Zurückweisung von Parteivorbringen – und die erforderliche Feststellung grober Nachlässigkeit

Die den Vorwurf der groben Nachlässigkeit iSd. § 296 Abs. 2 ZPO begründenden Tatsachen müssen vom Gericht positiv festgestellt werden.

Zurückweisung von Parteivorbringen – und die erforderliche Feststellung grober Nachlässigkeit

In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall streiten die Parteien über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Das Arbeitsgericht hat der beklagten Arbeitgeberin aufgegeben, die betrieblichen Erfordernisse für die Kündigung innerhalb einer bestimmten Frist nach im Einzelnen näher konkretisierten Gesichtspunkten darzulegen, sowie dem Arbeitnehmer, hierauf innerhalb einer weiteren Frist zu erwidern. Die Arbeitgeberin hat erst nach Ablauf der Frist entsprechend zur Begründung der Kündigung vorgetragen. Das Arbeitsgericht hat der Klage unter Zurückweisung des Vorbringens der Arbeitgeberin als verspätet stattgegeben. Das Hessische Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Arbeitgeberin zurückgewiesen[1]. Die hiergegen gerichtete Revision der Arbeitgeberin war vor dem Bundesarbeitsgericht erfolgreich; mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht ihre Berufung gegen das der Kündigungsschutzklage stattgebende arbeitsgerichtliche Urteil nicht zurückweisen. Dies führte zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Hessische Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO):

Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Sachvortrag der Arbeitgeberin im Schriftsatz vom 05.09.2017 bleibe gem. § 67 Abs. 1 ArbGG in der Berufungsinstanz ausgeschlossen, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, das Arbeitsgericht habe das Vorbringen der Arbeitgeberin im Schriftsatz vom 05.09.2017 zu Recht gem. § 282 Abs. 2, § 296 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.

Nach § 67 Abs. 1 ArbGG bleiben Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug zu Recht zurückgewiesen worden sind, im Berufungsverfahren ausgeschlossen. Gemäß § 296 Abs. 2 ZPO können Angriffs- und Verteidigungsmittel, die entgegen § 282 Abs. 1 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht oder entgegen § 282 Abs. 2 ZPO nicht rechtzeitig mitgeteilt werden, zurückgewiesen werden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruht. § 282 Abs. 1 ZPO betrifft die hier nicht einschlägige Prozessförderungspflicht in der mündlichen Verhandlung. Nach § 282 Abs. 2 ZPO sind Anträge sowie Angriffs- und Verteidigungsmittel, auf die der Gegner voraussichtlich ohne vorhergehende Erkundigung keine Erklärung abgeben kann, vor der mündlichen Verhandlung durch vorbereitenden Schriftsatz so zeitig mitzuteilen, dass der Gegner die erforderliche Erkundigung noch einzuziehen vermag.

Eine Zurückweisung von Vorbringen nach § 296 Abs. 2 ZPO ist grundsätzlich auch in arbeitsgerichtlichen Bestandsschutzstreitigkeiten iSv. § 61a ArbGG möglich.

Eine Zurückweisung nach § 296 Abs. 2 ZPO wegen Verstoßes gegen die allgemeine Prozessförderungspflicht gem. § 282 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO kommt im Grundsatz auch im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren in Betracht. Für das Verfahren vor dem Arbeitsgericht ergibt sich die Anwendbarkeit von § 282 Abs. 1 ZPO aus § 46 Abs. 2 ArbGG. § 282 Abs. 2 ZPO kann ebenfalls über § 46 Abs. 2 ArbGG Anwendung finden, setzt aber im Parteiprozess voraus, dass die Parteien nach § 129 Abs. 2 ZPO durch richterliche Anordnung aufgefordert worden sind, die mündliche Verhandlung schriftsätzlich oder durch zu Protokoll der Geschäftsstelle abzugebende Erklärungen vorzubereiten[2]. Hier hat die Vorsitzende die Parteien mit Beschluss vom 11.04.2017 unter Fristsetzung zu Klageerwiderung und Replik aufgefordert. Darin lag zugleich die Anordnung iSv. § 129 Abs. 2 ZPO, die mündliche Verhandlung schriftsätzlich vorzubereiten[3].

Der Zurückweisung von Parteivorbringen nach § 296 Abs. 2 ZPO steht in arbeitsgerichtlichen Bestandsschutzstreitigkeiten § 61a ArbGG nicht generell entgegen[4].

Zwar hat § 296 Abs. 1 ZPO – vom Ausnahmefall des § 340 Abs. 3 Satz 3 ZPO abgesehen – neben § 56 Abs. 2 Satz 1 ArbGG und § 61a Abs. 5 ArbGG keinen Anwendungsbereich. Eine Fristsetzung nach § 275 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und Abs. 4, § 276 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 und § 277 ZPO kommt im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht in Betracht (§ 46 Abs. 2 Satz 2 ArbGG). Eine entsprechende Anwendbarkeit von § 273 Abs. 2 Nr. 2 bis Nr. 4 ZPO scheidet ebenfalls aus, da § 56 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG und § 61a Abs. 3 und Abs. 4 ArbGG insoweit speziellere Regelungen enthalten[5].

§ 61a Abs. 5 ArbGG sperrt aber nicht die Zurückweisungsmöglichkeit nach § 296 Abs. 2 ZPO. Die Bestimmung tritt für arbeitsgerichtliche Bestandsschutzstreitigkeiten an die Stelle von § 296 Abs. 1 ZPO, enthält aber keine abschließende Präklusionsregelung, die auch einer Anwendbarkeit des § 292 Abs. 2 ZPO entgegenstünde. Es besteht kein Grund zur Annahme, die Sanktion des § 296 Abs. 2 ZPO für grob nachlässige Verstöße gegen die allgemeine Prozessförderungspflicht gem. § 282 Abs. 1 oder Abs. 2 ZPO sei bei den gem. § 61a ArbGG besonders eilbedürftigen Kündigungsverfahren generell ausgeschlossen. Daran ändert auch nichts, dass bei einer pflichtgemäßen Verfahrensförderung durch das Gericht die Voraussetzungen für eine Zurückweisung von Vorbringen nach § 296 Abs. 2 ZPO nur selten tatsächlich vorliegen dürften.

Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, das Arbeitsgericht habe das Vorbringen der Arbeitgeberin im Schriftsatz vom 05.09.2017 zu Recht als verspätet iSv. § 282 Abs. 2 ZPO angesehen.

Die bloße Nichteinhaltung der Frist des § 132 Abs. 1 ZPO begründete allerdings noch keine Verspätung iSv. § 282 Abs. 2 ZPO[6]. Maßgeblich ist gem. § 282 Abs. 2 ZPO vielmehr, ob die Partei aus ihrer Sicht ex ante („voraussichtlich“) davon ausgehen konnte, der Gegner werde sich zu dem Vorbringen ohne vorhergehende Erkundigung erklären oder eine erforderliche Erkundigung noch vor der mündlichen Verhandlung einziehen können.

Das Landesarbeitsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass das Arbeitsgericht die Verspätung iSd. § 282 Abs. 2 ZPO nicht allein mit der Versäumung der Wochenfrist gem. § 132 Abs. 1 ZPO begründet hat. Dieses hat angenommen, das Vorbringen der Arbeitgeberin sei „unter Berücksichtigung der Vorgaben des § 132 Abs. 1 ZPO“ nicht so rechtzeitig erfolgt, dass der Arbeitnehmer die erforderlichen Erkundigungen noch vor der mündlichen Verhandlung hätte einziehen können. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht darin eine ausreichende Prüfung nach dem Maßstab von § 282 Abs. 2 ZPO gesehen hat. Das Berufungsgericht hat entgegen der Auffassung der Revision die Begründung des Arbeitsgerichts auch nicht durch eine andere ersetzt oder die Zurückweisung auf eine andere als die in der Vorinstanz angewandte Vorschrift gestützt. Es hat die Erwägungen des Arbeitsgerichts lediglich dahingehend ergänzt, dass auch die Arbeitgeberin, insbesondere wegen der im Schriftsatz enthaltenen Daten, nicht von der Rechtzeitigkeit des Vorbringens iSv. § 282 Abs. 2 ZPO habe ausgehen können.

Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das Arbeitsgericht habe zu Recht zugrunde gelegt, dass die Zulassung des Vorbringens die Erledigung des Rechtsstreits iSv. § 296 Abs. 2 ZPO verzögert hätte, ist revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.

Nach § 296 Abs. 2 ZPO ist allein maßgeblich, ob die Zulassung des Vorbringens nach der freien Überzeugung des dieses zurückweisenden Gerichts – hier also des Arbeitsgerichts – die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hätte. Eine Verzögerung liegt vor, wenn das Verfahren bei Zulassung des verspäteten Vorbringens länger dauern würde als bei dessen Zurückweisung, wobei die zeitliche Verschiebung der Beendigung nicht ganz unerheblich sein darf[7].

Eine Zulassung des Vorbringens der Arbeitgeberin hätte mit Blick auf die vom Arbeitnehmer geltend gemachte Rechtsunwirksamkeit der Kündigung gem. § 1 Abs. 1 KSchG nach Überzeugung des Arbeitsgerichts die Anberaumung eines weiteren Kammertermins notwendig gemacht und damit das Verfahren nicht nur unerheblich verzögert.

Dahinstehen kann, ob die Vorinstanzen – konkludent – davon ausgehen durften, die Verletzung der Prozessförderungspflicht sei die alleinige Ursache der prognostizierten Verzögerung gewesen[8]. Das ist zumindest fraglich, da bereits nach Eingang der Replik des Arbeitnehmers vom 31.07.2017 Anlass bestanden haben könnte, der Arbeitgeberin zum Zweck der weiteren gerichtlichen Prozessförderung eine Frist zur Stellungnahme hierzu und ggf. zur Ergänzung ihres Vorbringens zu setzen.

Das Berufungsgericht durfte aber mit der gegebenen Begründung nicht annehmen, die Verspätung des Vorbringens der Arbeitgeberin im Schriftsatz vom 05.09.2017 habe auf grober Nachlässigkeit iSd. § 296 Abs. 2 ZPO beruht.

Grobe Nachlässigkeit iSd. § 296 Abs. 2 ZPO liegt vor, wenn eine Prozesspartei ihre Pflicht zur Prozessförderung in besonders gravierender Weise vernachlässigt, wenn sie also dasjenige unterlässt, was nach dem Stand des Verfahrens jeder Partei als notwendig hätte einleuchten müssen[9].

Die den Vorwurf begründenden Tatsachen müssen vom Gericht positiv festgestellt werden[10]. Ob ein verspätetes Vorbringen auf grober Nachlässigkeit iSd. § 296 Abs. 2 ZPO beruht und daher zu Recht zurückgewiesen worden ist, ist vom Rechtsmittelgericht nach seinem Kenntnisstand zu beurteilen[11]. Für das Vorliegen grober Nachlässigkeit besteht keine gesetzliche Vermutung[12]. Allein eine Verspätung iSv. § 282 Abs. 2 ZPO berechtigt daher nicht zu der Annahme, sie beruhe auch auf grober Nachlässigkeit. § 296 Abs. 2 ZPO fordert keine „Entschuldigung“ seitens der Prozesspartei[13].

Danach fehlt es an vom Landesarbeitsgericht festgestellten Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, die Verspätung des Vorbringens der Arbeitgeberin im Schriftsatz vom 05.09.2017 habe auf grober Nachlässigkeit iSd. § 296 Abs. 2 ZPO beruht.

Das Berufungsgericht hat gemeint, es sei Sache der Partei, die „entkräftenden“ Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, „wenn – wie hier – die äußeren Umstände für eine grobe Nachlässigkeit sprechen“. Die Arbeitgeberin habe aber weder erst- noch zweitinstanzlich näher dargelegt, warum es zu der verspäteten Einreichung des Schriftsatzes lange nach dem letzten Schriftsatz des Arbeitnehmers vom 31.07.2017 und unmittelbar vor dem Kammertermin am 11.09.2017 gekommen sei.

Es hat damit keine Tatsachen positiv festgestellt, die den Vorwurf grober Nachlässigkeit iSd. § 296 Abs. 2 ZPO begründen.

Dem Berufungsurteil lässt sich nicht entnehmen, welche „äußeren Umstände“ nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts für eine grobe Nachlässigkeit der Arbeitgeberin sprachen. Der bloße Einschub „- wie hier -“ ist nicht geeignet, diese Tatsachen konkret festzustellen.

Festgestellt hat das Landesarbeitsgericht lediglich solche Umstände, die die Verspätung iSv. § 282 Abs. 2 ZPO begründen. Dies genügt nicht für die Annahme, die Verspätung habe auch auf grober Nachlässigkeit beruht. Es ist zwischen der – objektiven – Verspätung iSv. § 282 Abs. 2 ZPO und dem Verschuldensgrad der groben Nachlässigkeit gem. § 296 Abs. 2 ZPO zu unterscheiden. Die Verspätung ist für sich genommen nicht gleichzusetzen mit grober Nachlässigkeit. Auch soweit das Landesarbeitsgericht von einer „erheblichen“ Verspätung spricht, wird weder deutlich, inwiefern hier eine ggf. qualitativ über die Voraussetzungen nach § 282 Abs. 2 ZPO hinausgehende Verspätung vorgelegen habe, noch, dass und weshalb dies die „äußeren Umstände“ seien, die für eine grobe Nachlässigkeit der Arbeitgeberin sprächen. Soweit das Berufungsgericht anführt, der fragliche Schriftsatz sei erst unmittelbar vor dem Kammertermin eingereicht worden, beschreibt es ebenfalls allein die Verspätung iSv. § 282 Abs. 2 ZPO, aber keinen darüber hinausgehenden Umstand. Ein solcher könnte zwar mit dem Zusatz „lange nach dem letzten Schriftsatz des Arbeitnehmers vom 31.07.2017“ angesprochen sein. Das Landesarbeitsgericht begründet aber auch damit lediglich die „verspätete Einreichung des Schriftsatzes“ vom 05.09.2017, ohne darzulegen, inwiefern daraus auf eine grobe Nachlässigkeit der Arbeitgeberin zu schließen sei. Dies liegt auch schon deshalb nicht ohne weiteres auf der Hand, weil dem Arbeitnehmer zur Stellungnahme auf den vorherigen Schriftsatz der Arbeitgeberin eine immerhin zweimonatige Frist eingeräumt worden war.

Die erstinstanzliche Entscheidung enthält keine weitergehenden Feststellungen zu den die grobe Nachlässigkeit iSv. § 296 Abs. 2 ZPO begründenden Umständen, die sich das Landesarbeitsgericht zu eigen gemacht haben könnte.

Seine Annahme, es sei ohne einen vorherigen Hinweis bzw. eine vorherige Aufklärungsverfügung des Gerichts „Sache der Partei“, entkräftende Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, wenn die äußeren Umstände für eine grobe Nachlässigkeit sprechen, stellt zudem keine verfassungskonforme Anwendung von § 296 Abs. 2 ZPO dar.

Die das rechtliche Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG einschränkenden Präklusionsvorschriften des Zivilprozessrechts ziehen einschneidende Folgen für die Parteien nach sich und bewegen sich regelmäßig im grundrechtsrelevanten Bereich. Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften durch die Fachgerichte unterliegen daher einer strengen verfassungsgerichtlichen Kontrolle[14].

Um dem Rechnung zu tragen, muss das Gericht der Partei mitteilen, wenn es der Auffassung ist, äußere Umstände sprächen für eine grobe Nachlässigkeit iSv. § 296 Abs. 2 ZPO, und ihr Gelegenheit zur Äußerung hierzu und zur Geltendmachung „entkräftender“ Tatsachen geben. Auch im Interesse der vom Gesetzgeber bezweckten Prozessbeschleunigung ist eine Zurückweisung wegen grober Nachlässigkeit iSv. § 296 Abs. 2 ZPO allein deshalb, weil sich die Partei gegenüber solchen indiziellen äußeren Umständen nicht entlastet hat, nur zu rechtfertigen, wenn ihr das Gericht zuvor die Möglichkeit eingeräumt hat, sich zu den seines Erachtens für eine grobe Nachlässigkeit iSv. § 296 Abs. 2 ZPO sprechenden Tatsachen zu äußern[15].

Der Arbeitgeberin ist ein entsprechender Hinweis nach dem Akteninhalt nicht erteilt worden. Das Arbeitsgericht hat zwar ausgeführt, der Arbeitgeberinvertreter habe „auch auf Nachfrage im Kammertermin“ nicht zu erklären vermocht, aufgrund welcher Umstände weder die mit Beschluss vom 11.04.2017 gesetzte noch die Frist gem. § 132 Abs. 1 ZPO gewahrt worden sei. Auch daraus ergibt sich aber nicht, dass die Arbeitgeberin darauf hingewiesen worden wäre, welche Tatsachen nach Auffassung des Gerichts für eine grobe Nachlässigkeit der Verspätung iSv. § 296 Abs. 2 ZPO sprachen.

Im Übrigen hielte die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Arbeitgeberin habe die Verspätung „nicht genügend entschuldigt“, auch für sich genommen einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, der die Verspätung des Schriftsatzes vom 05.09.2017 ankündigende Schriftsatz der Arbeitgeberin vom 04.09.2017 habe „keinerlei Entschuldigungsgründe (enthalten), sondern vor allem die Bitte, den für den nächsten Tag angekündigten Schriftsatz ausnahmsweise zu berücksichtigen“. Das steht im Widerspruch zum wiedergegebenen Inhalt des Schriftsatzes, die Arbeitgeberin habe darin vorgetragen, der angekündigte Schriftsatz sei am 4.09.2017 grundsätzlich fertig gewesen, gegen 17:00 Uhr sei ihrem Prozessbevollmächtigten aber aufgefallen, dass noch nicht alle Angaben zur Arbeitsauslastung vorgelegen hätten und zu der bei ihr um 17:35 Uhr erbetenen Rücksprache werde es erst am nächsten Tag kommen, weshalb dieser „Entschuldigungsschriftsatz“ gefaxt werde. Danach hätte sich die Arbeitgeberin durchaus auf Gründe für die Verspätung berufen und nicht nur eine – leere – Bitte vorgebracht.

Das Berufungsgericht bemängelt darüber hinaus, nach dem Arbeitgeberinvorbringen bleibe offen, weshalb der Schriftsatz nicht bereits am 4.09.2017 gegen 17:00 Uhr zumindest unvollständig und der vollständige Schriftsatz erst am 5.09.2017 um 23:45 Uhr übermittelt worden seien. Es fehlt indes jede Begründung, weshalb dies für seine Entscheidung von Bedeutung war.

Soweit das Landesarbeitsgericht beanstandet, die Arbeitgeberin habe nicht erläutert, weshalb es ihr nicht insgesamt früher aufgefallen sei, dass ein weiterer Schriftsatz mit umfangreichen Angaben erforderlich sein würde, stellt es auf einen gegenüber der Begründung des Arbeitsgerichts abweichenden Bezugspunkt für die grobe Nachlässigkeit der Arbeitgeberin ab. Das Arbeitsgericht hatte angenommen, die Arbeitgeberin habe gegen ihre Pflicht zur Prozessförderung gem. § 282 Abs. 2 ZPO verstoßen, weil sie „unter Berücksichtigung der Vorgaben des § 132 Abs. 1 ZPO“ nicht so rechtzeitig vorgetragen habe, dass der Arbeitnehmer die erforderliche Erkundigung zu dem Vorbringen noch vor der mündlichen Verhandlung einzuziehen vermochte. Dies lässt die Möglichkeit offen, dass es schon bei Vortrag unter Berücksichtigung der Frist des § 132 Abs. 1 ZPO keine Verletzung der Prozessförderungspflicht, sondern noch ausreichend Zeit zur Erkundigung für den Arbeitnehmer angenommen hätte.

Das Landesarbeitsgericht hat überdies verkannt, dass sich der Entscheidung des Arbeitsgerichts nicht entnehmen lässt, ob und wie es das ihm gem. § 296 Abs. 2 ZPO zustehende Ermessen ausgeübt hat[16]. Dies ist wegen der weitreichenden Folgen einer Präklusion nicht entbehrlich. Eine Heilung durch eine eigene Ermessensentscheidung des Rechtsmittelgerichts ist nicht möglich[17], das Landesarbeitsgericht hat eine solche auch nicht versucht.

Das Berufungsurteil beruht auf der rechtsfehlerhaften Annahme, das Vorbringen der Arbeitgeberin im Schriftsatz vom 05.09.2017 bleibe gem. § 67 Abs. 1 ArbGG wegen der durch das Arbeitsgericht vermeintlich zu Recht erfolgten Zurückweisung nach § 282 Abs. 2, § 296 Abs. 2 ZPO auch im Berufungsverfahren ausgeschlossen.

Das Landesarbeitsgericht hat zumindest nicht ausgeschlossen, dass das Vorbringen der Arbeitgeberin im Schriftsatz vom 05.09.2017, ggf. zusammen mit ihrem weiteren Sachvortrag, geeignet war, die soziale Rechtfertigung der Kündigung vom 30.01.2017 zu begründen.

Es hat die Unwirksamkeit der Kündigung nicht noch auf andere Gründe gestützt.

Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Aufhebung und Zurückverweisung umfasst die Entscheidung über den nur für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag gestellten Hilfsantrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung.

Das Berufungsurteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig (§ 561 ZPO). Die bisherigen Feststellungen erlauben nicht die Annahme, die Arbeitgeberin habe den Betriebsrat vor der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört.

Ebenso wenig ist der Rechtsstreit zugunsten der Arbeitgeberin entscheidungsreif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das Bundesarbeitsgericht kann nicht selbst abschließend entscheiden, ob die Kündigung vom 30.01.2017 sozial gerechtfertigt ist. Das ist nach dem Vorbringen der Arbeitgeberin zumindest nicht ausgeschlossen. Feststellungen zum Kündigungssachverhalt sind indes bislang nicht getroffen.

Für das fortgesetzte Berufungsverfahren sind die folgenden weiteren Hinweise veranlasst:

Das Landesarbeitsgericht wird erneut über die soziale Rechtfertigung der Kündigung zu befinden haben, ohne dass das Vorbringen der Arbeitgeberin im Schriftsatz vom 05.09.2017 gem. § 67 Abs. 1 ArbGG ausgeschlossen bliebe.

Die Zurückweisung des Vorbringens gem. § 282 Abs. 2, § 296 Abs. 2 ZPO ist schon deshalb nicht zu Recht erfolgt, weil das Arbeitsgericht sein ihm insoweit zukommendes Ermessen nicht ausgeübt hat, jedenfalls sind die hierzu angestellten Erwägungen aus dem erstinstanzlichen Urteil nicht ersichtlich. Eine Ersetzung durch eine eigene Ermessensentscheidung des Landesarbeitsgerichts ist nicht möglich.

Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, das Arbeitsgericht habe das Vorbringen nicht gem. § 61a Abs. 5 ArbGG zurückweisen dürfen, eine Zurückweisung nach § 56 Abs. 2 ArbGG sei ohnehin von § 61a Abs. 5 ArbGG verdrängt.

Es ist schon zweifelhaft, ob die Arbeitgeberin der mit Fristsetzung bis zum 31.05.2017 erteilten Auflage mit ihrem Schriftsatz vom 31.05.2017 nicht zunächst nachgekommen war und eine nähere Erläuterung der Umsetzbarkeit der behaupteten Auslagerung sämtlicher Marktforschungsaufgaben auf externe Dienstleister sowie Vortrag zu vom Arbeitnehmer behaupteten, ihm außerhalb der Marktforschung übertragenen Aufgaben nicht erst durch dessen Erwiderung vom 31.07.2017 veranlasst war. Eine Aufforderung zur Stellungnahme auf den Schriftsatz des Arbeitnehmers vom 31.07.2017, der die Arbeitgeberin womöglich nicht fristgerecht nachgekommen wäre, ist – soweit ersichtlich – nicht ergangen.

Jedenfalls hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, dass eine ordnungsgemäße Belehrung über die Folgen der bis zum 31.05.2017 gesetzten Frist nach § 61a Abs. 6 ArbGG nicht feststellbar war.

Das Arbeitsgericht konnte das Vorbringen der Arbeitgeberin nur dann nach § 61a Abs. 3 und Abs. 5 ArbGG zurückweisen, wenn der Arbeitgeberin zuvor eine hinreichend konkrete Auflage erteilt[18] und sie gem. § 61a Abs. 6 ArbGG über die Folgen einer Versäumung der gesetzten Frist belehrt worden war. Die Belehrungspflicht besteht auch dann, wenn die Partei – wie hier – anwaltlich vertreten ist[19]. Allerdings kann es bei anwaltlich vertretenen Parteien ausreichen, dass die Belehrung wörtlich oder sinngemäß den Gesetzeswortlaut wiedergibt[20]. Letzteres ist zB der Fall, wenn die gesetzlichen Fristen als Ausschlussfristen bezeichnet werden[21].

Eine den dargestellten Anforderungen genügende Belehrung hat das Landesarbeitsgericht zu Recht nicht feststellen können. Die Sitzungsniederschrift der Güteverhandlung vom 11.04.2017 weist nur aus, dass die „Parteien und ihre Vertreter“ über „die Rechtsfolgen einer Fristversäumung belehrt“ wurden. Das besagt nicht, welchen Inhalt die Belehrung hatte. In dem Auflagenbeschluss sind die maßgeblichen Rechtsvorschriften auch sonst weder wörtlich noch sinngemäß wiedergegeben.

Die – konkludente – Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Arbeitgeberin habe, sofern ihr Vorbringen im Schriftsatz vom 05.09.2017 nicht gem. § 67 Abs. 1 ArbGG ausgeschlossen bleibt, dringende betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG vorgetragen, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus entgegenstanden, lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob der Arbeitnehmer das Vorbringen der Arbeitgeberin in erheblicher Weise bestritten hat. Bejahendenfalls wird es die angebotenen Beweise zu erheben haben.

Sollte das Landesarbeitsgericht nicht erneut zu dem Ergebnis kommen, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, wird es zu prüfen haben, ob sie nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats unwirksam ist. Hierbei wird es zu beachten haben, dass die Arbeitgeberin mit Schriftsatz vom 27.09.2018 vorgetragen hat, die in der Klageerwiderung und im Schriftsatz vom 05.09.2017 angesprochene Option, einfache Aufgaben auch von anderen Mitarbeitern übernehmen zu lassen, sollten diese nicht ausgelastet sein, statt sie an externe Dienstleister zu vergeben, sei zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung von der Unternehmensführung noch nicht erwogen worden.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11. Juni 2020 – 2 AZR 400/19

  1. Hess. LAG 05.10.2018 – 3 Sa 1630/17[]
  2. zum Parteiprozess vor dem Amtsgericht vgl. BVerfG 27.11.1989 – 2 BvR 632/89, zu II 1 der Gründe; aA Anders in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle ZPO 78. Aufl. § 282 Rn. 15[]
  3. vgl. Stein/Jonas/Kern ZPO 23. Aufl. § 129 Rn. 16[]
  4. vgl. BAG 14.03.2013 – 8 AZR 153/12, Rn. 45; 2.03.1989 – 2 AZR 275/88, zu IV 2 a der Gründe; Schwab/Weth/Korinth 5. Aufl. ArbGG § 56 Rn. 43; vgl. aber zum Verhältnis zu § 6 KSchG: BAG 20.09.2012 – 6 AZR 483/11, Rn. 34; aA GMP/Schleusener 9. Aufl. § 56 Rn. 2; O/K/S/Künzl 6. Aufl. Rn. 251[]
  5. aA Stein/Jonas/Thole ZPO 23. Aufl. § 296 Rn. 13[]
  6. vgl. BGH 28.09.1988 – IVa ZR 88/87, zu II 3 b der Gründe[]
  7. vgl. BAG 21.05.2019 – 2 AZR 574/18, Rn. 17; 19.05.1998 – 9 AZR 362/97, zu II 2 e der Gründe[]
  8. vgl. dazu MünchKomm-ZPO/Prütting 6. Aufl. § 296 Rn. 119[]
  9. BGH 24.09.2019 – VIII ZR 289/18, Rn.20; 10.05.2016 – VIII ZR 97/15, Rn. 15; 2.09.2013 – VII ZR 242/12, Rn. 13[]
  10. BGH 10.05.2016 – VIII ZR 97/15, Rn. 15; 2.09.2013 – VII ZR 242/12, Rn. 13; nicht eindeutig hingegen: BGH 1.10.1986 – I ZR 125/84, zu III 1 der Gründe; 26.11.1984 – VIII ZR 217/83, zu II 2 b cc der Gründe[]
  11. BGH 10.10.1984 – VIII ZR 107/83, zu II 1 c bb der Gründe[]
  12. Bünnigmann in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle ZPO 78. Aufl. § 296 Rn. 61 f.; Zöller/Greger ZPO 33. Aufl. § 296 Rn. 30[]
  13. BGH 10.10.1984 – VIII ZR 107/83 – aaO; aA zu § 528 ZPO aF: BGH 13.01.1987 – VI ZR 280/85, zu II 1 der Gründe; 5.05.1982 – VIII ZR 152/81, zu 3 b der Gründe[]
  14. BVerfG 5.11.2008 – 1 BvR 1822/08, zu 1 der Gründe[]
  15. vgl. Weth in Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens im Zivilprozess S. 35 f. und S. 280[]
  16. zu diesem Erfordernis vgl. BVerfG 30.01.1985 – 1 BvR 876/84, zu II 2 der Gründe, BVerfGE 69, 145[]
  17. vgl. BGH 10.05.2016 – VIII ZR 97/15, Rn. 16; 2.09.2013 – VII ZR 242/12, Rn. 15[]
  18. vgl. BAG 25.03.2004 – 2 AZR 380/03, zu B II 1 c ee der Gründe[]
  19. zu § 56 Abs. 2 Satz 2 ArbGG: vgl. BAG 14.03.2013 – 8 AZR 153/12, Rn. 45; 19.05.1998 – 9 AZR 362/97, zu II 2 d der Gründe[]
  20. BAG 19.05.1998 – 9 AZR 362/97, zu II 2 d bb der Gründe[]
  21. BAG 19.05.1998 – 9 AZR 362/97, zu II 2 d cc der Gründe[]