Eine Erklärung, mit welcher der Angeklagte dem Verteidiger Vollmacht zur Vertretung, auch im Fall der Abwesenheit des Angeklagten, in allen Instanzen – ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung – erteilt hat, genügt den Anforderungen der in § 329 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO vorausgesetzten Vertretungsvollmacht.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hat das Amtsgericht Duisburg den Angeklagten wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt. In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Duisburg ist er trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht erschienen. Der anwesende Verteidiger hat sich auf die ihm am Tag der Berufungseinlegung erteilte schriftliche Strafprozessvollmacht bezogen. Darin hatte der Angeklagte dem Rechtsanwalt „Vollmacht zur Verteidigung und Vertretung, auch im Fall … [seiner] Abwesenheit, in allen Instanzen erteilt“. Das Landgericht Duisburg hat die Berufung gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen. In den schriftlichen Urteilsgründen hat es ausgeführt, der Angeklagte sei in der Berufungshauptverhandlung nicht in zulässiger Weise vertreten worden. Die allgemein gehaltene Formulierung der Vollmacht reiche für eine Vertretung in der Berufungshauptverhandlung nicht aus. Gegen dieses Urteil führt der Angeklagte das Rechtsmittel der Revision. Er hat neben der Verletzung sachlichen Rechts mit einer Verfahrensrüge einen Verstoß gegen § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO beanstandet und sich dabei auf eine wirksame Vertretung durch den Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung berufen.
Das mit dem Rechtsmittel befasste Oberlandesgericht Düsseldorf möchte das angefochtene Urteil auf die Verfahrensrüge hin aufheben, sieht sich daran aber durch einen Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 24.11.2016[1] gehindert, dem eine inhaltsgleiche Vertretungsvollmacht zugrunde lag. In dieser Entscheidung wird für eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge der Verletzung von § 329 Abs. 1 StPO der Vortrag verlangt, dass sich der Verteidiger bei Anzeige seiner Verteidigungsbereitschaft auf eine besondere Vollmacht berufen könne. Angesichts der weitreichenden Folgen, die die Vertretung des abwesenden Angeklagten durch den Verteidiger haben könne, müsse sich die Vertretungsvollmacht ausdrücklich auf eine Vertretung in der Berufungshauptverhandlung beziehen[2].
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hält die Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Hamm für unzutreffend. Die Möglichkeit der Vertretung des Angeklagten in der Hauptverhandlung sei in der Strafprozessordnung – neben § 329 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO – in zahlreichen Konstellationen vorgesehen (§§ 234, 350 Abs. 2 Satz 1, § 387 Abs. 1, § 411 Abs. 2, § 428 Abs. 1 Satz 1 StPO). Eine ohne Einschränkung für alle Instanzen erteilte Vertretungsvollmacht decke die Vertretung des abwesenden Angeklagten ohne Weiteres in sämtlichen zulässigen Vertretungsfällen ab. Der Gesetzgeber habe die Vollmacht in allen Vorschriften gleichbehandelt. Es sei keine Besonderheit der Berufungshauptverhandlung, dass eine Vertretung auch möglich sei, wenn sie für den Angeklagten weitreichende Folgen haben könne, etwa weil es sich um die letzte Tatsachen- instanz handele. Bei Hauptverhandlungen vor der Großen Strafkammer könne gemäß § 234 StPO der Vertretungsfall ebenso eintreten. Schon vor Änderung des § 329 StPO sei anerkannt gewesen, dass die im Strafbefehlsverfahren normierte Vertretungsbefugnis auch für die Berufungshauptverhandlung gelte. Es könne für die Behandlung der Vollmacht nicht von Bedeutung sein, ob das gerichtliche Strafverfahren durch Strafbefehl oder Anklage begonnen habe[3].
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat daher dem Bundesgerichtshof folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt[4]:
Genügt eine Vertretungsvollmacht, durch die dem Verteidiger Vollmacht zur Vertretung, auch im Fall der Abwesenheit des Angeklagten, in allen Instanzen – ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung – erteilt worden ist, den Anforderungen der in § 329 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO vorausgesetzten Vertretungsvollmacht?
Die Vorlagefrage wurde vom Bundesgerichtshof – nach Maßgabe rein sprachlicher Änderungen – im Sinne des vorlegenden Oberlandesgerichts entschieden; für den Nachweis der Vertretung des abwesenden Angeklagten durch seinen Verteidiger nach § 329 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO sei nicht zu verlangen, dass sich die vorgelegte Vertretungsvollmacht ausdrücklich auf die Berufungshauptverhandlung beziehe:
Dem Wortlaut des § 329 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO ist ein derartiges Erfordernis nicht zu entnehmen. Insbesondere enthält das Gesetz keine Vorgaben zum Inhalt der Vertretungsvollmacht. Eine ausdrückliche Ermächtigung zu einer bestimmten Verfahrenshandlung ist anders als in § 302 Abs. 2 StPO ebenfalls nicht gefordert. Der verwendete Terminus „Vertretungsvollmacht“ stellt lediglich klar, dass eine spezifische Ermächtigung zur Vertretung in der Vollmachtsurkunde enthalten sein muss, die über die allgemeine Befugnis zur Verteidigung hinausgeht.
Auch die Entstehungsgeschichte der Norm spricht nicht für ein Verständnis, wonach es erforderlich ist, dass die Berufungshauptverhandlung in der Vertretungsvollmacht erwähnt wird.
Die derzeitige Fassung des § 329 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO beruht weitgehend auf der Änderung der Vorschrift durch das Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe vom 17.07.2015[5]. Zu dieser Reform sah sich der Gesetzgeber nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 08.11.2012[6] veranlasst, um die dort niedergelegten Grundsätze zur Abwesenheitsvertretung des Angeklagten durch den Verteidiger in das nationale Recht zu übertragen[7]. Nach einer weiteren Änderung durch das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 05.07.2017[8] ist, um die Regelung medienneutral auszugestalten, nunmehr anstatt einer „schriftlichen“ eine „nachgewiesene“ Vertretungsvollmacht erforderlich[9].
Besondere inhaltliche Anforderungen an die Vertretungsvollmacht sind den Gesetzgebungsmaterialien nicht zu entnehmen. Zwar hatte der Bundes- rat im ersten Gesetzgebungsverfahren vorgeschlagen, eine Vollmacht für den konkreten Termin der Berufungshauptverhandlung zu verlangen[10]. Diesem Anliegen war jedoch die Bundesregierung unter anderem mit dem Argument entgegengetreten, dass den formalen Anforderungen de lege lata gerade auch eine formularmäßige und pauschale Vertretungsvollmacht genüge[11]. Da der Gesetzgeber die Anregung des Bundesrates nicht aufgriff, spricht vieles dafür, dass er eine nähere inhaltliche Qualifizierung der Vertretungsvollmacht nicht für erforderlich hielt.
Die Gesetzessystematik legt nahe, § 329 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO nicht anders auszulegen als die übrigen Vorschriften der Strafprozessordnung, die eine Vertretung des Verteidigers mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht vorsehen.
Für das Verfahren nach dem Einspruch gegen einen Strafbefehl regelt § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO, dass sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung von einem derart bevollmächtigten Verteidiger vertreten lassen kann. Für die Vertretung vor dem Amtsgericht hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass eine pauschale Bevollmächtigung zur „Verteidigung und Vertretung in allen Instanzen“ ausreicht und eine weitergehende Ermächtigung im Hinblick auf eine Abwesenheitsvertretung nicht zu verlangen ist[12]. Bereits vor der Neufassung des § 329 StPO war anerkannt, dass sich diese Vertretungsmöglichkeit auf eine spätere Berufungshauptverhandlung erstreckt[13]. Dementsprechend wurde im Strafbefehlsverfahren für die Berufungsinstanz eine spezifisch auf die dortige Abwesenheit des Angeklagten bezogene Vertretungsvollmacht nicht als erforderlich angesehen[14]. Derartiges wäre zudem wenig überzeugend, weil der Sinn und Zweck des § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO – die Auflockerung des Verfahrens in weniger bedeutsamen Strafsachen[15] – nicht nur in der ersten Instanz Geltung beansprucht. Wollte man die spezifische Erwähnung der Berufungshauptverhandlung oder des § 329 StPO in der Vollmachts- urkunde für erforderlich halten, könnte sich dies deshalb von vorneherein lediglich auf Fallkonstellationen beziehen, in denen dem Berufungsverfahren kein Einspruch gegen einen Strafbefehl vorausging.
Besondere inhaltliche Anforderungen an die Vollmachterteilung stellen Rechtsprechung und Literatur auch in den übrigen gesetzlich vorgesehenen Vertretungsfällen nicht. Dies gilt zunächst für eine Vertretung nach § 234 StPO, die in Verfahrenskonstellationen nach § 231 Abs. 2, §§ 231a, 231b, 232, 233 StPO Bedeutung erlangen kann[16]. Des Weiteren wird für die Hauptverhandlung im Revisions- und Privat- klageverfahren nach § 350 Abs. 2 Satz 1 StPO bzw. § 387 Abs. 1 StPO Derartiges kaum vertreten[17]. Schließlich wird für die Vertretung des Einziehungsbeteiligten – einschließlich der Hauptverhandlung (§ 428 Abs. 1 Satz 1 StPO; vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 430 Rn. 1) – ebenfalls eine einfache Vertretungsvollmacht als ausreichend angesehen[18].
Angesichts der textgleichen Formulierung in den verschiedenen Vorschriften ist kein Grund ersichtlich, warum lediglich und gerade die Vertretungsmöglichkeit in der Berufungshauptverhandlung ausdrücklich im Vollmachttext Erwähnung finden sollte, um eine wirksame Vertretung zu gewährleisten.
Schließlich rechtfertigen es weder der Sinn und Zweck der Vorschrift noch die weiteren für die Gegenposition angeführten Argumente, eine Vertretungsvollmacht nur unter besonderen Bedingungen zu akzeptieren.
Die aktuelle Gesetzesfassung räumt der Vertretung des Angeklagten regelmäßig Vorrang gegenüber einer Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO ein. Die Vorschrift bezweckt zwar unter anderem die Beschleunigung des Verfahrens. Denn sie vermeidet eine Verzögerung der Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten dadurch, dass er sich dem Verfahren entzieht. Sie nimmt dabei grundsätzlich die Möglichkeit in Kauf, dass ein sachlich unrichtiges Urteil allein deshalb rechtskräftig wird, weil der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung ohne genügende Gründe ausgeblieben ist[19]. Zur Rechtfertigung wird darauf verwiesen, dass der Angeklagte durch sein Nichterscheinen sein fehlendes Interesse an der Aufrechterhaltung seines Rechtsmittels bekundet oder sein Rechtsmittelrecht verwirkt hat[20]. Auch nach der Neufassung des § 329 StPO bilden die Verfahrensbeschleunigung und die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege den maßgeblichen Hintergrund für die Norm[21]; allerdings wurde der Anwendungsbereich des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO mit der Möglichkeit der anwaltlichen Vertretung deutlich eingeschränkt. Bereits vor der Neufassung hat die Rechtsprechung mit Verweis auf das Streben nach einer möglichst gerechten Entscheidung, das dem Strafverfahrensrecht im Ganzen eigen ist, eine enge Auslegung der Norm für erforderlich gehalten[22].
Vor diesem Hintergrund liegt es nicht nahe, aus dem Sinn und Zweck des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO die Notwendigkeit besonderer Anforderungen an eine Vertretungsvollmacht für die Berufungshauptverhandlung herzuleiten. Die Neuregelung ist vielmehr vom Gedanken getragen, dass über eine Berufung des Angeklagten auch bei dessen Nichterscheinen verhandelt werden soll, wenn ein zur Vertretung bevollmächtigter und vertretungsbereiter Verteidiger auftritt und die Anwesenheit des Angeklagten nicht erforderlich ist (§ 329 Abs. 2 Satz 1 StPO). Die Nachteile, die mit einer solchen Vertretung verbunden sein können, werden ebenso in Kauf genommen wie eine Verzögerung dadurch, dass eine Verwerfung durch Prozessurteil erst in einem zweiten Termin ergehen kann, falls der An- geklagte nicht erscheint, obwohl seine Anwesenheit erforderlich ist (§ 329 Abs. 4 Satz 2 StPO; vgl. Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 26.07.2019 – [1] 53 Ss 83/19 [50/19], StraFo 2020, 28, 29).
Das von den Befürwortern erhöhter Anforderungen an die Vertretungsvollmacht angeführte Argument, eine Vertretung durch den Verteidiger könne weitreichende Folgen für den Angeklagten haben[23], gebietet kein anderes Ergebnis.
Für sich genommen trifft diese Erwägung zwar zu. Denn bei einer solchen Vertretung liegen wichtige Verfahrensrechte wie Anwesenheit und rechtliches Gehör in den Händen des Verteidigers, der an die Stelle des Angeklagten tritt und mit Wirkung für ihn Erklärungen abgeben und entgegennehmen kann[24]. Ausweislich der Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 329 StPO ermächtigt die Vertretungsvollmacht den Verteidiger etwa zur Abgabe von Einlassungen für den Angeklagten zur Sache, und ihm gebührt das letzte Wort nach § 258 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO[25]. Insgesamt eröffnet vor allem die Möglichkeit zur Sacheinlassung dem vertretenden Verteidiger gewichtige zusätzliche Optionen gegenüber der „normalen Verteidigung“, was sich ungünstig für den Angeklagten auswirken kann. So vermag etwa die Modifikation früherer Einlassungen im Einzelfall gegebenenfalls eine für den Angeklagten nachteilige Würdigung durch das Berufungsgericht nach sich zu ziehen. Im Unterschied zur üblichen Verteidigung und dem Mittel der Verteidigererklärung ist eine ausdrückliche Bestätigung des anwesenden Angeklagten nicht erforderlich, sondern die Sacheinlassung kann ohne jegliche Mitwirkung Berücksichtigung finden. Indes verringert sich das Gewicht dieses Gesichtspunkts bereits dadurch, dass beim Vorliegen von konkreten Anhaltspunkten für eine Sacheinlassung ohne oder gegen den Willen des Angeklagten das Berufungsgericht diesem Umstand nachgehen muss, um der gerichtlichen Amtsaufklärungspflicht gerecht zu werden[26].
Die nachteiligen Folgen für den Angeklagten sind außerdem zumindest hinsichtlich der eigenen Berufung und einem zu seinen Gunsten eingelegten Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft durch das Verbot der reformatio in peius nach § 331 Abs. 1 StPO begrenzt. Die Alternative zur Vertretung durch den Verteidiger ist ebenfalls in den Blick zu nehmen, nämlich eine Verwerfung der Berufung durch Prozessurteil nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO. An der Erfolglosigkeit seines Rechtsmittels ohne Eintritt in eine Sachprüfung ist dem Angeklagten nicht gelegen[27].
Über eine – zu seinen Gunsten oder Lasten eingelegte – Berufung der Staatsanwaltschaft kann im Übrigen, auch wenn kein zur Vertretung bevollmächtigter und bereiter Verteidiger erschienen ist, ohne den Angeklagten verhandelt werden, wenn dessen Anwesenheit nicht erforderlich ist (§ 329 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 StPO). Im Vergleich zu dieser vom Gesetz eröffneten Möglichkeit erweist sich aus Sicht des Angeklagten das Auftreten eines ihn vertretenden Verteidigers als in der Regel vorzugswürdig.
Konsequenterweise sind daher dem Gesetz anders als bei Rücknahme von Rechtsmitteln (§ 302 Abs. 2 StPO) hinsichtlich der Reichweite möglichen Verteidigerhandelns keine besonderen Vorkehrungen zum Schutz des Angeklagten zu entnehmen[28].
Mit Verweis auf die Besonderheiten der Hauptverhandlung im Berufungsverfahren als letzte Tatsacheninstanz lässt sich ein anderes Auslegungs- ergebnis nicht begründen. Die Vertretung in einer solchen Verhandlung unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von derjenigen nach § 234 StPO bei erst- instanzlichen Strafsachen vor dem Landgericht oder Oberlandesgericht. In den letztgenannten Verfahren handelt es sich ebenfalls um die letzte – weil einzige – Tatsacheninstanz; trotzdem wird, wie bereits ausgeführt, von Rechtsprechung und Literatur eine spezielle Benennung dieser Vertretungsmöglichkeit in der Vollmacht nicht gefordert. Darüber hinaus war im Strafbefehlsverfahren bereits nach alter Rechtslage eine Vertretung durch den hierzu bevollmächtigten Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung anerkannt. Wesentliche Besonderheiten für diese ergeben sich im Vergleich zu Strafverfahren, bei denen Anklage zum Amtsgericht erhoben wurde, nicht. Auch nach dem Einspruch gegen einen Strafbefehl kann das Amtsgericht auf Rechtsfolgen bis zur vollen Höhe des § 24 Abs. 2 GVG erkennen[29].
Eine andere Interpretation ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil sie Bedürfnissen der Praxis besser gerecht wird, indem sie den Berufungskammern im Ergebnis häufiger eine Verwerfung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO ohne längere Hauptverhandlung und mit geringeren Anforderungen an die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe ermöglicht, wenn der Angeklagte an der Berufungshauptverhandlung wenig Interesse zeigt. Ausweislich der Gesetzesbegründung erwartete der Reformgesetzgeber bei der durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte veranlassten Änderung des § 329 StPO, dass sich die Zahl der Berufungen sowie die durchschnittliche Dauer des Berufungsverfahrens erhöhen wird und sowohl Gerichte als auch Staatsanwaltschaften stärker belastet werden, weil etwa Angeklagte, wenn sie selbst nicht zum Hauptverhandlungstermin erscheinen müssen, eher geneigt sein können, Berufung einzulegen, und sei es nur zur Verzögerung des Rechtskrafteintritts[30]. Für den Gesetzgeber waren dies Konsequenzen aus der Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungshauptverhandlung. Es verbietet sich, über die gesetzgeberische Grundentscheidung allein wegen – vermeintlicher – praktischer Bedürfnisse hinwegzugehen.
Ohne Bedeutung für die Entscheidung der Rechtsfrage ist der vom vorlegenden Oberlandesgericht hervorgehobene Umstand, dass die Vertretungsvollmacht hier erst im Hinblick auf das Berufungsverfahren erteilt worden ist. Eine uneingeschränkte Vertretungsbefugnis ist auch dann für die Berufungshauptverhandlung als wirksam anzusehen, wenn sie bereits in einem früheren Verfahrensstadium eingeräumt und seither nicht zurückgenommen worden oder durch Pflichtverteidigerbestellung erloschen ist[31]. Zu einer abweichenden Behandlung im Vergleich zum Verteidigerverhältnis im Allgemeinen besteht kein Anlass. Diesbezüglich ist anerkannt, dass es sich grundsätzlich auf das gesamte Verfahren bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss erstreckt, falls es nicht auf bestimmte Prozesshandlungen beschränkt ist[32].
Zum Nachweis der Vertretungsmacht ist daher lediglich zu fordern, dass sich die Vollmacht eindeutig auf das konkrete Strafverfahren bezieht und nicht pauschal ohne Verfahrensbezug erteilt worden ist[33].
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24. Januar 2023 – 3 StR 386/21
- OLG Hamm, Beschluss vom 24.11.2016 – III5 RVs 82/16 28[↩]
- ebenso OLG Celle, Beschluss vom 18.01.2021 – 2 Ss 119/20, NStZ 2021, 764 Rn. 22; KG, Beschluss vom 01.03.2018 – [5] 121 Ss 15/18 [11/18] 4; Ullenboom, StV 2019, 643, 645; HK-GS/Halbritter, 5. Aufl., § 329 StPO Rn. 7[↩]
- ebenso Thüringer OLG, Beschluss vom 02.02.2021 – 1 OLG 331 Ss 83/20, NJ 2021, 182, 183; OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.12.2016 – 1 Ss 178/16, StV 2018, 148, 149 f.; Spitzer, NStZ 2021, 327, 328 f.; Böhm, FD-StrafR 2021, 442504; Franzke, StV 2019, 363, 365 f.; BeckOK StPO/Eschelbach, 46. Ed., § 329 Rn. 32; KMR/Brunner, StPO, 110. EL, § 329 Rn. 10a; SK-StPO/Frisch, StPO, 6. Aufl., § 329 Rn. 13[↩]
- OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.09.2021 – 2 RVs 60/21 363 Js 2247/19[↩]
- BGBl. I S. 1332[↩]
- EGMR, Urteil vom 08.11.212 – 30804/07 – Rechtssache Neziraj ./. Deutschland, StraFo 2012, 490[↩]
- BT-Drs. 18/3562 S. 2; vgl. auch OLG München, Beschluss vom 17.01.2013 – 4 StRR [A] 18/12, NStZ 2013, 358 f.; Mosbacher, NStZ 2013, 312, 313 f.[↩]
- BGBl. I S. 2208[↩]
- vgl. BT-Drs. 18/9416 S. 70; ferner bereits BT-Drs. 18/3562 S. 68[↩]
- BT-Drs. 18/3562 S. 98[↩]
- BT-Drs. 18/3562 S. 99[↩]
- BGH, Beschluss vom 20.09.1956 – 4 StR 287/56, BGHSt 9, 356; vgl. auch LR/Gaede, StPO, 27. Aufl., § 411 Rn. 31; KK-StPO/Maur, 9. Aufl., § 411 Rn. 12; SK-StPO/Degener, 5. Aufl., § 411 Rn. 12[↩]
- OLG Hamm, Beschluss vom 04.03.2008 – 3 Ss 490/07, StV 2008, 401, 402; OLG Dresden, Beschluss vom 24.02.2005 – 2 Ss 113/05, StraFo 2005, 299; OLG Celle, Urteil vom 14.10.1969 – 3 Ss 289/69, NJW 1970, 906, 907; LR/Gaede, StPO, 27. Aufl., § 411 Rn. 35 mwN; vgl. ferner Thüringer OLG, Beschluss vom 01.10.2019 – 1 OLG 161 Ss 83/19, StraFo 2020, 420[↩]
- OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.05.1991 – 5 Ss 171/91 – 53/91 I, VRS 81, 292; OLG Celle, Urteil vom 14.10.1969 – 3 Ss 289/69, NJW 1970, 906, 907; vgl. auch Spitzer, NStZ 2021, 327, 328[↩]
- s. LR/Gaede, StPO, 27. Aufl., § 411 Rn. 35[↩]
- vgl. PfOLG Zweibrücken, Beschluss vom 25.05.1981 – 1 Ss 1/81, StV 1981, 539; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 234 Rn. 7a; KK-StPO/Gmel/Peterson, 9. Aufl., § 234 Rn. 4; MünchKomm-StPO/Arnoldi, § 234 Rn. 5; KMR/Paulus, StPO, 51. EL, § 234 Rn. 10; SSW-StPO/Grube, 5. Aufl., § 234 Rn. 5[↩]
- anders für die Revisionshauptverhandlung lediglich BeckOK StPO/Wiedner, 46. Ed., § 350 Rn. 16[↩]
- s. KK-StPO/Schmidt/Scheuß, 9. Aufl., § 428 Rn. 4; noch geringere Anforderungen formuliert LR/Gaede, StPO, 27. Aufl., § 428 Rn. 4; vgl. ferner zu § 73 Abs. 3 OWiG OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 07.12.2020 – 2 Ss-Owi 1347/20, NStZ-RR 2021, 83, 84; BeckOK OWiG/Hettenbach, 37. Ed., § 73 Rn. 21 mwN[↩]
- s. BGH, Beschlüsse vom 10.08.1977 – 3 StR 240/77, BGHSt 27, 236, 238 f.; vom 06.10.1970 – 5 StR 199/70, BGHSt 23, 331, 334 f.; Urteil vom 03.04.1962 – 5 StR 580/61, BGHSt 17, 188, 189; KK-StPO/Paul, 9. Aufl., § 329 Rn. 1a[↩]
- s. BT-Drs. 18/3562 S. 51; KK-StPO/Paul, 9. Aufl., § 329 Rn. 1a, jeweils mwN[↩]
- vgl. BT-Drs. 18/3562 S. 50[↩]
- vgl. RG, Urteil vom 05.04.1927 – I 445/26, RGSt 61, 278, 280; BGH, Beschluss vom 06.10.1970 – 5 StR 199/70, BGHSt 23, 331, 333 f.; Urteil vom 03.04.1962 – 5 StR 580/61, BGHSt 17, 188, 189; OLG Hamm, Beschluss vom 16.05.1997 – 2 Ws 165/97, NStZ-RR 1997, 368[↩]
- vgl. OLG Celle, Beschluss vom 18.01.2021 – 2 Ss 119/20, NStZ 2021, 764 Rn. 22; KG, Beschluss vom 01.03.2018 – [5] 121 Ss 15/18 [11/18] 4; OLG Hamm, Beschluss vom 24.11.2016 – III5 RVs 82/16 28[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 20.09.1956 – 4 StR 287/56, BGHSt 9, 356, 357; ferner OLG Köln, Beschluss vom 09.07.2021 – III1 RVs 121/21 22[↩]
- BT-Drs. 18/3562 S. 72 f.[↩]
- BT-Drs. 18/3562 S. 72 f. mit Verweis auf LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 234 Rn. 14[↩]
- s. OLG Köln, Beschluss vom 09.07.2021 – III1 RVs 121/21 22[↩]
- vgl. zum Sinn und Zweck des § 302 Abs. 2 StPO BGH, Beschluss vom 12.12.2017 – 2 StR 34/17, NStZ 2019, 45 Rn. 5[↩]
- vgl. KK-StPO/Barthe, 9. Aufl., § 24 GVG Rn. 17; MünchKomm-StPO/Schuster, § 24 GVG Rn. 26[↩]
- vgl. BT-Drs. 18/3562 S. 63[↩]
- in diesem Sinne BT-Drs. 18/3562 S. 99; aA OLG Köln, Beschluss vom 09.07.2021 – III1 RVs 121/21 21; OLG Hamm, Beschluss vom 24.11.2016 – III5 RVs 82/16 26[↩]
- vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 10.04.2014 – 1 Ws 55/14 10; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., Vor § 137 Rn. 5; LR/Jahn, StPO, 27. Aufl., § 138 Rn. 28; ferner zur Pflichtverteidigerbestellung § 143 Abs. 1 StPO[↩]
- vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 06.09.2016 – 4 RVs 96/16, StV 2018, 150[↩]