Prozessbetreuung – und das Rechtsdienstleistungsgesetz

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall verfolgte eine bundesweit überwiegend auf dem Gebiet des Versicherungsrechts tätige Rechtsanwaltskanzlei, gegenüber einer Aktiengesellschaft („pC AG“), die sich mit der Geltendmachung von Ansprüchen aus gekündigten Lebens- und Rentenversicherungsverträgen befasst, wettbewerbsrechtliche Ansprüche wegen Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG).

Prozessbetreuung – und das Rechtsdienstleistungsgesetz

Die pC AG verfügt nicht über eine Registrierung nach § 10 RDG. Potentielle Kunden der pC AG sind Versicherungsnehmer, die an ihren Versicherungsverträgen nicht mehr festhalten wollen. Die pC AG bietet ihren Kunden zwei Geschäftsmodelle an. Einerseits handelt es sich um eine sogenannte Kauf- und Abtretungsvereinbarung, bei der die Rechte des Kunden aus dem jeweiligen Versicherungsvertrag an die pC AG abgetreten werden (Vertragsmodelle „AV 4 2011“ und „AV 4 2012“). Andererseits handelt es sich um einen sog. Prozessbetreuungsvertrag, bei dem die pC AG die Ansprüche des Kunden in dessen Namen durchsetzen soll und die Prozesskosten üblicherweise durch eine Rechtsschutzversicherung des Kunden getragen werden sollen (Vertragsmodelle „Prüfauftrag Ökopaket“, „Prüfauftrag Rechtsschutzpaket“, „MRS 2011“ und „MRS 2012“).

Dabei verwendet sie für die Prozessbetreuungsverträge „MRS 2011“ und „MRS 2012“ Allgemeine Geschäftsbedingungen, in denen es unter anderem wie folgt heißt:

[MRS 2011] „(…) Deshalb beauftrage ich Sie hiermit, meine Ansprüche für mich gemäß der umseitigen Bedingungen über die Prozessbetreuung zur Anfechtung von Versicherungsverträgen (…) durchzusetzen. (…) Ich habe eine Rechtsschutzversicherung, die die Verfahrenskosten trägt. (…)“

[MRS 2012] „(…) Deshalb beauftrage ich Sie hiermit, die Durchsetzung meiner Ansprüche für mich gemäß der umseitigen Bedingungen über die Prozessbetreuung zur Anfechtung von Versicherungsverträgen (…) zu betreuen. (…) Die Verfahrenskosten übernimmt meine Rechtsschutzversicherung. (…)“

„Bedingungen über die Prozessbetreuung zur Anfechtung von Versicherungsverträgen

Präambel

(…) Um schnellstmöglich über das Guthaben verfügen zu können, beauftragt der Anspruchsinhaber die pC AG durch umstehende Erklärung mit der Be- treuung und Steuerung der Anspruchsdurchsetzung. Die pC AG hat hierzu eine Strategie entwickelt, die ihr Knowhow und damit einen wesentlichen Teil ihrer Geschäftsgrundlage darstellt und mit welcher der gesamte Verfahrensablauf gesteuert werden soll. (…) Die pC AG erbringt im Rahmen dieser Ver- einbarung selbst keine Leistungen im Sinne des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG). Mit der Prüfung des Sachverhalts sowie der ggf. erforderlichen außergerichtlichen Korrespondenz zum Zwecke der Anspruchsdurchsetzung werden jeweils unabhängige Rechtsanwälte beauftragt, welche dem Netzwerk der pC AG zugehörig sind.

(…)

§ 2 Leistungen der pC AG

Die pC AG übernimmt die Betreuung und Steuerung der außergerichtli- chen und gerichtlichen Durchsetzung der Ansprüche des Anspruchsinhabers gegenüber der Versicherung. Hierfür bringt die pC AG ihr gesamtes Know- how, das sie bereits erworben hat und stetig weiterentwickelt, ein.

Die pC AG ist (…) bevollmächtigt, für die gerichtliche und außergericht- liche Wahrnehmung der Interessen des Anspruchsinhabers gegenüber dem Versicherer einen unabhängigen Rechtsanwalt aus ihrem Netzwerk auszuwählen und mit der Anspruchsdurchsetzung zu beauftragen. Die pC AG wird durch den Anspruchsinhaber ermächtigt, in Abstimmung mit den bevollmächtigten Rechtsanwälten in Vertretung für den Anspruchsinhaber zu entscheiden, welche außergerichtlichen bzw. gerichtlichen Maßnahmen für die Durchsetzung der sich etwaig aus dem Versicherungsvertrag ergebenden Ansprüchen eingeleitet werden. (…)“

Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Köln hat die pC AG wegen Verstoßes gegen § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 2 Abs. 2, § 3 RDG antragsgemäß verurteilt, „es bei Meidung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu unterlassen, (…) Versicherungsnehmer geschäftsmäßig aufzufordern, Versicherungsverträge samt Korrespondenz mit dem betreffenden Versicherer einzureichen und eine entgeltliche rechtliche Prüfung hinsichtlich der Erfolgsaussichten einer vollständigen oder teilweisen Beitragsrückforderung vorzunehmen, wenn dies geschieht wie nachfolgend wiedergegeben: [es folgt die Nennung näher bezeichneter, als Anlagen vorliegender Vertragsunterlagen][1], das Oberlandesgericht Köln hat die hiergegen gerichtete Berufung der pC AG zurückgewiesen[2].

Und auch die Nichtzulassungsbeschwerde der pC AG hatte nun vor dem Bundesgerichtshof keinen Erfolg, der Bundesgerichtshof bejahte einen Verstoß gegen §§ 3, 4 Nr. 11, § 8 UWG in Verbindung mit § 3 RDG. Zudem sah er das ergangene Verbot als mit dem Grundrecht der pC AG aus Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar an.

Die Struktur der Vertragsmodelle „MRS 2011“ und „MRS 2012“, die den Eintritt der Rechtsschutzversicherung des Kunden vorsehen, bedingt ein Mandatsverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und dem Kunden. Nach § 5 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen Rechtsschutz (ARB) 2010 trägt der Versicherer bei Eintritt des Rechtsschutzfalles „die Vergütung eines für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwaltes“. Für die Rechtsverfolgung mithilfe eines durch einen Dritten mandatierten Rechtsanwalts träte die Rechtsschutzversicherung folglich nicht ein[3].

Das ergangene Verbot erweist sich aber bei Zugrundelegung der in der BGH-Entscheidung „Finanz-Sanierung“[4] ausgesprochenen Maßstäbe gleichwohl als richtig, weil es sich bei der beanstandeten Handlung um eine außergerichtliche Rechtsdienstleistung in Form der entgeltlichen Rechtsprüfung im Sinne der §§ 2, 3 RDG handelt.

Im Fall „Finanz-Sanierung“, in dem ein Unternehmen einen „in Schuldenangelegenheiten versierten Rechtsanwalt“ empfahl und dessen Kosten trug, war ein Verstoß gegen § 3 RDG gegeben, weil dieser Rechtsanwalt der Sache nach ein Erfüllungsgehilfe des Unternehmens war, auch wenn er formal vom Kunden selbst beauftragt und bevollmächtigt wurde[5].

Vorliegend steht der Umstand, dass im Rahmen der Verträge „MRS 2011“ und „MRS 2012“ zwischen dem Kunden der pC AG und dem Rechtsanwalt ein eigenständiges Mandatsverhältnis begründet wird, der Annahme einer unzulässigen Rechtsdienstleistung ebenfalls nicht entgegen, weil der Rechtsanwalt der Sache nach als Erfüllungsgehilfe der pC AG einzuordnen ist. Dies folgt aus der starken Stellung, die die pC AG wie ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen erkennen lassen im Rahmen der versprochenen Anspruchsdurchsetzung innehat. Sie steuert die Anspruchsdurchsetzung, indem sie den Rechtsanwalt auswählt, beauftragt und in Abstimmung mit diesem über die einzelnen Maßnahmen entscheidet. Hieran vermag der formale Umstand, dass das Mandatsverhältnis zwischen Kunden und Rechtsanwalt besteht, nichts zu ändern.

Das ergangene Verbot verletzt die der pC AG grundgesetzlich garantierte Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG) nicht. Es handelt sich um eine von dem Schrankenvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG gedeckte verhältnismäßige Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit. Die Dienstleistung der pC AG lässt sich nicht in die dem Rechtsanwalt überlassene erlaubnispflichtige Rechtsbesorgung und die sonstigen unterstützenden, nicht dem Erlaubnisvorbehalt unterfallenden Tätigkeiten aufteilen, die nur geringe Berührungspunkte mit der Rechtspflege aufweisen[6]. Bei der Würdigung der Tätigkeit der pC AG ergibt sich kein maßgeblicher, von der Anspruchsdurchsetzung zu differenzierender Gehalt; die Tätigkeit der pC AG ist, weil sie selbst in der dargestellten Weise in die Anspruchsdurchsetzung eingebunden ist, vielmehr schwerpunktmäßig rechtspflegenah.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12. November 2015 – I ZR 211/14

  1. LG Köln, Urteil vom 10.12.2013 – 33 O 68/12[]
  2. OLG Köln, Urteil vom 29.08.2014 – 6 U 13/14[]
  3. vgl. Prölls/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 29. Aufl., § 5 ARB 2010 Rn. 4[]
  4. BGH, Urteil vom 29.07.2009 – I ZR 166/06, GRUR 2009, 1077 = WRP 2009, 1380[]
  5. BGH, GRUR 2009, 1077 Rn. 26 Finanz-Sanierung[]
  6. vgl. BVerfG, NJW 2002, 3531 30[]