Ein Rechtsanwalt ist zur gesonderten Überprüfung der weisungsgemäßen Erstellung, Vorlage und Absendung eines fristgebundenen Schriftsatzes durch qualifizierte Mitarbeiter nur verpflichtet, wenn ihm aufgrund der ihm bekannten Umstände ein von diesen begangener Fehler offenbar wird.

In dem hier vom Bundesgerichshof entschiedenen Fall hatte die Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dies damit begründet, ihr Prozessbevollmächtigter habe an einem zunächst erstellten Entwurf der Berufungsbegründung am 23.05.2011 noch eigenhändig am PC eine Ergänzung vorgenommen. Anschließend habe er eine Mitarbeiterin angewiesen, die Berufungsbegründung „auszufertigen“, d.h. die Datei in dreifacher Ausfertigung auszudrucken und zur Unterschrift vorzulegen, und mit der zur Einsicht überlassenen Gerichtsakte an das Gericht abzusenden. Das Anschreiben vom 23.05.2011, mit dem die Akte zurückgesandt wurde, sei am Nachmittag gefertigt und ihm nach Rückkehr von Mandantengesprächen am Abend des 23.05.2011 zur Unterschrift vorgelegt worden. Er sei davon ausgegangen, dass die Berufungsbegründung bereits versandt gewesen und die Unterschrift von seinem Vertreter geleistet worden sei. Entgegen seiner Anweisung sei die Berufungsbegründung hingegen nicht ausgefertigt worden. Vielmehr sei nur die Gerichtsakte mit einem Anschreiben am 24.05.2011 eingereicht worden. Seine Mitarbeiterin habe die Berufungsbegründungsfrist aufgrund des Eingangsstempels „24.05.2011“ auf dem Aktenrücksendungsschreiben am selben Tag gelöscht.
Der Bundesgerichtshof gewährte die Wiedereinsetzung:
Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten war zunächst nicht gehalten, die Ausführung der von ihm erteilten Weisung, die Berufungsbegründung auszufertigen, zu überprüfen oder die Ausführung durch organisatorische Vorkehrungen zu sichern. Denn es handelte sich um eine Anweisung im Rahmen der Anfertigung fristgebundener Schriftsätze, deren Ausführung von der allgemeinen Fristen- und Ausgangskontrolle umfasst wird. Anders als die mündliche Anweisung zur Eintragung einer Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist wies die Weisung keine besondere Schwierigkeit auf und bedurfte die Ausführung der Weisung keiner besonderen Kontrolle.
Auch aufgrund der Vorlage des Anschreibens zur Rücksendung der Akten trafen den Prozessbevollmächtigten der Beklagten keine weiteren Überprüfungspflichten.
Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom Rechtsanwalt regelmäßig zu überprüfen, ob die Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfrist korrekt eingetragen sind, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt werden[1]. Daran mangelte es indessen im vorliegenden Fall nicht, weil die Frist zur Berufungsbegründung zutreffend eingetragen war.
Die Fristen- und Ausgangskontrolle darf ein Rechtsanwalt in zulässiger Weise seinen Büroangestellten übertragen[2]. Der Rechtsanwalt genügt in diesem Fall seinen Pflichten, indem er eine fachlich einwandfreie Kanzleiorganisation sicherstellt und seine mit der Fristen- und Ausgangskontrolle betrauten Angestellten sorgfältig aussucht und etwa durch Stichproben kontrolliert. Wird er diesen Anforderungen gerecht, so ist es ihm nicht als eigenes Verschulden anzulasten, wenn seine Angestellten im Einzelfall die Fristen- oder die Ausgangskontrolle nicht oder nicht sorgfältig durchführen[3].
Allerdings können besondere Umstände dem Rechtsanwalt Veranlassung dazu geben, die Einhaltung von Fristen und den Postausgang selbst zu kontrollieren, wenn ihm diesbezügliche Fehler seiner Angestellten offenbar werden[4]. Eine derartige besondere Überprüfungspflicht bleibt aber auf den Fall beschränkt, dass dem Rechtsanwalt ein Versäumnis seiner Angestellten offenbar wird. Zu einer allgemeinen Überwachung seiner Angestellten darauf, ob seine Anweisungen ausgeführt werden, ist der Rechtsanwalt dagegen nicht verpflichtet[2].
Nach den aufgeführten Grundsätzen trifft den Prozessbevollmächtigten der Beklagten kein Verschulden an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist.
Nach dem vom Oberlandesgericht als glaubhaft gemacht zugrunde gelegten Sachverhalt konnte der Prozessbevollmächtigte sich auf die allgemeinen Kontrollmechanismen verlassen, dass eine nicht unterschriebene und abgesandte Berufungsbegründung bei der Fristenüberwachung aufgefallen und die Löschung der Frist dann unterblieben wäre. Aus der alleinigen Vorlage des Anschreibens betreffend die Aktenrücksendung musste er nicht den Schluss ziehen, dass die Berufungsbegründung nicht ausgefertigt und abgesendet worden war. Vielmehr konnte er davon ausgehen, dass die Berufungsbegründung während seiner mehrstündigen Abwesenheit ausgefertigt und dabei von seinem Vertreter im Dezernat unterschrieben worden war. Auch wenn ihm eine isolierte Vorlage des Anschreibens möglicherweise Anlass für eine Rückfrage hätte geben können, war damit jedenfalls ein Fehler der Angestellten für den Prozessbevollmächtigten noch nicht offenbar. Da sich die von ihm erteilte Weisung nach der Glaubhaftmachung allgemein auf die Ausfertigung der Berufungsbegründungsschrift bezog, hätte sie im Übrigen auch in der Weise ausgeführt werden können, dass während seiner Abwesenheit sein Vertreter im Dezernat die Unterschrift leistete. Den Prozessbevollmächtigten traf auch keine weitere Pflicht zur Nachforschung, so dass ihm ein Verschulden an der Fristversäumung nicht vorzuwerfen ist. Vielmehr konnte er sich auf die allgemeine Fristenüberwachung verlassen, die das Versäumnis hätte aufzeigen müssen. Dass seine Mitarbeiterin die Frist zu Unrecht als erledigt gestrichen hat, ist ihm nicht als Verschulden zuzurechnen.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12. September 2012 – XII ZB 528/11
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 01.12.2004 – XII ZB 164/03, FamRZ 2005, 435; vom 19.10.2011 – XII ZB 250/11, FamRZ 2012, 106 Rn. 9 und vom 02.11.2011 – XII ZB 317/11, FamRZ 2012, 108 Rn. 11[↩]
- Musielak/Grandel ZPO 9. Aufl. § 233 Rn. 22 mwN[↩][↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 22.04.2009 – XII ZB 167/08, NJW-RR 2009, 937 Rn. 15[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 13.11.2002 – XII ZB 104/01 NJW-RR 2003, 490 betreffend den Postausgang[↩]