Die Berufungseinlegung beim falschen Gericht

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Berufung in einer Streitigkeit nach § 43 Nr. 2 WEG fristwahrend nur bei dem nach § 72 Abs. 2 GVG zuständigen Berufungsgericht eingelegt werden kann. Etwas anderes gilt nur in dem Fall, dass das Vorliegen einer wohnungseigentumsrechtlichen Streitigkeit im Sinne dieser Regelungen für bestimmte Fallgruppen höchstrichterlich noch nicht geklärt ist und über deren Beantwortung mit guten Gründen gestritten werden kann[1].

Die Berufungseinlegung beim falschen Gericht

An den mit der Berufungseinlegung betrauten Rechtsanwalt sind mit Blick auf die Ermittlung des zuständigen Rechtsmittelgerichts hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen[2]. Die Prüfung der Rechtsmittelzuständigkeit obliegt dem Rechtsanwalt und kann von ihm nicht delegiert werden[3]. Bei einer bundesrechtlichen Zuständigkeitsregelung, die abweichende Regelungen durch das Landesrecht zulässt, umfasst die Prüfung auch die Frage, ob das betreffende Land hiervon Gebrauch gemacht hat[4].

Ein Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts ist regelmäßig nicht unverschuldet. Er muss die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen[5], oder diese anhand geeigneter Quellen, etwa von Vorschriftendatenbanken[6], ermitteln.

Daran ändert nach Ansicht des Bundesgerichtshofs auch das fehlerhafte Ergebnis einer Recherche in einen Rechtsanwaltsprogramm sowie auf dem Landesjustizportal des jeweiligen Bundeslandes nichts, die keinen Hinweis auf die nach § 72 Abs. 2 Satz 2 GVG i. V. m. § 10 der niedersächsischen Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten in der Gerichtsbarkeit und der Justizverwaltung vom 18.12 2009 (Nds. ZustVO-Justiz) bestehende Rechtsmittelzuständigkeit des Landgerichts Aurich ergeben hatte. Die Recherchen anhand der angeführten Quellen genügen jedoch nicht der anwaltlichen Sorgfaltspflicht. Der Ausdruck der Internetabfrage in dem Landesjustizportal, auf den sich die Rechtsbeschwerde bezieht, eignet sich nicht zur Feststellung, ob die niedersächsische Landesregierung von der nach § 72 Abs. 2 Satz 2 GVG bestehenden Ermächtigung Gebrauch gemacht hat. Die Abfrage wurde unter dem Link „Service“ und dort wiederum unter dem Link „Ratgeber für gerichtliche Verfahren“ vorgenommen. Der ausgedruckte Text enthält eine Kurzdarstellung, die in allgemeiner Natur auch den Rechtsmittelweg erläutert und dort gerade ausführt, dass „im Regelfall“ das für den Sitz des Oberlandesgerichts in dem Bezirk zuständige Landgericht das Berufungsgericht ist. Danach ist die Frage, ob und in welcher Weise in Niedersachsen von der Ermächtigung des § 72 Abs. 2 Satz 2 GVG Gebrauch gemacht wurde, völlig offen. Dies gilt auch für die Abfrage im Orts- und Gerichtsverzeichnis. Zu der Rechtsmittelzuständigkeit in Wohnungseigentumssachen für das Amtsgericht Brake äußert sich dieses Verzeichnis nicht. Eine Erläuterung des verwandten Rechtsanwaltsprogramms ist nicht erfolgt, so dass schon aus diesem Grunde keine Aussage darüber getroffen werden kann, ob dieses in geeigneter und zuverlässiger Weise Auskunft über die Rechtslage in Niedersachsen geben konnte. Das vor diesem Hintergrund gegebene Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten müssen sich die Beklagten zurechnen lassen (§ 85 Abs. 2 ZPO).

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15. Mai 2014 – V ZB 172/13

  1. BGH, Beschluss vom 12.04.2010 – V ZB 224/09, NJW-RR 2010, 1096 Rn. 9 f. mwN[]
  2. BGH, Beschluss vom 24.06.2010 – V ZB 170/09, WuM 2010, 592 Rn. 5[]
  3. BGH, Beschluss vom 12.04.2010 – V ZB 224/09, NJW-RR 2010, 1096 Rn.12; Beschluss vom 05.03.2009 – V ZB 153/08, NJW 2009, 1750, 1751[]
  4. BGH, Beschluss vom 14.04.2010 – V ZB 224/09, aaO, mwN[]
  5. BGH, Beschluss vom 09.07.1993 – V ZB 20/93, NJW 1993, 2538, 2539[]
  6. BGH, Beschluss vom 14.04.2010 – – V ZB 224/09, NJW-RR 2010, 1096 Rn. 10[]