Vollmachtswiderruf – und die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung

Ein Verwaltungsakt ist auch dann wirksam bekanntgegeben, wenn er an einen zunächst wirksam bestellten Bevollmächtigten übersandt wird, dessen Vollmacht allerdings, wie dem Finanzamt erst kurz nach der Absendung des Verwaltungsaktes angezeigt worden ist, bereits zuvor widerrufen worden war.

Vollmachtswiderruf – und die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall hatte die Klägerin, nachdem ihr Einspruch gegen einen Steuerbescheid vom Finanzamt mit einer Einspruchsentscheidung zurückgewiesen worden war, Klage beim Finanzgericht Münster erhoben. Das Finanzamt hatte die Einspruchsentscheidung zunächst an den ihr von der Klägerin benannten Bevollmächtigten gesandt. Dieser schickte die Einspruchsentscheidung an das Finanzamt zurück und teilte mit, seine Vollmacht sei zwischenzeitlich widerrufen worden. Daraufhin wurde die Einspruchsentscheidung zeitnah an die Klägerin gesandt, die jedoch erst Monate später selbst Klage erhob. Ob die Klage fristgerecht erhoben und damit zulässig war, hing davon ab, ob die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung an den ursprünglichen Bevollmächtigten der Klägerin wirksam war. Grundsätzlich kann die Bekanntgabe eines Steuerbescheids oder einer Einspruchsentscheidung sowohl an den Steuerpflichtigen als auch an den Bevollmächtigten erfolgen. Letzteres gilt aber nur so lange wie das Finanzamt von einer wirksamen Bevollmächtigung ausgehen darf.

Sowohal das Finanzgericht Münster[1] als auch der Bundesfinanzhof bejahten eine wirksame Bekanntgabe an den ehemaligen Bevollmächtigten und sahen die Klage der Klägerin daher als unzulässig an. Die Einspruchsentscheidung sei dem Bevollmächtigten wirksam bekanntgegeben worden, da das Finanzamt nach Aktenlage bis zu der Absendung der Einspruchsentscheidung von einer wirksamen Vollmacht ausgehen durfte. Die Mitteilung des Widerrufs der Vollmacht, die erst nach der Absendung der Einspruchsentscheidung erfolgt sei, stehe dem nicht entgegen, da für die wirksame Bekanntgabe an den Bevollmächtigten nur auf den Kenntnisstand des Finanzamtes zum Zeitpunkt der Absendung abzustellen sei.

Gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO beträgt die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage einen Monat; sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf (Einspruchsentscheidung).

Nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird; er kann aber gemäß Satz 3 der Vorschrift auch gegenüber einem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden. § 122 Abs. 1 Satz 3 AO räumt der Finanzbehörde mithin ein Ermessen ein, ob sie den Verwaltungsakt an den Beteiligten oder an dessen Bevollmächtigten bekannt gibt.

Wird die Einspruchsentscheidung durch die Post übermittelt (§ 366 i.V.m. § 122 Abs. 2 AO), gilt sie gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn sie nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist.

Die Einspruchsentscheidung ist der KG am 05.10.2020 wirksam bekannt gegeben worden. Die einmonatige Klagefrist war daher zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Januar 2021 abgelaufen.

Zutreffend ist das Finanzgericht davon ausgegangen, das Finanzamt habe im Zeitpunkt der Absendung der Einspruchsentscheidung noch davon ausgehen dürfen, dass die KG Bevollmächtigte der Klägerin gewesen sei. Zwar fehlt es an Feststellungen, ob die Klägerin der KG für die Durchführung des Einspruchsverfahrens eine Vollmacht erteilt hatte. Diesbezügliche Feststellungen waren indes entbehrlich. Denn die Bevollmächtigung der KG, einer Berufsausübungsgesellschaft im Sinne des § 3 Satz 1 Nr. 2 des Steuerberatungsgesetzes, wird vorliegend jedenfalls für die Durchführung des Einspruchsverfahrens gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 AO vermutet, da sie für die Klägerin in diesem Verfahren gehandelt hat. So hatte die KG für die Klägerin am 30.04.2020 die Einsprüche gegen die streitgegenständlichen Steuerbescheide eingelegt und überdies in der Folgezeit telefonisch um Fristverlängerung für die Begründung dieser Einsprüche gebeten[2].

Das Finanzamt hat das ihm damit gemäß § 122 Abs. 1 Satz 3 AO eingeräumte Ermessen, die Einspruchsentscheidung vom 30.09.2020 der KG als der (vermuteten) Bevollmächtigten der Klägerin anstatt der Klägerin selbst bekannt zu geben, fehlerfrei ausgeübt. Angesichts des Auftretens der KG im Einspruchsverfahren der Klägerin ist ein Ermessensfehler nicht erkennbar.

Die Einspruchsentscheidung ist laut Absendevermerk des Finanzamtes am 30.09.2020 zur Post gegeben worden. Sie gilt daher der KG als am Montag, dem 05.10.2020, bekannt gegeben (§ 108 Abs. 3 und § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO).

Der Bekanntgabevermutung gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO steht nicht entgegen, dass das Finanzamt nach der Aufgabe der Einspruchsentscheidung zur Post durch das bei ihm am 02.10.2020 eingegangene Schreiben von dem Widerruf der Vollmacht durch die KG Kenntnis erlangt hat.

Nach § 80 Abs. 1 Satz 3 AO wird der Widerruf der Vollmacht der Finanzbehörde gegenüber (erst) wirksam, wenn er ihr zugeht. Bis zu diesem Zeitpunkt kann das Finanzamt noch wirksam Verfahrenshandlungen im Sinne von § 80 Abs. 1 Satz 2 AO gegenüber dem Bevollmächtigten vornehmen[3].

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die wirksame Bekanntgabe eines an einen Bevollmächtigten adressierten Verwaltungsakts, der durch die Post übermittelt wird, nicht davon abhängig, dass die Vollmacht -anders als im Streitfall- auch bei Ablauf der Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO noch besteht[4].

Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, der die Bekanntgabe am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post ohne weitere tatbestandliche Voraussetzungen vermutet, es sei denn, der Verwaltungsakt ist nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen.

Gestützt wird dies durch den Sinn und Zweck des § 80 Abs. 1 Satz 3 AO. Diese Regelung soll nach dem Willen des Gesetzesgebers der Rechtssicherheit des Finanzamtes dienen[5], damit dieses nicht im Nachhinein von dem Umstand einer nicht mehr existierenden Vollmacht überrascht wird. Die Behörde soll sich insoweit auf eine erteilte Vollmacht verlassen können, bis ihr der Widerruf der Vollmacht zugeht. Maßgeblich kann dabei nur der Zeitpunkt der letzten Behördenhandlung sein[6], hier also der Zeitpunkt der Aufgabe der Einspruchsentscheidung zur Post. Liegt zu diesem Zeitpunkt eine Vollmacht vor oder wird deren Vorliegen, wie im Streitfall, vermutet und geht der Verwaltungsakt dem Bevollmächtigten auch zu, kann der Beginn der Klagefrist nicht mehr durch einen Widerruf der Vollmacht verhindert werden[7].

Für diese Auslegung spricht auch, dass für die gerichtliche Überprüfung einer Ermessensentscheidung -hier § 122 Abs. 1 Satz 3 AO- stets auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungshandlung abzustellen ist. Danach eintretende Umstände sind für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung daher regelmäßig nicht mehr heranzuziehen.

Durch die Übersendung der Einspruchsentscheidung an die Klägerin wurde keine neue Klagefrist in Gang gesetzt. Zwar hat das Finanzamt die Einspruchsentscheidung nach der Anzeige des Widerrufs der Vollmacht durch die KG am 08.10.2020 noch einmal unmittelbar an die Klägerin übersandt. Dies ist jedoch unerheblich, da der Klägerin die Einspruchsentscheidung nach ihrem eigenen Vortrag nicht zugegangen ist.

Aber auch der Übermittlung der Einspruchsentscheidung in Kopie an die PartG am 04.12.2020 kommt angesichts der wirksamen Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung an die KG am 05.10.2020 keine Bedeutung zu.

Ein Verwaltungsakt wird nach § 124 Abs. 1 Satz 1 AO gegenüber dem Inhaltsadressaten in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. In diesem Fall kommt es für alle Folgefragen einschließlich des Beginns der Einspruchs- oder Klagefrist auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe dieses Verwaltungsakts an. Hat das Finanzamt wegen bestehender Zweifel am Zugang eines Verwaltungsakts einen inhaltsgleichen Verwaltungsakt bekannt gegeben oder eine Bescheidkopie übermittelt, kommt dem nur dann Bedeutung zu, wenn die Bekanntgabe zuvor nicht wirksam gewesen war[8].

Auch ist der Übersendung einer Kopie der Einspruchsentscheidung vom 30.09.2020 kein neuer Bekanntgabewille des Finanzamtes zu entnehmen.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 Abs. 1 FGO kommt hinsichtlich der versäumten Klagefrist des § 47 Abs. 1 FGO vorliegend nicht in Betracht. Die Klägerin hat weder innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses einen entsprechenden Antrag gemäß § 56 Abs. 2 FGO gestellt noch ein etwaiges fehlendes Verschulden glaubhaft gemacht.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 8. Februar 2024 – VI R 25/21

  1. FG Münster, Urteil vom 03.11.2021 – 6 K 24/21 E, U, F[]
  2. vgl. z.B. BFH, Urteil vom 16.03.2022 – VIII R 19/19, BFHE 275, 510, BStBl II 2022, 459, Rz 19, m.w.N.[]
  3. s. BFH, Urteil vom 14.11.2012 – II R 14/11, Rz 13[]
  4. ebenso FG Brandenburg, Urteil vom 30.08.2000 – 2 K 779/97 E, EFG 2001, 154; Wernsmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler -HHSp-, § 80 AO Rz 169; Burbaum/Uphues, Deutsches Steuerrecht kurzgefaßt -DStRK- 2022, 56[]
  5. s. BT-Drs. VI/1982, S. 131[]
  6. vgl. Wernsmann in HHSp, § 80 AO Rz 169[]
  7. s. Burbaum/Uphues, DStRK 2022, 56; für die Wirksamkeit einer Ladung s. BFH, Beschluss vom 21.07.2011 – IV B 99/10, Rz 8; BSG, Beschluss vom 12.03.1975 – 12 RJ 330/74, NJW 1975, 1384; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 03.01.2000 – 4 Bf 16/99[]
  8. s. BFH, Urteile vom 09.12.2009 – X R 54/06, BFHE 228, 111, BStBl II 2010, 732, unter II. 1.b aa; und vom 14.11.2012 – II R 14/11, Rz 21[]