Eine konkrete Einzelanweisung vermag den Rechtsanwalt dann nicht zu entlasten, wenn sie unvollständig ist und deshalb der Fristversäumung nicht wirksam entgegenwirken kann.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers fristwahrend Berufung beim unzuständigen Landgericht eingelegt. Nachdem ihm der richterliche Hinweis zugegangen ist, dass nicht das Landgericht Chemnitz, sondern das Landgericht Zwickau zuständig ist, hat er die Berufung zurückgenommen. Er hat sodann Berufung beim zuständigen Landgericht eingelegt und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die versäumte Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat er vorgetragen und glaubhaft gemacht :
Die bisher stets zuverlässig und gewissenhaft arbeitende Büroangestellte C.P. habe die Berufungsschrift an das früher, inzwischen aber nicht mehr zuständige Landgericht Chemnitz anstatt an das nunmehr zuständige Landgericht Zwickau adressiert. Bei der Vorlage des Entwurfs zur Durchsicht und Unterzeichnung habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers die falsche Adressierung entdeckt. Er habe daraufhin die Angestellte angewiesen, auf der Seite 1 der Berufungsschrift das angerufene Gericht auf das Landgericht Zwickau abzuändern, und auf der zweiten Seite unterschrieben. Die – sonst fehlerfrei arbeitende – Angestellte sei aufgrund besonders starker arbeitsmäßiger Belastung dieser Anweisung nicht gefolgt und habe anlässlich der Abholung der Post beim Landgericht Chemnitz die nicht geänderte Berufungsschrift selbst in der dortigen Poststelle abgegeben.
Das Landgericht Zwickau hat die begehrte Wiedereinsetzung versagt und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, weil dieser die Berufungsfrist nicht ohne Verschulden seines Prozessbevollmächtigten versäumt habe[1]. Der Grundsatz, dass ein der Partei zuzurechnendes Verschulden ihres Anwalts an der Fristversäumung grundsätzlich nicht gegeben ist, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen habe, eine konkrete Einzelanweisung erteile, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte, gelte dann nicht, wenn der Rechtsanwalt von der ihm selbst ohne Weiteres möglichen Beseitigung eines von ihm erkannten Fehlers absehe. Der einzige und gravierende Fehler des Berufungsschriftsatzes bei der Benennung des richtigen Berufungsgerichts hätte nach seiner behaupteten Entdeckung durch eine handschriftliche Korrektur der ersten Seite des einzureichenden Schriftsatzes und/oder durch den (nachfolgenden) Austausch dieser Seite unschwer korrigiert werden können. Diese Möglichkeit der Selbstkorrektur durch den Rechtsanwalt ohne jeden Aufwand setze den Vertrauensgrundsatz außer Kraft[2].
Der Bundesgerichtshof wies die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde – mit gegenüber dem Landgericht Zwickau abweichender Begründung – zurück :
Aus dem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) sowie dem Anspruch jeder Partei auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren[3].
Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs entspricht die angefochtene Entscheidung allerdings der höchstrichterlichen Rechtsprechung :
Zwar darf der Rechtsanwalt, der einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte, grundsätzlich darauf vertrauen, dass sie die konkrete Einzelanweisung befolgt[4]. Danach durfte der Prozessbevollmächtigte des Klägers sich darauf verlassen, dass seine Angestellte den konkreten Einzelauftrag, die von ihm unterzeichnete Berufungsschrift zu berichtigen und dazu die erste Seite des Schriftsatzes auszutauschen, ordnungsgemäß ausführen würde[5]. Dem Prozessbevollmächtigten kann nicht als Verschulden angelastet werden, dass er die Berufungsschrift vor der von ihm für erforderlich gehaltenen Korrektur unterzeichnet hat[6]. Auch traf ihn nicht die Verpflichtung, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern. Die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfalt würden überspannt, wollte man verlangen, dass der Prozessbevollmächtigte bei einer Angestellten, an deren Zuverlässigkeit keine Zweifel bestehen, die Vornahme einer einfachen Berichtigung der falschen Adressierung zu kontrollieren habe[7].
Im Streitfall kommt es auch nicht darauf an, ob der Rechtsanwalt das Anschriftenfeld selbst hätte handschriftlich berichtigen müssen[8]. Eine konkrete Einzelanweisung vermag den Rechtsanwalt jedenfalls dann nicht zu entlasten, wenn sie unvollständig ist und deshalb der Fristversäumung nicht wirksam entgegenwirken kann[9]. So liegt der Fall für den Bundesgerichtshof hier :
Mit der Korrektur der ersten Seite der am letzten Tag der Berufungsfrist gefertigten Berufungsschrift war nicht gewährleistet, dass diese fristwahrend bei dem Landgericht Zwickau eingehen würde. Die fristwahrende Übermittlung von der Kanzlei in Chemnitz zum Landgericht in Zwickau hätte per Fax, gegebenenfalls auf elektronischem Wege oder per Boten erfolgen müssen. Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers dazu, dass dies durch allgemeine organisatorische Vorkehrungen oder durch eine Einzelanweisung gesichert gewesen wäre, fehlt.
Nach allem ist für den Bundesgerichtshof nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger die Berufungsfrist schuldlos versäumt hat (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26. Juni 2012 – VI ZB 12/12
- LG Zwickau, Beschluss vom 27.01.2012 – 6 S 214/11[↩]
- BGH, Beschluss vom 17.08.2011 – I ZB 21/11, NJW-RR 2012, 122[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 05.11.2002 – VI ZB 40/02, NJW 2003, 437 ; BGH, Beschlüsse vom 11.06.2008 – XII ZB 184/07, NJW 2008, 2713 Rn. 6 ; vom 16.02.2010 – VIII ZB 76/09, NJW 2010, 1378 Rn. 5, jeweils mwN[↩]
- vgl. hierzu etwa BGH, Beschlüsse vom 13.04.2010 – VI ZB 65/08, NJW 2010, 2287 Rn. 6 ; vom 09.12.2003 – VI ZB 26/03, VersR 2005, 138 und BGH, Beschluss vom 30.10.2008 – III ZB 54/08, NJW 2009, 296 Rn. 10 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 09.12.2003 – VI ZB 26/03 und BGH, Beschluss vom 30.10.2008 – III ZB 54/08, jew. aaO mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 13.04.2010 – VI ZB 65/08 aaO, Rn. 7 ; BGH, Beschlüsse vom 30.10.2008 – III ZB 54/08, aaO Rn. 9 ; vom 27.02.2003 – III ZB 82/02, NJW-RR 2003, 934, 935 ; vom 04.11.1981 – VIII ZB 59 und 60/81, VersR 1982, 190[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 30.10.2008 – III ZB 54/08, aaO Rn. 10[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 17.08.2011 – I ZB 21/11, aaO Rn. 15[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 23.10.2003 – V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 369 ; vom 06.12.2007 – V ZB 91/07, juris Rn. 8 und vom 21.12.2006 – IX ZB 309/04, AnwBl.2007, 236[↩]