Der Abwickler einer Rechtsanwaltskanzlei ist als Vermögensverwalter in Bezug auf das Kanzleivermögen verpflichtet, die steuerlichen Pflichten des Inhabers der abzuwickelnden Rechtsanwaltskanzlei zu erfüllen, soweit die Verwaltung reicht. Die steuerlichen Pflichten des Abwicklers zur Einreichung von Umsatzsteuer-Voranmeldungen und Umsatzsteuererklärungen beschränken sich auf die Voranmeldungen und Erklärungen, die innerhalb der Zeit der Bestellung des Abwicklers einzureichen sind, und auf die Umsätze der abzuwickelnden Kanzlei, die während der Zeit der Bestellung des Abwicklers entstanden und anzumelden oder zu erklären sind. Der Abwickler ist nicht verpflichtet, steuerliche Pflichten für Zeiträume zu erfüllen, in denen die Abwicklung noch nicht bestand.

Der gemäß § 55 BRAO bestellte Abwickler der Kanzlei eines ehemaligen Rechtsanwalts ist Vermögensverwalter gemäß § 34 Abs. 3 AO bezogen auf das Kanzleivermögen des ehemaligen Rechtsanwalts. Nach § 34 Abs. 3 AO handelt es sich um einen Vermögensverwalter im Sinne dieser Vorschrift, wenn einer anderen Person als dem Eigentümer die Vermögensverwaltung zusteht. Er hat dann die steuerlichen Pflichten zu erfüllen, soweit die Verwaltung reicht. Ein Abwickler ist Vermögensverwalter bezogen auf das Kanzleivermögen der abzuwickelnden Kanzlei. Denn er hat neben seiner Hauptaufgabe, die laufenden Mandate abzuwickeln, auch die Aufgabe, das in der abzuwickelnden Kanzlei gebundene Vermögen zu verwalten. Dies ergibt sich aus dem Verweis in § 55 Abs. 3 Satz 1 BRAO auf § 53 Abs. 10, dort Satz 1, BRAO. Danach ist der Abwickler berechtigt, die Kanzleiräume zu betreten und die zur Kanzlei gehörenden Gegenstände einschließlich des der anwaltlichen Verwahrung unterliegende Treugutes in Besitz zu nehmen, heraus zu verlangen und hierüber zu verfügen. Er ist ausdrücklich gemäß § 53 Abs. 10 Satz 2 BRAO nicht gegenüber dem ehemaligen Rechtsanwalt weisungsgebunden[1].
Als Vermögensverwalter gemäß § 34 Abs. 3 AO hatte der Abwickler die steuerlichen Pflichten des ehemaligen Rechtsanwalts gemäß § 34 Abs. 1 AO zu erfüllen, soweit die abzuwickelnde Kanzlei betroffen war. Da der ehemalige Rechtsanwalt mit seiner Kanzlei umsatzsteuerlicher Unternehmer im Sinne von § 2 UStG war, wäre dieser verpflichtet gewesen, Umsatzsteuer-Voranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen abzugeben. Soweit die abzuwickelnde Kanzlei betroffen war, trafen diese Pflichten in der Abwicklungszeit den Abwickler.
Die Pflichten des Abwicklers zur Einreichung von Umsatzsteuer-Voranmeldungen und Umsatzsteuererklärungen sind aber auf die für die Abwicklungszeit einzureichenden Voranmeldungen und Erklärungen beschränkt. Denn als Vermögensverwalter gemäß § 34 Abs. 3 AO hatte er die steuerlichen Pflichten des ehemaligen Rechtsanwalts gemäß § 34 Abs. 1 AO nur zu erfüllen, soweit die Verwaltung reicht.
Ein Vermögensverwalter kann verpflichtet sein, alle in der Zeit der gesetzlichen Vertretung fälligen und auch überfälligen Erklärungen einzureichen, also auch für schon Zeiträume vor der Bestellung[2]. Dies gilt zum Beispiel für den Insolvenzverwalter, auf den gemäß § 80 InsO das Recht des Schuldners übergeht, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten. Daraus ergibt sich, dass er prinzipiell auch alle steuerlichen Pflichten zu erfüllen hat, die dem Schuldner oblägen, wenn über sein Vermögen das Insolvenzverfahren nicht eröffnet worden wäre[3]. Dies gilt auch für gesetzliche Vertreter im Sinne von § 34 Abs. 1 AO. Diese Pflicht korrespondiert aber mit anderen gesetzlichen Regelungen, nach denen der Vermögensverwalter auch die Befugnisse hat, die entsprechenden Auskünfte und Unterlagen einzuholen und zu beschaffen. So ist in der Insolvenz der Gemeinschuldner nach § 97 InsO verpflichtet, dem Insolvenzverwalter Auskunft über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse zu geben. Dazu gehört auch die Übergabe der Geschäftsunterlagen Zur Durchsetzung dieser Auskunftspflicht besteht die Möglichkeit, dass der Schuldner zu Protokoll an Eides Statt versichert, er habe die verlangte Auskunft nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig erteilt. Dazu kann er auch zwangsweise vorgeführt und in Haft genommen werden (§ 98 InsO). Ferner ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO, dass der Insolvenzverwalter die handels- und steuerrechtlichen Pflichten zur Buchführung und zur Rechnungslegung in Bezug auf die Insolvenzmasse zu erfüllen hat.
Möglich ist aber auch, dass ein Vermögensverwalter die steuerlichen Pflichten nur für den von ihm verwalteten Vermögensteil und nur für die Zeit der angeordneten Verwaltung und nicht für zurückliegende Zeiträume zu erfüllen hat. So hat ein Zwangsverwalter eines Grundstücks die steuerlichen Pflichten des Vollstreckungsschuldners nur in Bezug auf das von ihm verwaltete Grundstück zu erfüllen[4]. Es ist nicht erkennbar und wird soweit ersichtlich auch nicht vertreten, dass ein Zwangsverwalter auch steuerliche Pflichten aus der Zeit vor seiner Einsetzung (also bereits überfällige Pflichten) zu erfüllen haben könnte.
Ausgehend von diesen Erwägungen, denen sich das Finanzgericht Berlin-Brandenburg anschließt, ist bei der Beurteilung der Pflichten eines Vermögensverwalters danach zu unterscheiden, welche Pflichten ihn jeweils bezogen auf das zu verwaltende Vermögen treffen.
Den Kanzleiabwickler gemäß § 55 BRAO treffen nur die steuerlichen Pflichten, die bezogen auf das verwaltete Vermögen (die abzuwickelnde Kanzlei) und bezogen auf die Zeit der Bestellung als Kanzleiabwickler entstehen. Nur insoweit und nicht auch hinsichtlich der für andere Zeiträume bestehenden steuerlichen Pflichten tritt der Kanzleiabwickler als Vermögensverwalter neben den Steuerpflichtigen. Dies ergibt sich aus den in der Bundesrechtsanwaltsordnung normierten Rechten und Pflichten des Kanzleiabwicklers. Nach § 55 Abs. 3 in Verbindung mit § 53 Abs. 10 Satz 1 BRAO ist der von Amts wegen bestellte Vertreter berechtigt, die Kanzleiräume zu betreten und die zur Kanzlei gehörenden Gegenstände einschließlich des der anwaltlichen Verwahrung unterliegenden Treugutes in Besitz zu nehmen, heraus zu verlangen und hierüber zu verfügen. Weitere Befugnisse stehen dem Kanzleiabwickler nach der Bundesrechtsanwaltsordnung nicht zu. Er hat insbesondere gegen den früheren Anwalt, dessen Kanzlei er abwickelt, keine Auskunftsansprüche hinsichtlich der vor der Bestellung eines Abwicklers getätigten Umsätze und auch keine Herausgabeansprüche bezüglich der Buchführungsunterlagen. Unter diesen Umständen kann § 34 Abs. 3 AO für den Abwickler keine steuerrechtliche Verpflichtung normieren, die er in Bezug auf die abzuwickelnde Kanzlei weder rechtlich nach dem ihm in der Bundesrechtsanwaltsordnung zugewiesenen Pflichtenkreis erfüllen noch gegenüber dem ehemaligen Rechtsanwalt mit den Mitteln der Bundesrechtsanwaltsordnung und dem insoweit anzuwendenden Zivilrecht durchsetzen kann.
Ausgehend von diesen Pflichten war der Abwickler nicht verpflichtet, die innerhalb seiner Zeit der Bestellung als Abwickler einzureichende Umsatzsteuer-Voranmeldung für den davor liegenden Anmeldezeitraum beim Finanzamt einzureichen. Denn diese betraf ausschließlich Umsätze, die in der Zeit vor seiner Bestellung als Abwickler angefallene Umsätze. Des Weiteren war er zwar verpflichtet, eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung einzureichen. Diese Verpflichtung beschränkte sich aber auf die Umsätze der Kanzlei für die Zeit der Abwicklung. Denn nur insoweit war der Abwickler Vermögensverwalter.
Da der Abwickler im vorliegenden Fall diese Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuer-Jahreserklärung verletzt hatte, war das Finanzamt berechtigt, die Bemessungsgrundlagen gemäß § 162 AO zu schätzen. Angesichts der Tatsache, dass der Abwickler eine Umsatzsteuer-Voranmeldung für das vierte Kalendervierteljahr eingereicht hatte, in der er die für die Zeit der Abwicklung aufzunehmenden Besteuerungsgrundlagen erfasst hatte, und angesichts dessen, dass das Finanzamt nicht dargetan hat, dass diese Zahlen für diesen Zeitraum unzutreffend seien, besteht kein Anlass, über diese Zahlen in der Schätzung hinauszugehen. Danach war im Umsatzsteuer-Jahresbescheid gegenüber dem Abwickler die Umsatzsteuer gemäß den Angaben des Abwicklers in der Umsatzsteuer-Voranmeldung für das vierte Quartal zu schätzen. Eine Befugnis des Beklagten, Umsätze auch für die Zeit bis zum Beginn der Abwicklung zu schätzen und gegenüber dem Abwickler als Abwickler festzusetzen, bestand nicht.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. Januar 2013 – 7 K 7141/09
- ebenfalls von einer Vermögensverwaltung ausgehend: Kleine-Cossack, BRAO, 5. Auflage München 2008, § 55 Tz. 3, 5 und 8, in denen jeweils auf das „der Verwaltung unterliegende Vermögen“ abgestellt wird; Beermann/Gosch, AO, FGO, Loseblatt Stand Januar 2007, § 34 AO Tz. 21 mit Nachweisen[↩]
- BFH, Urteil vom 04.02.1998 – XI R 47/97, BFH/NV 1998, 682 – ergangen zum Konkursverwalter[↩]
- Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, Köln Loseblatt Stand 04.2011, § 18 Tz. 809 m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 18.10.2001 – V R 44/00, BStBl. II 2002, 171[↩]