich im Verlauf ihres Arbeitsverhältnisses auch nicht von einer anwaltlich sachbearbeitenden zu einer organisatorischen Tätigkeit verschoben. Nach den Angaben der Rechtsanwältin in ihrer Anhörung durch den Bundesgerichtshof war seit Beginn ihrer Tätigkeit seitens der Schadenabteilung ihrer Arbeitgeberin eine wachsende Anzahl von Schadensfällen zu bearbeiten und wurden neue juristische Mitarbeiter eingestellt. Ausweislich der eingereichten Tätigkeitsbeschreibung der Rechtsanwältin war ihr zu diesem Zeitpunkt nur eine weitere Juristin unterstellt. Die Rechtsanwältin hat bekundet, es seien im Verlauf ihrer Tätigkeit weitere juristische Mitarbeiter angestellt worden, deren Vorgesetzte sie gewesen sei. Sie habe diese Mitarbeiter angelernt und an die zu erledigenden Aufgaben herangeführt, etwa mittels Prüfungsschemata oder kurzer Besprechungen aus Anlass von konkreten Einzelfällen. Insgesamt habe die Begleitung der neuen Kollegen nur einen geringen Anteil ihrer Arbeitszeit in Anspruch genommen. Der ihr vorgesetzte Hauptbevollmächtigte der Versicherungsgesellschaft hat als Zeuge hat bekundet, es hätten in der Schadenabteilung insgesamt drei Juristen gearbeitet, die Rechtsanwältin und zwei ihr unterstellte Juristen.
Auf der Grundlage dieser – glaubhaften – Bekundungen der Rechtsanwältin und des Zeugen kann nicht angenommen werden, dass sich die Tätigkeit der Rechtsanwältin von einer anwaltlich sachbearbeitenden zu einer nichtanwaltlich organisatorischen Tätigkeit verschoben hat. Vielmehr ergibt sich aus ihren Angaben sowie der Aussage des Zeugen , dass ihre Arbeit auch später noch der Darstellung der von ihr eingereichten Tätigkeitsbeschreibungen entsprach und im Hinblick auf die Leitung der Schadenabteilung nur wenige organisatorische Elemente umfasste.
Weitere bis zu 20 % entfielen auf die von der Rechtsanwältin in der mündlichen Anhörung vor dem Bundesgerichtshof und dem Anwaltsgerichtshof genannten Tätigkeiten des „wordings“ und des Beschwerdemanagements. Bei dem „wording“ handelte es sich nach den Angaben der Rechtsanwältin und der eingereichten Tätigkeitsbeschreibung um die Prüfung der Versicherbarkeit einzelner Risiken und die Beratung bei der Gestaltung von Versicherungsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Bedingungen mit dem Versicherungsvertragsgesetz und der Rechtsprechung. Das ist fraglos anwaltliche Tätigkeit. Die Rechtsanwältin hat in ihrer Anhörung durch den Bundesgerichtshof glaubhaft bekundet, anfangs hätten Versicherungsbedingungen völlig neu entworfen, später an Änderungen der Rechtslage und der Marktbedingungen angepasst werden müssen. Hierfür sei ein eigenes Team zuständig gewesen, dass sich mit ihr, der Rechtsanwältin, abzustimmen gehabt habe, da sie (anfangs) die einzige Juristin gewesen sei. Diese Tätigkeit habe etwas mehr als einen halben Arbeitstag pro Woche in Anspruch genommen, etwa 15 % ihrer Arbeitszeit.
Hinzu kommt als anwaltliche Tätigkeit zumindest teilweise noch das Beschwerdemanagement, das nach den glaubhaften Bekundungen der Rechtsanwältin in ihrer Anhörung durch den Bundesgerichtshof auch die Bearbeitung juristischer Fragestellungen bei Beschwerden – insbesondere bei Einbeziehung des Bundesamtes für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) – betraf, jedoch nur einen geringen Teil ihrer Arbeitskraft, etwa 5 %, in Anspruch nahm.
Unter Berücksichtigung von anwaltlicher Schadensfallbearbeitung, „wording“ und Beschwerdemanagement ergibt sich somit ein Anteil der anwaltlichen Tätigkeit der Rechtsanwältin an ihrer Gesamttätigkeit von 75 bis 80 %. Dies begründet einen eindeutigen anwaltlichen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit, der ihr Arbeitsverhältnis i.S.v. § 46 Abs. 3 BRAO prägte[12].
Die weiter aufgeworfene Frage, ob es neben einer quantitativen auch einer qualitativen Gewichtung der anwaltlichen Tätigkeit bedarf, ist, wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, auf der Grundlage der Gesetzesbegründung eindeutig zu bejahen[13]. Dabei ist zu beachten, dass die anwaltliche Tätigkeit grundsätzlich keine geringwertige Tätigkeit darstellt, sondern eher im Gegenteil eine hochwertige. Ist das Arbeitsverhältnis bereits quantitativ von der anwaltlichen Tätigkeit geprägt, kann für die qualitative Prägung regelmäßig nichts Anderes gelten. Das schließt jedoch eine abschließende Gesamtbewertung der Prägung i.S.v. § 46 Abs. 3 BRAO nicht aus. Im Fall der Rechtsanwältin führt eine solche Gesamtbewertung indes zu keiner abweichenden Beurteilung. Vielmehr hat der Bundesgerichtshof auch in diesem Rahmen auf der Grundlage der glaubhaften Darstellung der Rechtsanwältin die Überzeugung gewonnen, dass der Schwerpunkt ihrer Tätigkeiten eindeutig anwaltlicher Natur war.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 2. November 2020 – AnwZ (Brfg) 24/19
- Abgrenzung von BGH, Urteile vom 02.07.2018 – AnwZ (Brfg) 49/17, NJW 2018, 3100 Rn. 39 ff. und 15.10.2018 – AnwZ (Brfg) 58/17 10 ff.[↩]
- s.a. BGH, Urteil vom 29.01.2018 – AnwZ (Brfg) 12/17, BGHZ 217, 226 Rn. 12[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 18.03.2019 – AnwZ (Brfg) 6/18, NJW 2019, 2032 Rn. 14; und vom 30.09.2019 – AnwZ (Brfg) 38/18, NJW 2019, 3644 Rn. 40[↩]
- BGH, Urteile vom 22.06.2020 – AnwZ (Brfg) 23/19, NJW 2020, 2966 Rn. 22 f.; vom 02.07.2018 – AnwZ (Brfg) 49/17, NJW 2018, 3100 Rn. 41 ff.; und vom 15.10.2018 – AnwZ (Brfg) 58/17 10 f.[↩]
- BGH, Urteil vom 22.06.2020, aaO Rn. 24 ff.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 03.05.2007 – I ZR 19/05, NJW 2007, 3570 Rn. 23 zum unmittelbar eigenen wirtschaftlichen Interesse des Versicherers, der gegenüber dem Geschädigten zu dem Rechtsverhältnis zwischen diesem und dem von ihm beauftragten Sachverständigen Stellung nimmt[↩]
- anders im Falle der Mitarbeiterin einer Versicherungsmaklerin, die Kunden ihrer Arbeitgeberin bei Schadensfällen berät: BGH, Beschluss vom 16.08.2019 – AnwZ (Brfg) 58/18 23 ff.[↩]
- Fraktionsentwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte, BT-Drs. 18/5201, S. 30; vgl. hierzu BGH, Urteile vom 22.06.2020, aaO Rn. 29; und vom 02.07.2018, aaO Rn. 49[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 01.08.2017 – AnwZ (Brfg) 14/17, NJW 2017, 2835 Rn. 12; vgl. dagegen zu unternehmensinternen reinen Compliance-Vorschriften ohne fachlichen Bezug Bundesgerichtshof, Beschlüsse vom 29.01.2019 – AnwZ (Brfg) 16/18 28; und vom 12.03.2018 – AnwZ (Brfg) 15/17 12[↩]
- vgl. die zum Versetzungsrecht in jüngerer Zeit ergangene Rechtsprechung: BGH, Beschlüsse vom 15.08.2019 – AnwZ (Brfg) 36/19 22; vom 26.06.2019, AnwZ (Brfg) 29/19 16; und vom 02.04.2019 – AnwZ (Brfg) 77/18 24 sowie AnwZ (Brfg) 83/18 21[↩]
- BayAGH, Beschluss vom 28.11.2018 – BayAGH I-5 – 26/18[↩]
- vgl. hierzu BGH, Urteil vom 30.09.2019 – AnwZ (Brfg) 63/17, NJW 2019, 3649 Rn. 18: Anteil von 65 % anwaltlicher Tätigkeit am unteren Rand des für eine anwaltliche Prägung des Arbeitsverhältnisses Erforderlichen; vgl. ferner BGH, Urteile vom 14.01.2019 – AnwZ (Brfg) 25/18, NJW 2019, 927 Rn. 27; und vom 15.10.2018 – AnwZ (Brfg) 20/18, NJW 2018, 3701 Rn. 82; Beschluss vom 16.05.2019 AnwZ (Brfg) 35/17 9[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 02.04.2019 – AnwZ (Brfg) 77/18 und AnwZ (Brfg) 83/18[↩]