Die Übermittlung eines finanzgerichtlichen Urteils als elektronisches Dokument an das besondere elektronische Anwaltspostfach und der Übermittlungszeitpunkt sind nach der im Jahr 2021 geltenden Rechtslage nachgewiesen, wenn der Prozessbevollmächtigte unmittelbar nach dem Erhalt der Nachricht ein von ihm qualifiziert signiertes elektronisches Empfangsbekenntnis an das Finanzgericht übermittelt und anschließend den erforderlichen Gegenbeweis nicht führen kann, dass die Übermittlung entgegen den Angaben im elektronischen Empfangsbekenntnis fehlgeschlagen sei.

Urteile der Finanzgerichte sind nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) an den Prozessbevollmächtigten zuzustellen (§ 104 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 und § 62 Abs. 6 Satz 5 FGO). Nach den im Mai 2021 (dem Zustellungsmonat) geltenden Regelungen in § 174 Abs. 3 Sätze 1 und 3 ZPO i.d.F. vom 12.12.2019 (ZPO a.F.) sowie in § 174 Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F. durfte das Finanzgericht das ergangene Urteil an den Prozessbevollmächtigten der Kläger als Rechtsanwalt auch als elektronisches Dokument auf einem sicheren Übermittlungsweg i.S. des § 130a Abs. 4 ZPO a.F. zustellen, wenn es gegen die unbefugte Kenntnisnahme Dritter geschützt, d.h. verschlüsselt, war. Zu den sicheren Übermittlungswegen zählte gemäß § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO a.F. auch die Zustellung an das elektronische Anwaltspostfach[1]. Gemäß § 174 Abs. 4 Sätze 3 bis 5 ZPO a.F. ist in diesem Fall die Zustellung des Urteils als elektronisches Dokument durch ein elektronisches Empfangsbekenntnis nachzuweisen[2].
Das hier streitgegenständliche Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg[3] erfüllte die Anforderungen an ein elektronisches Dokument. Zweifel an der Wirksamkeit der qualifizierten elektronischen Signatur des Urteils durch die Berufsrichter des Finanzgericht, die an der Entscheidung mitgewirkt haben (vgl. § 105 Abs. 1 Sätze 2 und 4 i.V.m. § 52a Abs. 7 Satz 1 FGO, ebenso § 130b ZPO), bestehen nicht. Das vom Prozessbevollmächtigten mit der Beschwerde zur Akte gereichte Prüfprotokoll zu seinem elektronischen Anwaltspostfach vom 08.06.2021 zeigt zwar bei den mathematischen Signaturprüfungen für die unterzeichnenden Richter des Finanzgericht jeweils ungültige Ergebnisse „wegen fehlender Inhaltsdaten“. An der qualifizierten elektronischen Signatur der Entscheidung durch die mitwirkenden Berufsrichter mit gültigen Signaturdaten und damit an einer wirksamen Unterzeichnung des Urteils (§ 105 Abs. 1 Satz 2, § 52a Abs. 7 FGO) bestehen jedoch keine Zweifel. Nach dem Transfervermerk, der in der elektronischen Finanzgericht-Akte abgelegt ist, wurden sämtliche Signaturen geprüft und nicht beanstandet. Bei der Übermittlung des Urteils auf einem sicheren Übermittlungsweg (hier: an das elektronische Anwaltspostfach gemäß § 130a Abs. 2 Nr. 4 ZPO a.F.) kann auf die nochmalige qualifizierte elektronische Signatur der Entscheidung verzichtet werden[4], was Ursache für den Prüffehler beim Prozessbevollmächtigten gewesen sein mag.
Die wirksame Zustellung des Urteils an das besondere elektronische Anwaltspostfach des Prozessbevollmächtigten ist durch das qualifiziert signierte elektronische Empfangsbekenntnis des Prozessbevollmächtigten vom 17.05.2021 nachgewiesen. Ein unmittelbar nach dem Erhalt der Nachricht des Finanzgericht zurückgesandtes elektronisches Empfangsbekenntnis erbringt wie ein auf dem Postweg zurückgesandtes Empfangsbekenntnis Beweis für die Entgegennahme des bezeichneten Schriftstücks und für den Zeitpunkt des Empfangs[5]. Den erforderlichen Gegenbeweis, dass die Übermittlung entgegen den Angaben im elektronischen Empfangsbekenntnis fehlgeschlagen ist, haben die Kläger nicht erbracht. Zwar wird im Prüfprotokoll vom 08.06.2021 zum elektronischen Anwaltspostfach des Klägers ausgesagt: „Informationen zum Übermittlungsweg: Der Versand der Nachricht durch die Justiz kann nicht bestätigt werden, da die Prüfung des Herkunftsnachweises zu dem Ergebnis unbestimmt führte“. Hieraus lassen sich aber keine durchgreifenden Zweifel am Eingang des Urteils im elektronischen Anwaltspostfach am 17.05.2021 ableiten. Das Prüfprotokoll enthält zum einen auch die Angabe „Gesamtprüfergebnis: Sämtliche durchgeführten Prüfungen lieferten ein positives Ergebnis“ und zeigt zum anderen im Inhaltsdatencontainer des elektronischen Anwaltspostfachs des Prozessbevollmächtigten für Nachrichten vom Absender „Finanzgericht Baden-Württemberg“, dass Dateien zum FG, Urteil vom 10.05.2021 und eine Datei zur Abschrift des Empfangsbekenntnisses vom 17.05.2021 dort eingegangen sind. Hierfür und für dessen rechtzeitige Kenntnisnahme spricht schließlich auch, dass die Kläger die Nichtzulassungsbeschwerde durch den Prozessbevollmächtigten innerhalb der gesetzlichen Frist gemäß § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO rechtzeitig erhoben haben.
Soweit die Kläger vorbringen, das Finanzgericht habe zu den einzelnen Schätzungsgrundlagen im Rahmen der Nachkalkulation, insbesondere zu den Posten des berichtigten Wareneinsatzes, die zugrunde liegenden Sachverhalte selbst aufklären und würdigen müssen, statt sich die Feststellungen des Finanzamts zu eigen zu machen, machen die Kläger Verstöße des Finanzgericht gegen dessen Pflicht zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) als Verfahrensfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend. Da die Kläger und der Prozessbevollmächtigte unentschuldigt nicht an der mündlichen Verhandlung teilgenommen haben, können sie solche Verstöße mit der Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nicht mehr rügen.
Der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz ist eine Verfahrensvorschrift, auf deren Einhaltung ein Beteiligter ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO). Ein fachkundig vertretener Beteiligter kann danach einen Sachaufklärungsverstoß nicht mehr mit der Verfahrensrüge angreifen, wenn er trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht zur mündlichen Verhandlung erscheint. Dies gilt auch, wenn wie im Streitfall der Beteiligte oder sein Prozessbevollmächtigter der mündlichen Verhandlung mit einer Begründung fernbleibt, die eine beantragte Terminänderung nicht rechtfertigen kann[6]. Das Finanzgericht hatte die Anträge der Kläger auf Verlegung der mündlichen Verhandlung abgelehnt und dies dem Prozessbevollmächtigten auch mitgeteilt. Da die Kläger und der Prozessbevollmächtigte aufgrund dessen von der Durchführung der mündlichen Verhandlung durch das Finanzgericht am 10.05.2021 ausgehen mussten und dieser unentschuldigt ferngeblieben sind, ist der endgültige Rügeverlust eingetreten. Es bestehen auch keine Zweifel daran, dass die Ablehnung der Terminverlegungsanträge durch das Finanzgericht rechtmäßig war. Da die Kläger innerhalb der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde insoweit keine begründeten Verfahrensrügen erhoben haben, hat der Bundesfinanzhof hiervon auszugehen.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 29. November 2022 – VIII B 141/21
- s. Brandis in Tipke/Kruse, § 53 FGO Rz 14b, m.w.N.; Leipold in Hübschmann/Hepp/Spitaler -HHSp-, § 53 FGO Rz 82, 83[↩]
- s. hierzu ebenfalls Brandis in Tipke/Kruse, § 53 FGO Rz 14b; Leipold in HHSp, § 53 FGO Rz 84[↩]
- FG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.05.2021 – 1 K 2219/19[↩]
- Brandis in Tipke/Kruse, § 53 FGO Rz 14b, m.w.N.; Leipold in HHSp, § 53 FGO Rz 83[↩]
- Brandis in Tipke/Kruse, § 53 FGO Rz 14b, m.w.N.[↩]
- BFH, Beschluss vom 07.06.2022 – VIII B 51/21, BFH/NV 2022, 926, Rz 28[↩]