Die Beratungspflicht des Anwaltsmediators erstreckt sich bei gewünschter einvernehmlicher Regelung der Scheidungsfolgen auch auf die Folgesache Versorgungsausgleich.

Auf den abgeschlossenen Mediationsvertrag finden die Grundsätze der Anwaltshaftung Anwendung. Die Beratung über die Folgesache Versorgungsausgleich war im vorliegenden Fall von dem Mediationsvertrag umfasst.
Unstreitig schlossen die damaligen Eheleute mit der Mediatorin einen Schlichtungs- oder Mediationsvertrag mit dem Ziel einer einvernehmlichen und kostengünstigen Ehescheidung, bei welchem eine Regelung über die Vermögensauseinandersetzung getroffen und ein Unterhaltsverzicht erklärt werden sollte. Dabei hat die Mediatorin in ihrer Eigenschaft als Rechtsanwältin die rechtliche Beratung der Eheleute übernommen, für die psychologische Seite der Beratung war ein anderer Kollege der Kanzlei zuständig. Bei dem abgeschlossenen „Mediationsvertrag“ handelt es sich damit um einen mehrseitigen Anwaltsdienstvertrag speziellen Inhalts, bei welchem für die übernommenen Vertragspflichten die Grundsätze der Anwaltshaftung zur Anwendung kommen. Tritt ein Rechtsanwalt als vermittelnder Dritter (zum Beispiel als Moderator, Schlichter oder Mediator) auf, handelt es sich um eine anwaltliche Tätigkeit (§ 18 BORA). Die Haftung des Anwaltsmediators orientiert sich daher nach allgemeiner Ansicht an den Grundsätzen der Anwaltshaftung und nicht an denen der Amtshaftung des Richters oder des Notars[1].
Die Beratung der Eheleute betreffend die Folgesache „Versorgungsausgleich“ war Teil des Mediationsvertrages. Dies ergibt sich bereits aus der Aufforderung der Mediatorin an die Eheleute, die Rentenversicherungsnummern mitzuteilen und eine Vollmacht zur Einholung der Auskünfte erteilen, da sie vorher keine weiteren Ergebnisse oder Zahlen liefern könne. Auch war unter anderem beim Erstgespräch mit der Mediatorin Thema gewesen ein Ungleichgewicht bei der Rente zu Gunsten der Ehefrau, der Anspruch auf Versorgungsausgleich und die Spezialvollmacht zur Anfrage der Rentenpunkte. Die Mediatorin hat dieser Darstellung nicht widersprochen. Ihr Vortrag, dass nie beabsichtigt gewesen sei, den Versorgungsausgleich auszuschließen, steht dem nicht entgegen.
Auch unter dem Gesichtspunkt, dass der Versorgungsausgleich nach der Kernbereichslehre hinter dem Kindesbetreuungsunterhalt gemeinsam mit dem Alters- und Krankenunterhalt den zweiten Rang bei den Scheidungsfolgen einnimmt[2] und gemäß § 137 Abs. 2 Satz 2 FamFG grundsätzlich ein Zwangsverbund mit der Scheidung besteht, ist bei einer Beratung, welche die Beteiligten einer einvernehmlichen Ehescheidung zuführen soll, die Folgesache Versorgungsausgleich zwingend zu erörtern.
Die anwaltliche Mediatorin ist zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung im Zusammenhang mit den Zielvorstellungen der Beteiligten verpflichtet. Sie muss gewährleisten, dass das von den Konfliktparteien angestrebte Ziel auf sicherstem Wege erreicht werden kann. Zwar schuldet sie keinen Erfolg des Schlichtungsversuchs, aber jedenfalls die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens, insbesondere die Erteilung richtiger Hinweise[3]. Sie trifft auch eine allgemeine Pflicht zur Beratung der Konfliktparteien[4].
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Rechtsanwalt den Mandanten in seiner Rechtssache grundsätzlich umfassend und möglichst erschöpfend rechtlich zu beraten. Er muss den ihm vorgetragenen Sachverhalt dahin prüfen, ob er geeignet ist, den von seinem Auftraggeber erstrebten Erfolg herbeizuführen. Dem Mandanten hat der Anwalt diejenigen Schritte zu empfehlen, die zu dem erstrebten Ziel führen können. Er muss den Auftraggeber vor Nachteilen bewahren, soweit solche vorhersehbar und vermeidbar sind. Dazu hat der Anwalt seinem Mandanten den sichersten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant eine sachgerechte Entscheidung treffen kann. Zweifel und Bedenken, zu denen die Sachlage Anlass gibt, muss der Anwalt darlegen und mit seinem Mandanten erörtern[5].
Die Darlegungs- und Beweislast für eine Verletzung der vorgenannten Pflichten durch den Anwalt trifft grundsätzlich den Mandanten.
Hätte die Mediatorin im vorliegenden Fall die vorgenannten Anforderungen beachtet, dann hätte sie die Auskünfte zum Versorgungsausgleich wie besprochen einholen müssen, um die Ehefrau über die Höhe ihres Ausgleichsanspruchs zu informieren.
Da sie dies unterlassen hat, hätte sie spätestens im Mediationstermin gegenüber der Ehefrau klarstellen müssen, dass die Auskünfte zum Versorgungsausgleich nunmehr durch das Gericht einzuholen sind und dass ausschließlich das Gericht die Übertragung der Anwartschaften anordnen kann. Die Ehefrau betreffend hatte sie insoweit im vorliegenden Fall eine besondere Fürsorgepflicht. Sie wusste, dass sich der Versorgungsausgleich im Saldo zu Gunsten der Ehefrau auswirken würde und dass sie nicht anwaltlich vertreten sein würde. Ihr war auch bekannt, dass die Ehefrau im Scheidungsverfahren nur auf die von ihr erteilten Informationen zurückgreifen können wird, da keine weitere Besprechung geplant war. Die Mediatorin hatte als Rechtsanwältin auch grundsätzlich von der Belehrungsbedürftigkeit ihres Auftraggebers auszugehen[6].
Die Mediatorin hat im vorliegenden Fall ihre Überwachungs- und Sorgfaltspflichten aus dem Mediationsvertrag auch betreffend das Ehescheidungsverfahren verletzt.
Ihr Einwand der Mediatorin, dass sie mit dem Scheidungsverfahren als Mediatorin nichts zu tun habe, da dies ausschließlich in den Verantwortungsbereich der Verfahrensbevollmächtigten des Ehemannes falle, ist nicht erheblich. Als Mediatorin war sie beiden Ehegatten gleichermaßen verpflichtet und daher aufgrund des Interessengegensatzes daran gehindert, den Scheidungsantrag zu stellen (§§ 2 Abs. 3 Satz 1, 3 Abs. 2 Satz 2 MediationsG). Daher sollte die spätere Verfahrensbevollmächtigte des Ehemannes auftreten. Vorliegend hat jedoch die Mediatorin anstelle der verhinderten späteren Verfahrensbevollmächtigten die für den Scheidungsantrag erforderlichen Erhebungen bei den damaligen Eheleuten vorgenommen. Anhand des von ihr in diesem Termin aufgenommenen Protokolls wurde der Scheidungsantrag erstellt, welchen sie sich erst nach Abschluss des Scheidungsverfahrens vorlegen ließ. Auch unter der Annahme, dass die Verfahrensbevollmächtigte den Scheidungsantrag mit dem beabsichtigten Verzicht auf den Versorgungsausgleich formuliert hat, hat die Mediatorin dadurch ihre Kontroll- und Überwachungspflichten gegenüber der Ehefrau verletzt. Eng mit der rechtsanwaltlichen Beratungspflicht verbunden ist der Grundsatz des sichersten Weges[7]. Danach muss der Rechtsanwalt sein Verhalten so einrichten, dass er Schädigungen seines Auftraggebers vermeidet. Er hat, wenn mehrere Maßnahmen in Betracht kommen, diejenige zu treffen, die die sicherste und gefahrloseste ist[8]. Die Mediatorin trafen Fürsorgepflichten für beide Eheleute. Daher hätte sie sich als gewissenhafte Rechtsanwältin im Interesse ihrer beiden Mandanten den ausformulierten Scheidungsantrag vor Einreichung bei Gericht vorlegen lassen müssen, um Übertragungsfehler oder Missverständnisse auszuschließen, da sie die dafür erheblichen Daten aufgenommen hatte. Im Übrigen spricht vorliegend viel dafür, dass die Mediatorin die wesentlichen Teile des Scheidungsantrags selbst formuliert hat. So wird in dem beim Amtsgericht eingereichten Scheidungsantrag der beabsichtigte Ausschluss des Versorgungsausgleichs unter Bezugnahme auf eine bereits im Zugewinnausgleich getroffene Regelung aufgeführt. Zwar hat die Verfahrensbevollmächtigte, nachdem sie das Protokoll der Besprechung des Scheidungsantrages bei der Mediatorin abgeholt hatte, noch einige Daten der Eheleute bei der Mediatorin angefragt, einen geplanten Verzicht auf den Versorgungsausgleich oder einen Vertrag über den Zugewinn hat sie in dieser E-Mail nicht erwähnt. Es erscheint nicht wahrscheinlich, dass die Verfahrensbevollmächtigte einen Verzicht auf den Versorgungsausgleich im Hinblick auf eine im Zugewinn getroffene Regelung frei erfunden hat.
Die Anwaltsmediatorin hat mit einer besonderen Vertrauensposition gegenüber der Ehefrau für die spätere Verfahrensbevollmächtigte die Vorbesprechung zur Ehescheidung mit den damaligen Eheleuten geführt. Die Besprechung hat in den Räumen der Schlichtungsstelle stattgefunden. Die Mediatorin hat dadurch bei der Ehefrau den Eindruck hervorgerufen, dass sie auch für das Ehescheidungsverfahren weiter zuständig sei.
Dass die Mediatorin die vorstehende Pflichtverletzung zu vertreten hat, wird vermutet, § 280 Abs.1 Satz 2 BGB.
Die Pflichtverletzung der Mediatorin ist auch für den Schaden ursächlich geworden, welcher der Ehefrau entstanden ist.
Erfolgt eine anwaltliche Pflichtverletzung durch eine Unterlassung, steht diese haftungsrechtlich nur dann einer Handlung gleich, wenn in der konkreten Situation eine Rechtspflicht zum Handeln bestand. Die Kausalität der Unterlassung ist bereits im Vorfeld durch die Pflichtwidrigkeit bestimmt. Danach sind Unterlassungen kausal, wenn die gebotene Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass die eingetretene Schadensfolge entfiele[9].
Es spricht eine überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit (§ 287 ZPO) dafür, dass die Ehefrau, wenn sie über die Höhe des bestehenden Ausgleichsanspruchs und den Ablauf des gerichtlichen Verfahren informiert gewesen wäre, ihren Verfahrensbevollmächtigten nicht für die Abgabe eines Verzichts auf den Versorgungsausgleich und einen anschließenden Rechtsmittelverzicht betreffend den Beschluss des Amtsgerichts mandatiert hätte.
Auf ein Mitverschulden der Ehefrau gemäß § 254 Abs.1 BGB an der Schadensentstehung kann sich die Mediatorin nicht berufen.
Die Beweislast für das Verschulden des Geschädigten trägt der Ersatzpflichtige. Für den Beweis des Mitverschuldens kommt § 286 ZPO zur Anwendung.
Wer seine Vertragspflicht zur Erteilung der richtigen Auskunft verletzt hat, kann in der Regel gegenüber dem Ersatzanspruch des Geschädigten nicht geltend machen, diesen treffe ein Mitverschulden, weil dieser der Auskunft vertraut und dadurch einen Mangel an Sorgfalt gezeigt habe[10]. Da die Ehefrau aufgrund der mangelnden Information durch die Mediatorin und der für sie nicht mehr durchschaubaren Durchmischung der Mandate irrig davon ausging, dass die Mediatorin alles unter Kontrolle habe und den Versorgungsausgleich regeln werde, kann ihr die Beauftragung des Terminsanwalts nicht angelastet werden.
Der Ehefrau ist vorliegend durch die Pflichtverletzung der Mediatorin ein Schaden dahingehend entstanden, dass sie im Zeitpunkt des Renteneintritts in die gesetzliche Rentenversicherung die Zahlung des Betrages geltend machen kann, der erforderlich wäre, um Rentenanwartschaften in Höhe des Kapitalwertes zu begründen. Durch die rechtskräftige Feststellung des Gerichts, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet, ist die Entscheidung des Amtsgerichts Reutlingen in Rechtskraft erwachsen. Der Ehefrau ist durch das Unterbleiben des Versorgungsausgleichs ein Schaden dahingehend entstanden, dass die Übertragung von Entgeltpunkten mit einem zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts korrespondierenden Kapitalwert auf ihr Rentenkonto unterblieben ist.
Erachtet das Gericht eine Vereinbarung zum Versorgungsausgleich für wirksam, so hat es aufgrund der nach § 6 Abs. 2 VersAusglG bestehenden Bindungen entsprechend der Vereinbarung zu entscheiden. Ist der Versorgungsausgleich vollständig ausgeschlossen worden, hat das Gericht gem. § 224 Abs. 3 FamFG in der Beschlussformel ausdrücklich festzustellen, dass kein Versorgungsausgleich stattfindet. Als Folge dieser Feststellung kann nach den Vorschriften des Sozialversicherungsrechts das Rentenkonto der Zeugin … um die entgangenen Rentenanwartschaften nicht mehr erhöht werden. In § 187 Abs. 1 SGB VI werden die Fälle, in denen im Rahmen des Versorgungsausgleichs Beiträge gezahlt werden, abschließend aufgeführt. Nach § 187 Abs.1 Nr.1 SGB VI können Beiträge gezahlt werden, um Rentenanwartschaften, die um einen Abschlag an Entgeltpunkten gemindert worden sind, ganz oder teilweise wieder aufzufüllen. Diese Vorschrift ist nur anwendbar, wenn eine Entscheidung des Familiengerichts zu einer solchen Minderung geführt hat. Vorliegend hat der durch die anwaltliche Pflichtverletzung erklärte Verzicht auf den Versorgungsausgleich gerade umgekehrt bewirkt, dass es nicht zu einer Entscheidung des Familiengerichts mit Übertragung von Entgeltpunkten gekommen ist. Die weiteren Vorschriften des § 187 Abs.1 Nr. 2 und Nr. 3 SGB VI sind ebenfalls nicht einschlägig. Da ein Ausgleich des Schadens durch Zahlung des für die Begründung von Rentenanwartschaften in der entgangenen Höhe erforderlichen Betrags wegen der Unmöglichkeit der Naturalrestitution (§ 249 BGB) nicht in Betracht kommt, wird eine Geldentschädigung nach § 251 BGB geschuldet[11]. Danach ist die Ehefrau so zu stellen, als ob zum Zeitpunkt der fiktiven Rechtskraft der Ehescheidung bei einer angenommenen durchschnittlichen Verfahrensdauer von 11 Monaten nach Zustellung des Scheidungsantrages die Entgeltpunkte mit einem zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts korrespondierenden Kapitalwert auf ihr Rentenkonto übertragen worden wären.
Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 26. Januar 2017 – 11 U 4/16
- Greger in Greger /Unberath Mediationsgesetz Teil III RN 111; Unberath in Greger /Unberath § 2 Mediationsgesetz RN 85 ff.; Römermann in Hartung /Römermann vor § 51 BRAO RN 11, Rinkler in Zubehör, RN 181; Leibner NJW 2002, 3521[↩]
- BGHZ 158, 81; BGH FamRZ 2014, 629[↩]
- Vollkommer /Greger/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 4. Aufl., § 2 RN 9; Fahrendorf in Fahrendorf /Mennemeier /Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts, 8. Aufl., RN 1776; Unberath in Greger /Unberath § 2 MediationsG, RN 194[↩]
- Leibner NJW 2002, 3521[↩]
- vgl. u.a. BGH NJW 2007, 2485; 1994, 1211, 1212; 1995, 449, 450; NJW-RR 2005, 494; 2000, 791; Anwaltshaftungsrecht a. a. O., § 9 RN 5[↩]
- vgl. BGH NJW 2001, 517, 518 für den Fall eines juristisch vorgebildeten Mandanten[↩]
- Anwaltshaftungsrecht a. a. O., § 13 RN 1[↩]
- BGH NJW 1988, 486, 487[↩]
- Anwaltshaftungsrecht a. a. O., § 19 RN 15[↩]
- Anwaltshaftungsrecht a. a. O., § 20 RN 52; BGH NJW 1997, 661; BGH NJW-RR 2003, 1064; VersR 2007, 1380, 1382[↩]
- vgl. BGH FamRZ 2010, 728-732 RN 25[↩]