Eine anwaltliche Gebührenbestimmung für die gegenüber einem Verbraucher entstandene Vergütungsansprüche einer Erstberatung entspricht nicht der Billigkeit, wenn sie rein zeitabhängig und ohne Berücksichtigung des Gegenstandswerts erfolgt.

In dem vorliegend vom Amtsgericht Stuttgart entschiedenen Fall war zwischen den Parteien zumindest ein Anwaltsvertrag bezüglich einer Erstberatung, wobei es sich um eine „Einstiegsberatung“ handelt[1], durch schlüssiges Verhalten zustande gekommen. Denn die Mandantin hat sich ratsuchend an den Rechtsanwalt gewandt und eine erste Einschätzung telefonisch erhalten.
Dabei ist die Mandantin dem Rechtsanwalt als Verbraucherin entgegen getreten. Maßgebend für die Frage, ob der Mandant als Verbraucher anzusehen ist, ist ob die Angelegenheit den privaten Lebensbereich oder den Bereich einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit des Mandanten zuzuordnen ist[2]. Dass letzteres der Fall wäre ergibt sich insbesondere nicht bereits aus der Verwendung einer geschäftlichen E-Mail-Adresse.
Für die danach gegenüber einem Verbraucher erbrachte Erstberatung konnte der Rechtsanwalt eine Vergütung nur nach Maßgabe der §§ 34 Abs. 1 Satz 3, 14 RVG i.V.m. 612, 315 BGB beanspruchen, denn eine Gebührenvereinbarung vermochte er nicht nachzuweisen. Die danach angemessene Gebühr beträgt EUR 48, 20.
Eine Abrechnung auf Grundlage einer Gebührenvereinbarung, deren Abschluss vorliegend formfrei möglich gewesen wäre (§ 3a Abs. 1 Satz 4 RVG), ist dem Rechtsanwalt verwehrt, da er auch den Abschluss einer mündlichen Gebührenvereinbarung nicht nachzuweisen vermochte, nachdem die Mandantin dies auch im Rahmen ihrer Parteivernehmung gemäß § 445 ZPO glaubhaft bestritten hat.
Gemäß § 14 Abs. 1 Satz1 RVG, welcher hier entsprechend anzuwenden ist (§ 34 Abs. 1 Satz 3 RVG), bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Dass seine Bestimmung der Billigkeit entspricht, hat der Rechtsanwalt darzulegen und im Streitfall zu beweisen. Unbillig ist eine Gebührenbestimmung nur dann, wenn die Bewertung des Sachverhalts nach den Bemessungskriterien des § 14 RVG unter Berücksichtigung der gebotenen gleichen Behandlung gleichartiger Fälle eine Gebühr ergibt, die von der vom Rechtsanwalt bestimmten Gebühr derartig abweicht, dass die Abweichung im Interesse der Gebührengerechtigkeit nicht mehr hingenommen werden kann[3]. Insoweit wird dem Rechtsanwalt bei der Bestimmung einer angemessenen Rahmengebühr ein Spielraum von 20% Abweichung zur angemessenen Gebühr zugebilligt („Toleranzgrenze“)[4]. Entspricht die Gebührenbestimmung danach nicht der Billigkeit, ist die billige Gebühr durch Urteil zu bestimmen (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB; vergl. Winkler, a.a.O., Rn. 54). Danach stellt sich die durch den Rechtsanwalt getroffene Gebührenbestimmung von 249, 90 € (brutto, einschließlich Auslagenpauschale) nach Ansicht des Amtsgerichts Stuttgart als unbillig dar. An ihre Stelle tritt die gerichtlich bestimmte Gebühr in Höhe von 48, 20 € (brutto, einschließlich Auslagenpauschale gem. VV 7002, 7008 RVG).
Die Frage, nach welchen Kriterien die Gebührenbestimmung für eine anwaltliche Erstberatung gegenüber einem Verbraucher im Einzelnen zu erfolgen hat, ist soweit ersichtlich bislang weder in Rechtsprechung noch in Literatur hinreichend geklärt[5]. Ausgangspunkt für die Bestimmung der angemessenen Gebühr ist zunächst der Umstand, dass der Gesetzgeber den Gebührentatbestand gem. Nr. 2100 VV RVG a.F. in der bis 30.06.2006 geltenden Fassung) beseitigt hat und es dem Rechtsanwalt – der den gesetzgeberischen Appell, eine Gebührenvereinbarung zu treffen, nicht umsetzt – damit überlassen hat, die angemessene Gebühr zu bestimmen. Ein schlichter Rückgriff auf den durch den Gesetzgeber abgeschafften Gebührentatbestand (Nr. 2100 VV RVG a.F.) erscheint insoweit nicht angezeigt, da sich dies schwerlich mit dem Willen des Gesetzgebers vereinbaren ließe, der diesen Tatbestand gerade abgeschafft hat[6].
Ebensowenig entspräche es aber im Rahmen der hier fraglichen Bestimmung der gegenüber einem Verbraucher angemessenen Gebühr der Billigkeit, schlicht ein Zeithonorar von EUR 150, 00 pro Stunde als angemessen anzusehen, auch wenn dies der übliche Stundensatz für die Vergütung eines Rechtsanwalts sein mag[7]. Denn dies ließe außer Betracht, dass gem. § 14 RVG ein maßgebendes Bewertungskriterium die Bedeutung der Angelegenheit und damit auch der Gegenstandswert ist. Dieser ist zwar regelmäßig im Rahmen der Gebührenbestimmung gemäß § 14 RVG nicht gesondert zu berücksichtigen, da er bereits über die Verknüpfung mit den Wertgebühren in die abzubrechende Gebührenhöhe einfließt[8]. Da dies in Fällen der vorliegenden Art im Ausgangspunkt jedoch gerade nicht der Fall ist, kommt dem Gegenstandswert eine wichtige Rolle bei der Bestimmung der angemessenen Gebühr zu[9]. Für die Berücksichtigung des Streitwerts spricht auch, dass auf diese Weise Wertungswidersprüche vermieden werden. Denn in Fällen, in denen der Auftrag nach der Erstberatung auf die außergerichtliche Vertretung ausgeweitet würde, wäre die Gebühr für die Erstberatung in Ermangelung einer Gebührenvereinbarung gem. § 34 Abs. 2 RVG anzurechnen. Es erschiene aber gebührenrechtlich nicht stimmig, wenn eine angemessen bestimmte Gebühr für die – regelmäßig weniger umfangreiche – Erstberatung die vorgerichtliche Geschäftsgebühr für die – regelmäßig umfangreichere – Tätigkeit im Rahmen der außergerichtlichen Vertretung übersteigen würde. Zudem kann nicht außer Betracht bleiben, dass die Einführung der Erstberatungsgebühr – die im Grundsatz beibehalten werden sollte[10] – den Schritt zum Anwalt erleichtern sollte[11]. Die Bestimmung der Erstberatungsgebühr allein an Hand eines Zeithonorars, würde dieses ursprüngliche gesetzgeberische Ziel bei niedrigen Streitwerten aber konterkarieren. Dafür, dass der Gesetzgeber derartiges mit der Abschaffung der Nr. 2100 VV RVG a.F. bezweckte, ist nichts ersichtlich.
Die angemessene Gebühr ist daher nach Auffassung des Amtsgerichts in Anlehnung an den Gebührentatbestand der Nr. 2100 VV RVG[12] zu bestimmen. Ausschlaggebend hierfür ist zunächst, dass nach dem oben Gesagten auf eine Verknüpfung der Gebührenhöhe mit dem Streitwert nicht verzichtet werden kann. Soweit in der Literatur befürwortet wird, den Streitwert im Rahmen einer wertenden Einzelfallbetrachtung einfließen zu lassen und jeweils mit den übrigen Kriterien des § 14 RVG abzuwägen[13], erscheint dies problembehaftet und streitanfällig. Praxistauglicher erscheint es dem Amtsgericht auf den aktuellen Gebührentatbestand, der einer Erstberatung am ähnlichsten ist (Nr. 2100 VV RVG n.F.), zurückzugreifen, da die dort enthaltene Rahmengebühr die Berücksichtigung der übrigen Wertungskriterien des § 14 RVG ebenfalls ermöglicht.
Eine Überschreitung der sich hieraus ergebenden Mittelgebühr (0,75) ist im vorliegenden Fall nicht angezeigt. Zwar ist dem Rechtsanwalt nicht abzusprechen, dass zur sachgerechten Bearbeitung der streitgegenständlichen Angelegenheit Spezialkenntnisse im Bereich der Fluggastrechte erforderlich waren. Dieser Umstand wird jedoch dadurch aufgewogen, dass es sich um einen einfach gelagerten Sachverhalt handelt. Die angemessene Gebühr beträgt demnach EUR 48, 20 (0,75 Gebühr aus einem Gegenstandswert von 331 €, zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer). Da die durch den Rechtsanwalt bestimmte Gebühr weit außerhalb der sich hieraus ergebenden Toleranzgrenzen liegt, kann seine Gebührenbestimmung keinen Bestand haben und war durch die gerichtlich bestimmte Gebühr zu ersetzen.
Amtsgericht Stuttgart, Urteil vom 20. März 2014 – 1 C 4057/12
- vergl Mayer/Kroiß-Teubel/Winkler, RVG, 6. Auflg., 2013, § 34 Rn. 97[↩]
- vergl. Teubel/Winkler, a.a.O., Rn. 98ff; Gerold/Schmidt-Mayer, RVG. 21. Auflg., 2013, § 34 Rn. 51ff, je. m.w.N.[↩]
- vergl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.04.2012, Az.: III-2 Ws 67/12 m.w.N.; sowie Gerold/Schmidt-Mayer, RVG. 21. Auflg., 2013 § 14 Rn. 6ff; Mayer/Kroiß-Winkler, RVG, 6. Auflg., 2013, § 14 Rn. 11ff; je m.w.N.[↩]
- vergl. BGH GRUR 2014, 206 Rn. 24 m.w.N.[↩]
- ebenso Mayer/Kroiß-Teubel/Winkler, RVG, 6. Auflg., 2013, § 34 Rn. 107[↩]
- im Ergebnis ebenso Gerold/Schmidt-Mayer, RVG. 21. Auflg., 2013, § 34 Rn. 47[↩]
- vergl. Gutachten der RAK Berlin vom 18.07.2013; Bl. 115 d.A.[↩]
- vergl. Gerold/Schmidt-Mayer, RVG. 21. Auflg., 2013, § 14 Rn. 17 m.w.N.[↩]
- i.E. ähnlich: Bischof/Jungbauer-Bischof; RVG, 4. Auflg., 2011, § 34 Rn. 48, der jedoch betont, dass nicht allein auf den Streitwert abzustellen ist; sowie Mayer, a.a.O., § 34, Rn. 49[↩]
- vergl. BT Drcks. 15/1971, S. 238[↩]
- Teubel/Winkler, a.a.O., Rn. 94[↩]
- in der ab 01.07.2006 geltenden Fassung; i.d.F.: „n.F.“[↩]
- Bischof, a.a.O. Rn. 49[↩]






