Ein Rechtsanwalt muss Vorkehrungen dafür treffen, dass ein Zustellungsdatum, das in einem von ihm abgegebenen elektronischen Empfangsbekenntnis eingetragen ist, auch in seiner – noch in Papierform geführten – Handakte dokumentiert wird. An die Zustellung anknüpfende Fristen müssen anhand der Angaben im elektronischen Empfangsbekenntnis berechnet werden.

In dem hier entschiedenen Fall hat die Klägerin die Beklagte vor dem Landgericht auf Schadensersatz wegen Verletzung einer Nebenpflicht aus einem Maklervertrag in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 06.04.2023 abgewiesen. Das Urteil ist der Klägerin ausweislich des elektronischen Empfangsbekenntnisses (eEB) ihres Prozessbevollmächtigten am 11.04.2023 über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) zugestellt worden. Er hat am 12.05.2023 beim Oberlandesgericht München Berufung gegen dieses Urteil eingelegt und das Rechtsmittel in demselben Schriftsatz begründet.
Das Oberlandesgericht München hat die Klägerin mit ihr am 22.09.2023 zugestelltem Beschluss darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist als unzulässig zu verwerfen. Darauf hat die Klägerin am 1.10.2023 Stellung genommen und vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Sie hat vorgetragen, zwar datiere die Verfügung, auf die das Urteil versandt worden sei, auf den 11.04.2023. Nach den vorliegenden Unterlagen sei es allerdings erst am 12.04.2023 per beA eingegangen. In der Kanzlei des Klägervertreters sei die Fristüberwachung bei beA-Eingängen so gestaltet, dass das Dokument am Eingangstag mit einem Dateinamen gescannt/gespeichert werde, der den Absender und das Datum der Erstellung des eingegangenen Schreibens wiedergebe; zugleich werde das Datum der Speicherung erfasst. Wegen der Anordnung, dies kalendertäglich zu tun, gewährleiste der Dateiname im Zusammenhang mit der Festlegung des Erstellungsdatums eine (weitere) Bestätigung des Eingangstermins. Es werde um Akteneinsicht gebeten um zu prüfen, ob ein eEB, das laut beA nicht gespeichert werden könne, für den 11.04.2023 vorliege. Mit der Klägerin am 9.10.2023 zugegangener Verfügung hat die Vorsitzende des Berufungssenats Akteneinsicht bewilligt und mitgeteilt, dass sich als Anlage zum Verkündungsvermerk des Landgerichts ein Empfangsbekenntnis des Klägervertreters vom 11.04.2023 bei der Akte befinde. Die Klägerin hat am 11.10.2023 ihren „schon angekündigten“ Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist wiederholt und „soweit erforderlich“ ergänzend einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist gestellt. Erst mit Eingang der Verfügung vom 09.10.2023 sei für ihren Prozessbevollmächtigten „belastbar“ klar geworden, dass tatsächlich eine Verfristung vorliege. In seiner Kanzlei würden im beA eingehende Schriftstücke am Tag der Kenntnisnahme ausgedruckt und der Papierstapel werde dem Sekretariat überstellt. Dort bestehe die generelle Anweisung, die Schriftstücke auf Fristen und Termine durchzusehen und diese im System zu notieren. Dem Klägervertreter würden die Schriftstücke nach Erfassung zur körperlichen Akte erneut vorgelegt, wobei der Posteingangsstapel separat gehalten werde. Er verfüge dann per Diktat die notwendige Weiterbearbeitung und weise zu Beginn des Diktats unter Nennung des Posteingangsdatums an, dass Fristen und deren Eintrag nochmals zu überprüfen seien. Dies stelle das erforderliche Vier-Augen-Prinzip sicher. In der vorliegenden Sache habe die zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte K. die Weiterbearbeitung durchgeführt. Es habe bislang nicht nachvollzogen werden können, warum auch die zweite Sicherung versagt habe.
Das Oberlandesgericht München hat die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist und auch die Berufung der Klägerin verworfen[1].
Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde hat der Bundesgerichtshof als unzulässig verworfen, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) oder ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Oberlandesgericht München hat die Berufung der Klägerin mit Recht als unzulässig verworfen (§ 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Es hat zutreffend angenommen, dass die Klägerin die Berufungsfrist versäumt hat und ihr die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 Satz 1 ZPO) zu versagen ist.
Zutreffend hat das Oberlandesgericht München angenommen, dass die Klägerin die einmonatige Frist des § 517 ZPO zur Einlegung der Berufung nicht gewahrt hat. Die Rechtsbeschwerde stellt die Richtigkeit des vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin vor dem Land- und Oberlandesgericht München abgegebenen elektronischen Empfangsbekenntnisses nicht infrage. Die Berufungsfrist hat danach am 12.04.2023 begonnen und ist mit Ende des 11.05.2023, einem Werktag, abgelaufen (§ 222 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Fall 1 BGB). Die Berufung ist am 12.05.2023 und somit nach Fristablauf eingegangen.
Das Oberlandesgericht München hat, so der Bundesgerichtshof, der Klägerin die von ihr beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht versagt.
Hat eine Partei die Berufungsfrist versäumt, ist ihr nach § 233 Satz 1 ZPO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten wird der Partei zugerechnet (§ 85 Abs. 2 ZPO), das Verschulden sonstiger Dritter hingegen nicht. Fehler von Büropersonal hindern eine Wiedereinsetzung deshalb nicht, solange den Prozessbevollmächtigten kein eigenes Verschulden etwa in Form eines Organisations- oder Aufsichtsverschuldens trifft. Die Partei hat einen Verfahrensablauf vorzutragen und glaubhaft zu machen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO), der ein Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt. Verbleibt die Möglichkeit, dass die Einhaltung der Frist durch ein Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten versäumt worden ist, ist der Antrag auf Wiedereinsetzung unbegründet[2].
Das Oberlandesgericht München hat ein der Klägerin zurechenbares Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zu Recht darin gesehen, dass er keine Vorkehrung dafür getroffen hat, dass die Berufungsfrist anhand der Angaben im elektronischen Empfangsbekenntnis über die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils berechnet und notiert wird.
Ein Rechtsanwalt ist zwar befugt, die Feststellung, Berechnung und Notierung einfacher und in seinem Büro geläufiger Fristen gut ausgebildetem und sorgfältig überwachtem Büropersonal zu überlassen. Jedoch hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Insbesondere muss ein Rechtsanwalt sicherstellen, dass das für den Lauf einer Rechtsmittelfrist maßgebliche Datum der Urteilszustellung in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise ermittelt wird[3]. Eine verlässliche Grundlage für die Ermittlung des Zustellungsdatums bieten allein die Angaben in der die Zustellung dokumentierenden Urkunde, bei elektronischen Zustellungen also in dem vom Rechtsanwalt abgegebenen elektronischen Empfangsbekenntnis gemäß § 173 Abs. 3 ZPO[4].
Diesen Anforderungen hat die Büroorganisation des Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht genügt. Er hat keine Vorkehrung dafür getroffen, dass das im elektronischen Empfangsbekenntnis eingetragene Zustellungsdatum auch in seiner – noch in Papierform geführten – Handakte dokumentiert wird, was etwa dadurch hätte geschehen können, dass das elektronische Empfangsbekenntnis oder gegebenenfalls ein Screenshot davon ausgedruckt und zur Akte genommen wird. Dementsprechend ist die Berufungsfrist nicht aufgrund der Angaben im elektronischen Empfangsbekenntnis, das das für den Fristbeginn maßgebliche Datum der Zustellung dokumentiert, berechnet worden, sondern aufgrund einer Speicherung der im besonderen elektronischen Anwaltspostfach eingegangen beglaubigten Urteilsabschrift unter einem Dateinamen, der das Datum der Speicherung enthält. Auch das Diktat, das der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nach seinen Angaben später veranlasst hat, enthält keinen Bezug zu den Angaben im elektronischen Empfangsbekenntnis. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde besteht bei einem solchen Vorgehen keine ausreichende Gewährleistung der Fristwahrung. Dies folgt schon daraus, dass weder bei der Vergabe des Dateinamens noch im weiteren Verlauf der Bearbeitung ein Abgleich mit dem im elektronischen Empfangsbekenntnis eingetragenen Datum möglich gewesen ist. Das einer solchen Büroorganisation immanente Risiko, dass das im elektronischen Empfangsbekenntnis eingetragene Datum früher liegt als bei der Vergabe des Dateinamens und im weiteren Verlauf der Bearbeitung angenommen, hat sich im Streitfall verwirklicht.
Schließt das der Klägerin zurechenbare Verschulden ihres Prozessbevollmächtigen danach eine Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist aus, besteht auch kein Raum für eine Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist. Insbesondere stellt sich die Frage nicht, durch welches Ereignis der Lauf einer angenommenen Wiedereinsetzungsfrist in Gang gesetzt worden ist.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29. Mai 2024 – I ZB 84/23
- OLG München, Beschluss vom 30.11.2023 – 13 U 2195/23 e[↩]
- st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 20.04.2023 – I ZB 83/22, WRP 2023, 971 9][↩]
- st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 22.06.2010 – VIII ZB 12/10, NJW 2010, 3305 9] mwN[↩]
- zu schriftlichen Empfangsbekenntnissen nach § 175 ZPO vgl. BGH, NJW 2010, 3305 10]; BGH, Beschluss vom 31.03.2021 – IV ZB 34/20 10; zum Beweiswert eines elektronischen Empfangsbekenntnisses vgl. BGH, Beschluss vom 17.01.2024 – VII ZB 22/23, NJW 2024, 1120 10]; zur Übertragbarkeit anwaltlicher Sorgfaltspflichten bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax auf den elektronischen Rechtsverkehr vgl. auch BGH, Beschluss vom 11.01.2023 – IV ZB 23/21, NJW-RR 2023, 425 14][↩]