Nachweis einer Anwaltsvollmacht

Dem Richter ist es nach der Rechtsschutzgarantie des Art. 24 der Landesverfassung Rheinland-Pfalz ver­wehrt, durch übermäßig strenge Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften den Anspruch auf die gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts unzumutbar zu ver­kürzen. Erfolgt der Ein­spruch im Bußgeldverfahren durch einen Rechtsanwalt, spricht eine Ver­mutung dafür, dass er hierzu auch bevollmächtigt ist. Eine Vollmacht zur Ein­legung eines Einspruchs muss nach allgemeiner Auffassung nicht schriftlich erteilt werden. Allein aus einer zu einem späteren Zeitpunkt unterschriebenen Vollmachtsurkunde kann nicht auf die fehlende Bevollmächtigung im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung geschlossen werden.

Nachweis einer Anwaltsvollmacht

Mit dieser Begründung hat der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in dem hier vorliegenden Fall der Verfassungsbeschwerde stattgegeben, mit der sich der Betroffener in einem Bußgeldverfah­ren gegen die Entscheidungen des Amts- und Landgerichts gewehrt hat.

Wegen einer ihm vorgeworfenen Geschwindigkeitsüberschreitung wurde im Oktober 2019 der Beschwerdeführer als Betroffener in einem Bußgeldverfahren angehört. Sein Bevollmächtigter wandte sich im November 2019 mit einem Schreiben an die Verwal­tungsbehörde, in dem er in der Betreffzeile das Aktenzeichen und den Namen des Beschwerdeführers angab, im Fließtext aufgrund eines Versehens allerdings die Ver­tretung einer näher bezeichneten Firma anzeigte. Wenige Tage später legte der Bevoll­mächtigte mit weiterem Schreiben – nunmehr ausschließlich namens des Beschwerde­führers – Einspruch gegen den zwischenzeitlich zugestellten Bußgeldbescheid ein und erhielt auf seinen Antrag hin Akteneinsicht. Nach Abgabe des Verfahrens an das Amts­gericht bestimmte dieses den Hauptverhandlungstermin zunächst auf Mitte April 2020, verlegte diesen sodann auf Juni 2020 und zuletzt auf Anfang August 2020. Auf schrift­lichen Antrag seines Bevollmächtigten wurde der Beschwerdeführer von der Verpflich­tung zum persönlichen Erscheinen entbunden. Nachdem das Amtsgericht im Juni 2020 darauf hingewiesen hatte, dass der Einspruch von November 2019 nach vorläufiger Einschätzung nicht wirksam eingelegt worden sei, da trotz wiederholter Aufforderung keine Verteidigervoll­macht vorgelegt worden sei, reichte der Bevollmächtigte des Beschwerde­führers eine auf den 30. Mai 2020 datierte und unterschriebene Vollmachtsurkunde zu den Gerichtsakten.

Sowohl vom Amtsgericht als auch vom Landgericht ist der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid als unzulässig verworfen worden. Zwar sei das Einspruchsschreiben des Verteidigers grundsätzlich fristwahrend bei der zuständigen Bußgeldbehörde eingegangen. Es genüge jedoch nicht den Anforderungen an einen wirksamen Einspruch. Hierfür sei erforderlich, dass die Vollmacht bereits zum Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels erteilt worden und dies auch nachgewiesen sei. Daran fehle es. Die am 27. Juni 2020 eingereichte Vollmacht sei ersichtlich erst am 30. Mai 2020 unterzeichnet worden. Die­ser Zeitpunkt liege jedoch deutlich nach dem Zeitpunkt der Einspruchseinlegung.

Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz ist der Auffassung, dass die Entscheidungen des Amts- sowie des Landgerichts den Beschwerde­führer in seinem Recht auf ein faires Verfahren in Verbindung mit der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes verletzen. Aus der Rechtsschutzgarantie des Art. 124 der Landesver­fassung als einer prozessrechtlichen Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips folge das Verbot, den Zugang zu den Gerichten in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Dem Richter sei es insbesondere ver­wehrt, durch übermäßig strenge Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften den Anspruch auf die gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts unzumutbar zu ver­kürzen.

Die angegriffenen Beschlüsse seien mit diesen Vorgaben nicht zu vereinbaren, da sie die Anforderungen an den Nachweis einer Vollmacht überspannten. Werde der Ein­spruch im Bußgeldverfahren durch einen Rechtsanwalt eingelegt, spre­che – auch vor dem Hintergrund seiner Stellung als Organ der Rechtspflege – in der Regel eine Ver­mutung dafür, dass er hierzu bevollmächtigt sei. Eine andere Beurteilung lasse sich allenfalls bei dem Vorliegen konkreter, gegen eine Bevollmächtigung spre­chender Anhaltspunkte rechtfertigen. In diesem Fall sei davon aber nicht auszugehen. Zwar ent­halte der erste Schriftsatz des Bevollmächtigten den Hinweis auf die Vertretung einer anderen Firma. Unter Berücksichtigung seiner nachfolgenden Schriftsätze und Anträge, in denen stets das korrekte Aktenzeichen sowie der Name des Beschwerde­führers angegeben worden seien, handele es sich aber offensichtlich um ein Schreib­versehen.

Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer mit der späteren Vorlage der Voll­machtsurkunde aber auch das Bestehen einer Bevollmächtigung nachgewiesen. Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz betont, dass die in den angegriffenen Entschei­dungen vertretene Auffassung offen­kundig unzutreffend sei, durch die Vorlage einer nach Ablauf der Einspruchsfrist unterschriebenen Vollmachtsurkunde könne der Nachweis einer Bevollmächtigung im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung nicht geführt werden. Da eine Vollmacht zur Ein­legung eines Einspruchs nach allgemeiner Auffassung auch bereits nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1912 nicht schriftlich erteilt werden müsse, verkürze es den Rechtsschutz des Betroffenen unangemessen, allein aus einer zu einem späteren Zeitpunkt unterschriebenen Vollmachtsurkunde auf die fehlende Bevollmächtigung im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung zu schließen.

Aus diesen Gründen hat der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz der Verfassungsbeschwerde stattgegeben.

Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 28. Januar 2021 – VGH B 71/20