Der Verjährungsbeginn bei der Anwaltshaftung

Die in der Rechtsberaterhaftung für den Beginn der Verjährungsfrist erforderliche Kenntnis von den den Schadensersatzanspruch begründenden Umständen liegt vor, wenn der Mandant aus den ihm bekannten Umständen den Schluss auf einen gegen den Berater gerichteten Schadensersatzanspruch gezogen hat[1].

Der Verjährungsbeginn bei der Anwaltshaftung

Die Verjährung des (hier unterstellten) Schadensersatzanspruchs der Mandantin gegen die Rechtsanwältin richtet sich nach den §§ 194 ff BGB. Danach beträgt die Verjährungsfrist drei Jahre (§ 195 BGB). Da kein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, wurde die Verjährungsfrist in Lauf gesetzt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden war und die Mandantin von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person der Rechtsanwältin als Anspruchsschuldnerin Kenntnis erlangt hatte oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (§ 199 Abs. 1 BGB).

Schadenseintritt

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entsteht der Schaden dann, wenn sich die Vermögenslage des Betroffenen durch die Pflichtverletzung des Rechtsberaters im Vergleich zu seinem früheren Vermögensstand objektiv verschlechtert hat. Dafür genügt es, dass der Schaden wenigstens dem Grunde nach erwachsen ist, mag auch seine Höhe noch nicht beziffert werden können. Es muss nicht feststehen, dass die Vermögenseinbuße bestehen bleibt und damit endgültig wird. In der Regel verschlechtert sich die Vermögenslage des Mandanten bereits mit der ersten nachteiligen Gerichtsentscheidung infolge anwaltlichen Fehlverhaltens in einem Verfahren. Seine frühere Auffassung, dass ein Schaden infolge eines Anwaltsfehlers im Prozess regelmäßig noch nicht eingetreten sei, solange nicht auszuschließen sei, dass die Entscheidung in einem weiteren Rechtszug zugunsten des Mandanten geändert werde, hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich aufgegeben[2].

Im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Streitfall ist danach der Schaden der Mandantin bereits mit dem Beschluss des Familiengerichts über den Versorgungsausgleich im Jahr 2013 eingetreten, mit dem im Blick auf die von der Mandantin während der Ehezeit erworbenen Anwartschaften zu deren Lasten ein um nahezu das Doppelte übersetzter Ausgleichswert berücksichtigt worden ist. Zu diesem Zeitpunkt verschlechterte sich die Vermögenslage der Mandantin infolge der Pflichtverletzung der Rechtsanwältin[3].

Kenntnis des Mandanten

Die Mandantin hat bereits im Laufe des Jahres 2013 Kenntnis von den die Schadensersatzforderung begründenden Umständen und der Person der Rechtsanwältin als Anspruchsschuldnerin erlangt. Dies ergibt sich unter Berücksichtigung des im landgerichtlichen Tatbestand als unstreitig festgestellten Umstands, die Mandantin habe die Rechtsanwältin am 10.12.2013 persönlich aufgefordert, den Haftpflichtversicherer zu informieren, weil ihr ein Schaden entstanden sei.

Unter Berücksichtigung des Umstands, dass im vorliegenden Fall die Mandantin die Rechtsanwältin am 10.12.2013 persönlich aufgefordert hat, den Haftpflichtversicherer zu informieren, weil ihr ein Schaden entstanden sei, ist davon auszugehen, dass sie bereits im Jahr 2013 Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person der Rechtsanwältin als Anspruchsschuldnerin hatte.

Allerdings machen es die Besonderheiten der Rechtsberaterhaftung erforderlich, nicht schon dann von einer Kenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB auszugehen, wenn dem Mandanten nur die tatsächlichen Umstände bekannt sind, aus denen der Schadensersatzanspruch gegen den Berater folgt. Hinzukommen muss die Kenntnis von solchen Tatsachen, aus denen sich für den Mandanten – zumal wenn er juristischer Laie ist – ergibt, dass der Rechtsberater von dem üblichen rechtlichen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht eingeleitet hat, die aus rechtlicher Sicht zur Vermeidung eines Schadens erforderlich waren[4]. Dies findet seinen Grund darin, dass der Mandant in der Regel nicht fachkundig ist, seine rechtlichen Belange dem dazu berufenen Fachmann anvertraut und dessen etwaige Fehlleistungen – eben wegen seiner Rechtsunkenntnis – häufig nicht zu erkennen vermag. Die Fachkunde des Rechtsanwalts und das Vertrauen seines Auftraggebers begründen typischerweise im Rahmen eines Anwaltsvertrags eine Überlegenheit des Anwalts gegenüber seinem regelmäßig rechtsunkundigen Mandanten[5].

Für ein fehlerhaftes Verhalten des Beraters ist aus der Sicht des Mandanten regelmäßig kein Anhalt im Sinne grob fahrlässiger Unkenntnis gegeben, wenn der in Betracht kommende Fehler im Rechtsstreit kontrovers beurteilt wird und der Berater gegenüber dem Mandanten oder in Ausübung des Mandats nach außen hin die Rechtsansicht vertritt, ein Fehlverhalten liege nicht vor. Der Mandant darf sich darauf verlassen, dass der von ihm beauftragte Berater die anstehenden Rechtsfragen fehlerfrei beantwortet und der erteilte Rechtsrat zutreffend ist. Dem Mandanten obliegt es nicht, den Anwalt zu überwachen oder dessen Rechtsansichten durch einen weiteren Rechtsberater überprüfen zu lassen. Rät der Berater zur Fortsetzung des Rechtsstreits, hat der Mandant in der Regel sogar dann keine Kenntnis von der Pflichtwidrigkeit des Beraters, wenn das Gericht oder der Gegner zuvor auf eine Fristversäumung hingewiesen hat[6].

Anders liegt allerdings der Fall, wenn der Mandant aus den ihm bekannten Umständen selbst den Schluss auf einen gegen den Berater gerichteten Schadensersatzanspruch gezogen hat. Mit dem Schadensersatzverlangen gibt der Mandant zu erkennen, dass er dem Berater nicht mehr (uneingeschränkt) vertraut. Im Blick auf den Beginn der Verjährungsfrist ist der Mandant nun nicht mehr schutzwürdig. Er hat zumindest drei Jahre Zeit, den erkannten Schadensersatzanspruch durchzusetzen oder jedenfalls den Lauf der Verjährungsfrist zu hemmen. Gelingt es dem Rechtsberater, das Vertrauen des Mandanten zurückzugewinnen, führt dies weder zu einer Hemmung noch zu einem Neubeginn der Verjährungsfrist. Allerdings kann die vom Rechtsberater erhobene Einrede der Verjährung rechtsmissbräuchlich sein, wenn er seinen Mandanten davon abhält, die Verjährung rechtzeitig zu hemmen. Es gelten die vom Bundesgerichtshof hierzu entwickelten Grundsätze[7].

Danach begann im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall der Lauf der Verjährung mit Ablauf des Jahres 2013. Die Mandantin kannte nicht nur die den Schadensersatzanspruch begründenden tatsächlichen Umstände. Sie hatte darüber hinaus aus den Umständen den Schluss auf eine Schadensersatzpflicht der Rechtsanwältin gezogen und dies durch die Aufforderung zum Ausdruck gebracht, die Rechtsanwältin möge den Haftpflichtversicherer einschalten, weil ihr ein Schaden entstanden sei.

Rechtsmißbräuchliche Verjährungseinrede

Die hiernach Ende 2013 in Lauf gesetzte Verjährungsfrist endete mit Ablauf des 31.12.2016. Die im Februar 2017 anhängig gemachte Klage konnte den Ablauf der Verjährung nicht mehr hemmen, wenn die Frist nicht schon zuvor gehemmt war oder neu begonnen hatte. Feststellungen zu einem Neubeginn oder einer vorangegangenen Hemmung der Verjährung wurden bisher nicht getroffen. Die von ihm getroffenen Feststellungen rechtfertigen auch nicht die Annahme, die Verjährungseinrede der Rechtsanwältin sei rechtsmissbräuchlich.

Der Arglisteinwand kann der Einrede der Verjährung (§ 214 Abs. 1 BGB) indes nicht nur dann entgegengesetzt werden, wenn der Schuldner den Gläubiger absichtlich von der Erhebung der Klage abgehalten hat. Es reicht aus, dass der Schuldner durch sein Verhalten objektiv – sei es auch unabsichtlich bewirkt, dass die Klage nicht rechtzeitig erhoben wird, und die spätere Verjährungseinrede unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls mit dem Gebot von Treu und Glauben unvereinbar wäre. Insoweit ist ein strenger Maßstab anzulegen[8]. Ist der Arglisteinwand begründet, macht es der Zweck der bereits eingetretenen Verjährung erforderlich, dass der Gläubiger seinen Anspruch binnen einer nach Treu und Glauben zu bestimmenden Frist gerichtlich geltend macht[9].

Bisher wurden keine Feststellungen getroffen, welche die von der Rechtsanwältin erhobene Verjährungseinrede als rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen könnten. Die mit dem Schluss des Jahres 2013 angelaufene Verjährung endete erst mit Ablauf des 31.12.2016. Es ist nicht ersichtlich, wodurch die Rechtsanwältin die Mandantin von der rechtzeitigen Hemmung der Verjährung abgehalten haben sollte. Nicht die Rechtsanwältin, sondern der Streithelfer hat versucht, eine Berichtigung oder Abänderung der Entscheidung über den Wertausgleich zu erreichen. Dieser Versuch scheiterte. Die Beschwerde des Streithelfers wurde durch das Oberlandesgericht im September 2014 zurückgewiesen. Zu diesem Zeitpunkt lief die Verjährungsfrist noch mehr als zwei Jahre. Es kann auch nicht angenommen werden, dass die Rechtsanwältin die Mandantin durch die Geltendmachung von Regressansprüchen gegen den Streithelfer von der rechtzeitigen Hemmung der Verjährung des gegen sie gerichteten Schadensersatzanspruchs abgehalten hat. Ersichtlich hat der Streithelfer Regressansprüche von Anfang an abgelehnt. Wodurch es die Rechtsanwältin in Anbetracht dessen bewirkt haben könnte, dass die Mandantin von einer die Verjährungsfrist hemmenden Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs absah, ist nicht erkennbar.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 29. Oktober 2020 – IX ZR 10/20

  1. Ergänzung zu BGH, Urteil vom 06.02.2014 – IX ZR 245/12, BGHZ 200, 172[]
  2. BGH, Urteil vom 06.06.2019 – IX ZR 104/18, ZIP 2019, 1483 Rn. 17 mwN[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 06.06.2019, aaO Rn. 18[]
  4. BGH, Urteil vom 06.02.2014 – IX ZR 245/12, BGHZ 200, 172 Rn. 15[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 06.02.2014, aaO[]
  6. BGH, Urteil vom 06.02.2014, aaO Rn. 17; vom 25.10.2018 – IX ZR 168/17, WM 2019, 787 Rn. 9[]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 29.02.1996 – IX ZR 180/95, ZIP 1996, 791, 793; Beschluss vom 20.11.2008 – IX ZR 145/06, BeckRS 2008, 26023 Rn. 2; Urteil vom 14.11.2013 – IX ZR 215/12, WM 2014, 854 Rn. 15[]
  8. BGH, Urteil vom 14.11.2013, aaO[]
  9. BGH, Urteil vom 14.11.2013, aaO Rn. 18 f[]