Fristbeginn auf Silvester – und die unterlassene anwaltliche Prüfung der Rechtsmittelbegründungsfrist

Die Wiedereinsetzung kommt in Betracht, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen[1]. Jedes Verschulden –mithin auch einfache Fahrlässigkeit– schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus[2]. Der Beteiligte muss sich gemäß § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen[3].

Fristbeginn auf Silvester – und die unterlassene anwaltliche Prüfung der Rechtsmittelbegründungsfrist

Im hier entschiedenen Streitfall war die Fristversäumnis nach Ansicht des Bundesfinanzhofs allerdings nicht entschuldbar:

Zwar ist substantiiert und glaubhaft vorgetragen, dass die sorgfältig ausgewählte und geschulte sowie bisher fehlerfrei arbeitende Bürovorsteherin bei der Entgegennahme der am 2.01.2012 dem Kanzleibriefkasten entnommenen Post übersehen hat, dass das Schreiben des BFH vom 27.12.2011 mit dem Beschluss vom 15.12.2011 bereits am Silvester-Samstag, dem 31.12.2011 zugestellt worden war.

Das rechtfertigt indes eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht. Denn es liegt ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers vor, der die Sache bearbeitet hat.

Zu dessen Aufgaben gehörte es, bei der Bearbeitung der Sache eigenständig den Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist zu prüfen. Dabei darf ein Prozessbevollmächtigter sich nicht auf den Eingangsstempel seiner Kanzlei verlassen, sondern hat zu prüfen, ob das dort angegebene Datum mit dem von dem Postbediensteten auf dem Zustellungsumschlag eingetragenen Zustellungsdatum übereinstimmt[4]. Dieser Umschlag hätte sich in der ihm vorgelegten Handakte befinden müssen[5]. Bei der Zustellung gegen Postzustellungsurkunde ist der Umschlag mit dem Zustellungsvermerk aufzubewahren und dem Prozessbevollmächtigten im Zusammenhang mit der rechtzeitigen Wiedervorlage der Sache zur Prüfung der Frist mit vorzulegen[6].

Es kann hier dahinstehen, ob der bearbeitende Rechtsanwalt eine solche eigenständige Prüfungspflicht bereits hätte erfüllen müssen, als er sein Schreiben vom 05.01.2012 fertigte und ihm die Handakte hierbei vorgelegen haben muss[7]. Hätte er –gleich zu welchem Zeitpunkt– eigenständig den Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist geprüft, hätte ihm auffallen müssen, dass –wie eidesstattlich von seiner Bürovorsteherin versichert– der Umschlag mit dem Zustellungsvermerk nicht angeheftet, sondern entsorgt worden war. Er hätte durch Nachfrage bei der Geschäftsstelle des III. bzw. des inzwischen zuständig gewordenen XI. Senats des Bundesfinanzhofs den Zeitpunkt der Zustellung des Zulassungsbeschlusses vom 15.12.2011 – III B 142/10 in Erfahrung bringen müssen. Nicht ausreichend ist jedenfalls die Berechnung der Revisionsbegründungsfrist anhand des Eingangsstempels der Kanzlei[8].

Der Bundesfinanzhof muss deshalb davon ausgehen, dass für das Fristversäumnis allein ursächlich war, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Richtigkeit des durch den Eingangsstempel der Kanzlei beurkundeten Zustellungsdatums entgegen seiner Verpflichtung überhaupt nicht geprüft hat, und er auf den verspäteten Eingang der Revisionsbegründung erst durch den Hinweis des Bundesfinanzhofs mit Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 13.02.2012 aufmerksam geworden ist.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 13. September 2012 – XI R 40/11

  1. ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH, Beschlüsse vom 24.07.2002 – VII B 150/02, BFH/NV 2002, 1489; vom 25.06.2003 – XI B 186/02, BFH/NV 2003, 1589; vom 24.01.2005 – III R 43/03, BFH/NV 2005, 1312; vom 24.06.2008 – X R 38/07, BFH/NV 2008, 1517; vom 15.12.2011 – II R 16/11, BFH/NV 2012, 593, unter II.01.[]
  2. vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 17.02.2010 – I R 38/09, BFH/NV 2010, 1283; in BFH/NV 2011, 613, jeweils m.w.N.[]
  3. vgl. z.B. BFH, Beschlüsse in BFH/NV 2011, 613; in BFH/NV 2012, 593, jeweils m.w.N.[]
  4. vgl. BFH, Beschlüsse vom 16.01.2009 – VII R 31/08, BFH/NV 2009, 951; in BFH/NV 2011, 613, jeweils m.w.N.[]
  5. vgl. dazu BFH, Beschluss in BFH/NV 2009, 951[]
  6. vgl. dazu BFH, Beschlüsse vom 23.09.1987 – V B 71/87, BFH/NV 1988, 250; vom 04.07.2008 – IV R 78/05, BFH/NV 2008, 1860; vom 15.07.2009 – II R 9/08, BFH/NV 2009, 1817[]
  7. vgl. dazu BFH, Beschluss in BFH/NV 2009, 951, m.w.N.[]
  8. vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 2009, 1817, m.w.N.[]