Wiedereinsetzung in Rechtsmittelbegründungsfristen – und die Prüfungspflicht des Anwalts

Werden einem Rechtsanwalt die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung vorgelegt, hat er den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen eigenverantwortlich zu prüfen[1].

Wiedereinsetzung in Rechtsmittelbegründungsfristen – und die Prüfungspflicht des Anwalts

Ein Rechtsanwalt hat nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden. Der Rechtsanwalt muss in diesem Fall auch alle weiteren unerledigten Fristen einschließlich ihrer Notierung in den Handakten prüfen. Dabei darf der Anwalt sich allerdings grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken, sofern sich keine Zweifel an deren Richtigkeit aufdrängen. Diese anwaltliche Prüfungspflicht besteht auch dann, wenn die Handakte nicht zugleich zur Bearbeitung mit vorgelegt worden ist, sodass der Rechtsanwalt in diesen Fällen die Vorlage der Handakte zur Fristenkontrolle zu veranlassen hat[2]

Gemessen daran wäre der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin – wie die Rechtsbeschwerde zugesteht – schon bei einer Vorlage der Akte zur Anfertigung der Beschwerdeschrift am 11.10.2022 verpflichtet gewesen, die ordnungsgemäße Eintragung der Beschwerdebegründungsfrist zu überprüfen. Da diese Überprüfung die fehlende Eintragung der Beschwerdebegründungsfrist aufgedeckt hätte, wäre der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin bereits zu diesem Zeitpunkt gehalten gewesen, eine konkrete Einzelanweisung an sein Büropersonal zu erteilen, die Beschwerdebegründungsfrist einschließlich der zugehörigen Vorfristen im Papierkalender und im elektronischen Kalender des Verfahrensbevollmächtigten zu notieren und die Vornahme der Eintragung in der Handakte zu vermerken. Das Unterlassen dieser Prüfung und die Nichtergreifung der gebotenen Maßnahmen zur Sicherstellung der Eintragung der Fristen fällt dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin als eigenes (Anwalts-)Verschulden im Sinne von § 85 Abs. 2 ZPO zur Last. 

Die gebotene konkrete Einzelanweisung an das Büropersonal, die unterbliebene Notierung der Beschwerdebegründungsfrist in den Fristenkalendern nachzuholen, kann nicht in dem am 19.10.2022 an die Kanzleiangestellte D. erteilten Arbeitsauftrag gesehen werden, den Beschluss des Amtsgerichts gemeinsam mit dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Br. nochmals im Hinblick auf die Wahrung der Frist zu überprüfen. Darüber noch hinaus wurde die Beschwerdeschrift dem Verfahrensbevollmächtigten nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts nach dem 20.10.2022 zur Signatur vorgelegt, sodass ihm bei einer Prüfung der Handakte auch zu diesem Zeitpunkt die unterbliebene Eintragung der Beschwerdebegründungsfrist in den Fristenkalendern hätte auffallen müssen. Das Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten kann daher selbst unter dem Gesichtspunkt der sogenannten überholenden Kausalität[3] nicht entfallen. 

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17. April 2024 – XII ZB 454/23

  1. im Anschluss an BGH, Beschluss vom 17.05.2023 – XII ZB 533/22 , FamRZ 2023, 1381[]
  2. vgl. BGH, Beschlüsse vom 17.05.2023 – XII ZB 533/22 , FamRZ 2023, 1381 Rn. 10; und vom 19.10.2022 – XII ZB 113/21 , NJW-RR 2023, 136 Rn. 12 mwN[]
  3. vgl. dazu BGH, Beschluss vom 21.06.2023 – XII ZB 418/22 , FamRZ 2023, 1565 Rn. 17 mwN[]

Bildnachweis:

  • Anwalt: Mohamed Hassan