Die unterlassene anwaltliche Beratung und der Beginn der Verjährungsfrist

Wann beginnt der Lauf der Verjährung, wenn eine Ausschlussfrist aufgrund einer unterlassenen anwaltlichen Beratung versäumt wurde? Mit dieser Frage hatte sich jetzt der Bundesgerichtshof zu befassen:

Die unterlassene anwaltliche Beratung und der Beginn der Verjährungsfrist

Anlass hierfür bot dem Bundesgerichtshof ein Fall, in dem die Verjährung des Anspruchs des Klägers sich sich gemäß Art. 229 § 12 Abs. 1 Nr. 3, Art. 229 § 6 Abs. 1 EGBGB noch nach der durch das Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 09.12.2004[1] mit Wirkung zum 15.12.2004 aufgehobenen Vorschrift des § 51b BRAO aF richtete.

Nach § 51b Satz 1 BRAO aF verjährte der Anspruch des Auftraggebers auf Schadensersatz aus dem zwischen ihm und dem Rechtsanwalt bestehenden Vertragsverhältnis in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Anspruch entstanden war.

Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs ist der Schaden, der neben der Pflichtverletzung Anspruchsvoraussetzung ist, nicht erst mit dem Bescheid der Bundesagentur vom 15.04.2009, mit dem der Antrag auf Insolvenzgeld abgelehnt worden ist, eingetreten. Maßgeblich für die Entstehung des Schadens ist vielmehr der Ablauf der Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 SGB III aF in der bis zum 31.12.2003 gültigen Fassung.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entsteht der Schaden dann, wenn sich die Vermögenslage des Betroffenen durch die Pflichtverletzung des Beraters im Vergleich zu seinem früheren Vermögensstand objektiv verschlechtert hat. Dafür genügt es, dass der Schaden wenigstens dem Grunde nach erwachsen ist, mag auch seine Höhe noch nicht beziffert werden können. Es muss nicht feststehen, dass die Vermögenseinbuße bestehen bleibt und damit endgültig wird, vielmehr reicht es aus, dass ein endgültiger Teilschaden entstanden ist und mit weiteren adäquat verursachten Nachteilen gerechnet werden muss[2]. Die Unkenntnis des Schadens und damit des Ersatzanspruchs hindert den Beginn der Verjährung nicht. Eine bloße Vermögensgefährdung reicht für die Annahme eines Schadens dagegen nicht aus. Ein Schaden ist nicht eingetreten, solange nur das Risiko eines Vermögensnachteils besteht, bei der gebotenen wertenden Betrachtung allenfalls eine Vermögensgefährdung vorliegt, es also noch nicht klar ist, ob es wirklich zum Schaden kommt[3].

Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend der Schaden des Klägers am 31.10.2003 eingetreten, weil nach den Feststellungen der Bundesagentur für Arbeit das Insolvenzereignis am 31.08.2003 eingetreten ist. Ende Oktober 2003 war die in § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III aF normierte Ausschlussfrist abgelaufen, innerhalb derer der Kläger den Anspruch auf Insolvenzgeld nach Feststellung des Insolvenzereignisses gemäß dem seinerzeit gültigen § 183 Abs. 1 Nr. 3 SGB III[4] gestellt haben musste.

Gemäß § 183 Abs. 1 Nr. 3 SGB III aF hatten Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren, bei vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden war und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kam. In diesem Fall konnten sie gemäß § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III aF innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis die Zahlung von Insolvenzgeld beantragen. Bei der Versäumung dieser Frist aus Gründen, die der Arbeitnehmer nicht zu vertreten hatte, kam gemäß § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III aF die nachträgliche Zahlung von Insolvenzgeld in Betracht. Eine schuldhafte Versäumung der Frist lag gemäß Satz 3 der Regelung vor, wenn der Arbeitnehmer sich nicht mit der hinreichenden Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hatte.

Aufgrund dieser Regelungen kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht davon ausgegangen werden, dass es für die Entstehung des Schadens darauf ankam, zu welchem Zeitpunkt die Bundesagentur einen nachträglich von dem Arbeitnehmer gemäß § 324 Abs. 3 Satz 2 und 3 InsO gestellten Antrag auf Zahlung von Insolvenzgeld abgelehnt hatte. Vielmehr trat eine objektive Verschlechterung der Vermögenslage des Arbeitnehmers bereits dann ein, als er die Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III aF versäumt hatte[5], ohne einen entsprechenden Antrag gestellt zu haben.

Im Streitfall geht es um den Ablauf einer materiellen Ausschlussfrist, bei deren Versäumung der Mandant zwar unter bestimmten Voraussetzungen, die denen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nahe kommen, den Schaden nachträglich entfallen lassen kann. Dies ändert aber nichts daran, dass für die verjährungsrechtliche Schadensentstehung der Zeitpunkt maßgeblich ist, zu dem die Ausschlussfrist verstrichen ist. Anders als bei der Haftung des Steuerberaters, bei welcher der Schaden regelmäßig erst mit Bekanntgabe des belastenden Steuerbescheids eintritt, weil bis dahin offen ist, ob die Finanzbehörde den für den Mandanten steuerlich ungünstigen Sachverhalt mit der Folge aufgreift, dass die Pflichtverletzung des Beraters zu einer steuerlichen Belastung des Mandanten führt[6], gilt dies für die Haftung des Rechtsanwalts, der aufgrund einer fehlerhaften oder unterbliebenen Belehrung die Versäumung einer Ausschlussfrist verursacht, nicht. Hier ist der Schaden schon mit dem Ablauf der Ausschlussfrist eingetreten. Ob es eine Möglichkeit gibt, diesen Schadenseintritt dadurch aufzufangen, dass sich der Mandant nachträglich wegen der Fristversäumnis entschuldigen kann, ändert nichts an der Tatsache, dass sich der Vermögensbestand des Mandanten objektiv verschlechtert hat und keine bloße Vermögensgefährdung vorliegt.

Ebenso wie im Fall einer durch das pflichtwidrige Verhalten des Rechtsanwalts verursachten, für den Mandanten nachteiligen Entscheidung eines Gerichts der Schaden schon mit der Entscheidung eingetreten ist und es nicht darauf ankommt, ob eine Änderung der Entscheidung in einem weiteren Rechtszug zugunsten des Mandanten erfolgen könnte[7], kommt es auch nicht darauf an, ob es dem Mandanten gelingen könnte, den durch den Ablauf der Ausschlussfrist eingetretenen Schaden durch einen später gestellten Antrag nach § 324 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB III aF noch abzuwenden. Anderenfalls müsste auch die erfolgversprechende Möglichkeit einer Wiedereinsetzung nach den §§ 233 ff ZPO im Fall der Versäumung einer prozessualen Frist dazu führen, dass der Eintritt des Schadens gehindert ist, solange die durch die Fristversäumung eingetretenen Nachteile rückwirkend in einem Wiedereinsetzungsverfahren wieder beseitigt werden können. Einer solchen Betrachtungsweise steht aber die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entgegen, nach der ein infolge der Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde eingetretener Schaden auch dann bestehen bleibt, wenn im Nachhinein versucht wird, Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu erlangen. Die Schädigung des Mandanten durch eine nachteilige Gerichtsentscheidung, die auf einem fehlerhaften Prozessverhalten des Rechtsberaters beruht, entfällt nicht wegen der Unsicherheit, ob der Schaden bestehen bleibt und endgültig wird und damit auch nicht wegen eines Wiedereinsetzungsantrags des Mandanten[8].

Die Auffassung des Landgerichts Oldenburg[9], der vorliegende Fall sei anders zu beurteilen, als die sonstigen Fälle der Versäumung prozessualer oder materieller Ausschlussfristen, weil die Bundesagentur noch Ermittlungen durchzuführen gehabt habe, um den Zeitpunkt der Betriebseinstellung festzulegen, rechtfertigten keine andere Betrachtung. Die Erforderlichkeit von Nachforschungen zur Bestimmung des Zeitpunkts der endgültigen Betriebseinstellung im Sinne des § 183 Abs. 1 Nr. 3 SGB III aF ändert nichts an dem Umstand, dass die Ausschlussfrist von dem Zeitpunkt der später festgestellten Betriebseinstellung an zu berechnen ist. Der Ablauf einer prozessualen Frist kann ebenfalls aufklärungsbedürftig sein.

Ebenfalls keine entscheidende Bedeutung hat es entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung, dass der Bundesagentur bei der Beurteilung der Frage, ob sich der Antragsteller mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat, ein Beurteilungsermessen zusteht. Dieses Beurteilungsermessen bezieht sich nur auf die nachträgliche Feststellung der Voraussetzungen, unter denen der Schaden wieder entfällt, weil der Arbeitnehmer mit seinem verspätet gestellten Antrag ausnahmsweise Erfolg hat. Die Härtefallregelung des § 324 Abs. 1 Satz 2 SGB III aF war auf den Fall der Versäumung der Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III aF nicht anwendbar[10]. Bei der Regelung des § 324 Abs. 3 Satz 3 SGB III aF, bei der es sich um eine spezialgesetzliche Ausprägung des Rechtsinstituts der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand handelte[11], ging es nicht um die Beurteilung der Frage, ob der Arbeitnehmer den Antrag auf Insolvenzgeld rechtzeitig gestellt hatte. Vielmehr war festzustellen, ob er die materielle Ausschlussfrist, deren Versäumnis unumstößlich war, unverschuldet nicht wahrgenommen hatte. Damit gelten die allgemeinen Grundsätze, nach denen die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung nichts daran ändert, dass der Schaden schon mit Versäumung der Frist eingetreten ist.

Die Folgen des Eintritts der Verjährung können auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Sekundäranspruchs abgewendet werden. Dieser begann mit Vollendung der Primärverjährung, also spätestens im Jahr 2006, und war deshalb im Jahr 2009 verjährt. Die Klage ist im Juli 2010 beim Amtsgericht eingereicht worden und konnte deshalb die Verjährung nicht hemmen.

Bundesgerichtshof, Urteil des IX. Zivilsenats vom 25.4.2013 – IX ZR 65/12

  1. BGBl. I S. 3214[]
  2. BGH, Urteil vom 04.04.1991 – IX ZR 215/90, BGHZ 114, 150, 152 f; vom 02.07.1992 IX ZR 268/91, BGHZ 119, 69, 70 f; vom 13.12.2007 IX ZR 130/06, WM 2008, 611 Rn. 10; vom 29.05.2008 IX ZR 222/06, WM 2008, 1416 Rn. 14; vom 16.10.2008 IX ZR 135/07, WM 2008, 2307 Rn. 12; Chab in Zugehör/G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 3. Aufl., Rn. 1352 f[]
  3. BGH, Urteil vom 16.10.2008, aaO[]
  4. in der Fassung des Gesetzes vom 10.12.2001, BGBl. I S. 3443[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 16.10.2008 – IX ZR 135/07, WM 2008, 2307 Rn. 14 mwN[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 03.11.2011 – IX ZR 208/04, WM 2006, 590, 591[]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 27.01.2000 – IX ZR 354/98, WM 2000, 969, 970[]
  8. BGH, Urteil vom 09.12.1999 – IX ZR 129/99, WM 2000, 959, 960; Beschluss vom 28.03.1996 – IX ZR 197/95, WM 1996, 1108, 1109[]
  9. LG Oldenburg, Urteil vom 06.03.2012 – 16 S 222/11[]
  10. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.04.2012 – L 12 AL 5192/11, Rn. 24 mwN[]
  11. vgl. BSGE 71, 213, 214; LSG Baden-Württemberg, aaO Rn. 23; LSG Nordrhein-Westfalen, ZInsO 2013, 36, 39[]