Der Einspruch der Steuerberaterin – und seine Auslegungsfähigkeit

Ein von einem fachkundigen Bevollmächtigten eingelegter Einspruch, der die angefochtenen Bescheide eindeutig und abschließend bezeichnet, ist nicht dahingehend auslegungsfähig, dass auch ein weiterer -im Einspruchsschreiben nicht benannter- Steuerbescheid angefochten werden soll.

Der Einspruch der Steuerberaterin – und seine Auslegungsfähigkeit

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall reichte der Kläger eine Umsatzsteuervoranmeldung für den Zeitraum Oktober 2009 beim Finanzamt ein, in der er den Vorsteuerabzug aus zwei Rechnungen über den Erwerb einer Photovoltaikanlage und in Folge dessen einen Erstattungsanspruch geltend machte. Nach Durchführung einer Umsatzsteuer-Nachschau setzte das Finanzamt mit Bescheid vom 01.07.2010 die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Oktober 2009, soweit sie auf die steuerpflichtigen Umsätze aus der Verpachtung der Photovoltaikanlage entfiel, fest und versagte den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen über den Erwerb der Photovoltaikanlage. Der Bescheid stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO). Am 26.11.2010 beantragte der Kläger, vertreten durch eine Steuerberaterin, den Abzug der Vorsteuern aus dem Erwerb der Photovoltaikanlage gemäß der eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Monat Oktober 2009. Den Änderungsantrag lehnte das Finanzamt mit Bescheid vom 07.12.2010 ab. Abweichend von der vom Kläger am 08.12.2010 eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärung für 2009 setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer für 2009 mit einem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid vom 22.12.2010 fest.

Gegen die Ablehnung des Änderungsantrags betreffend die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Oktober 2009 legte der Kläger, vertreten durch seine Steuerberaterin, mit dem am 05.01.2011 beim Finanzamt eingegangenen Schreiben vom 04.01.2011 Einspruch ein. Der Betreff des Einspruchsschreibens beinhaltete die Steuernummer des Klägers mit dem Zusatz „…“, Name und Anschrift des Klägers sowie den Text „Antrag auf Änderung der Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat 10-2009“. Im Einspruchsschreiben führte die Steuerberaterin aus, „gegen den o.a. Bescheid lege ich hiermit Einspruch ein. Der Einspruch richtet sich gegen die Nichtanerkennung der Rechnungen für den Vorsteuerabzug.“ Den Zusatz zu der Steuernummer „…“ enthielt ausschließlich der Ablehnungsbescheid, nicht aber der Umsatzsteuerjahresbescheid 2009. Das Finanzamt wies mit Einspruchsentscheidung vom 12.03.2018 den Einspruch „gegen die Ablehnung des Antrages auf Änderung der Umsatzsteuer Oktober 2009 in Gestalt des Umsatzsteuerbescheides 2009 vom 22.12.2010“ als unbegründet zurück. Als Anlage zur Einspruchsentscheidung übersandte das Finanzamt am 16.03.2018 eine Umsatzsteuerfestsetzung für 2009, in der es die festgesetzte Steuer wiederum auf … € festsetzte. Der Kläger sei kein Unternehmer, so dass die Umsatzsteuer nicht auf Grund der Vermietung der Photovoltaikanlage, sondern nach § 14c UStG geschuldet werde.

Das Thüringer Finanzgericht wies die Klage wegen Umsatzsteuer 2009 als unbegründet ab[1]; das Finanzamt habe den Vorsteuerabzug aus den beiden Rechnungen zu Recht versagt, da die Rechnungen nicht die nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 UStG geforderten Angaben enthielten und auf Grund der unzureichenden Rechnungsangaben nicht der sichere Nachweis möglich sei, dass die materiellen Anforderungen für den Vorsteuerabzug erfüllt worden seien.

Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers sah der Bundesfinanzhof als teilweise begründet an. Sie führte  zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit es die Klage gegen den auf den Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 vom 22.12.2010 bezogenen Teil der Einspruchsentscheidung abgewiesen hat, und zur Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 12.03.2018 einschließlich deren Anlage vom 16.03.2018, soweit diese auf die Umsatzsteuerjahresfestsetzung 2009 bezogen sind (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). Im Übrigen hat der Bundesfinanzhof die als zurückgewiesen, wobei die Revision wegen des Umsatzsteuerjahresbescheides 2009 vom 22.12.2010 mit der Maßgabe zurückgewiesen wurde, dass die hiergegen gerichtete Klage unzulässig ist (§ 126 Abs. 2 und 4 FGO):

Die Revision ist insoweit begründet, als das Finanzgericht durch sein die Klage insgesamt abweisendes Urteil die Einspruchsentscheidung und deren Anlage nicht aufgehoben hat, soweit diese die Umsatzsteuerjahresfestsetzung 2009 betreffen. Denn der Kläger hat den Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 vom 22.12.2010 nicht mit einem Einspruch angefochten, so dass die Einspruchsentscheidung insoweit nicht ergehen durfte. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist eine Rechtsbehelfsentscheidung aufzuheben, wenn der Kläger keinen Rechtsbehelf eingelegt hat[2].

Der Kläger hat mit seinem Schreiben vom 04.01.2011 ausschließlich einen Einspruch im Sinne des § 347 Abs. 1 Satz 1 AO gegen die Ablehnung des Antrags auf Änderung eines Vorauszahlungsbescheides für Oktober 2009 eingelegt, der auch im Wege der Auslegung nicht als Einspruch gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 vom 22.12.2010 angesehen werden kann.

Außerprozessuale Rechtsbehelfe sind mit dem Ziel auszulegen, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen (§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs -BGB-). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen. Dies gilt grundsätzlich auch für Erklärungen rechtskundiger Personen[3]. Die Auslegung darf jedoch nicht zur Annahme eines Erklärungsinhalts führen, für den sich in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte finden lassen. Eine derartige Korrektur der Erklärung kann auch mit dem Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung nicht gerechtfertigt werden[4].

Die Auslegung des Einspruchs ist Gegenstand der vom Finanzgericht zu treffenden tatsächlichen Feststellungen, an die das Revisionsgericht grundsätzlich gebunden ist, soweit im Revisionsverfahren keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen erhoben werden (§ 118 Abs. 2 FGO). Diese Bindungswirkung fehlt, wenn der Einspruch nicht auslegungsbedürftig ist. Die Auslegungsbedürftigkeit ist revisionsrechtlich in vollem Umfang überprüfbar[5]. Ein von einem fachkundigen Bevollmächtigten eingelegter Einspruch, der die angefochtenen Bescheide eindeutig und abschließend bezeichnet, ist nicht dahingehend auslegungsfähig, dass auch ein weiterer -im Einspruchsschreiben nicht benannter- Steuerbescheid angefochten werden soll[6].

Der Einspruch bezieht sich im vorliegenden Fall nicht auf den Umsatzsteuerjahresbescheid 2009. Er ist dahingehend weder auslegungsbedürftig noch auslegungsfähig. Der von einer Steuerberaterin verfasste Einspruch benennt ausdrücklich nur den Bescheid über die Ablehnung des Antrags auf Änderung der Festsetzung der Umsatzsteuersteuer-Vorauszahlung für den Monat Oktober 2009 (Ablehnungsbescheid) als Einspruchsgegenstand. Anhaltspunkte dafür, dass zusätzlich zu dem ausdrücklich benannten Ablehnungsbescheid auch noch der Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 angefochten werden sollte, sind dem Einspruchsschreiben nicht zu entnehmen. Nach dem Wortlaut des Einspruchsschreibens sollte allein „gegen den o.a. Bescheid“ Einspruch eingelegt werden. Im Betreff des Einspruchsschreibens ist dieser „o.a. Bescheid“ ausschließlich mit der Bescheidüberschrift des Ablehnungsbescheides „Antrag auf Änderung der Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat 10-2009“ bezeichnet. Darüber hinaus enthält der Betreff die Steuernummer des Klägers einschließlich des Zusatzes „…“, der ausschließlich im Ablehnungsbescheid, jedoch nicht im Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 erwähnt wird.

Der Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 ist auch nicht gemäß § 365 Abs. 3 Satz 1 AO zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens gegen die Ablehnung des Antrags auf Änderung der Umsatzsteuer für Oktober 2009 geworden.

§ 365 Abs. 3 Satz 1 AO betrifft nach seinem Wortlaut („Wird der angefochtene Verwaltungsakt geändert oder ersetzt…“) lediglich Änderungen oder Ersetzungen eines angefochtenen Verwaltungsaktes während des Einspruchsverfahrens. Die Regelung ist insbesondere bereits dann nicht anwendbar, wenn ein (später) angefochtener Verwaltungsakt vor der Einlegung des Einspruchs geändert wird[7].

Vorliegend ist § 365 Abs. 3 AO nicht anwendbar, da der Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 vom 22.12.2010 als am Montag, dem 27.12.2010, bekanntgegeben gilt (§ 122 Abs. 2 Nr. 1, § 108 Abs. 1 und 3 AO i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB), während der Einspruch vom 04.01.2011 gegen den Ablehnungsbescheid am 05.01.2011 beim Finanzamt eingegangen ist. Da der Jahressteuerbescheid dem Einspruch somit vorausging, ist der Streitfall von der Fallkonstellation zu unterscheiden, bei der die Finanzbehörde zwar ebenso einen Antrag auf Änderung einer Voranmeldungsfestsetzung durch Ablehnungsbescheid zurückweist, hiergegen aber zuerst Einspruch eingelegt wird und erst dann ein Jahressteuerbescheid ergeht, der dann gemäß § 365 Abs. 3 Satz 1 AO zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens wird[8]. Entspricht ein außerhalb eines anhängigen Einspruchsverfahrens ergangener Steuerbescheid nicht dem Begehren des Steuerpflichtigen, so muss dieser entweder rechtzeitig Einspruch einlegen oder einen Antrag auf Änderung nach § 164 Abs. 2 AO oder §§ 172 ff. AO stellen, wenn er sein Begehren weiterverfolgen will[9].

Im Übrigen ist die Klage gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 vom 22.12.2010 mangels Durchführung eines Vorverfahrens als unzulässig abzuweisen. Denn nach § 44 Abs. 1 FGO ist die Klage in den Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, vorbehaltlich der §§ 45 und 46 FGO nur zulässig, wenn ein Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist. Hieran fehlt es mangels eines auf den Umsatzsteuerjahresbescheid bezogenen Einspruchs. Das Fehlen der Sachurteilsvoraussetzungen hat der Bundesfinanzhof als Revisionsgericht von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen[10].

Der Bundesfinanzhof kann es dahin gestellt sein lassen, ob dem erstinstanzlichen Klageantrag sinngemäß auch ein Antrag auf Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 07.12.2010 und auf Änderung des Bescheides über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat Oktober 2009 entnommen werden konnte. Denn dieser Antrag hat keine Erfolgsaussichten. Bereits der Einspruch gegen die Ablehnung des Antrags auf Änderung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Oktober 2009 war unzulässig, mit der Folge, dass das Finanzamt den Einspruch als unzulässig hätte abweisen müssen. Hat das Finanzamt -wie im Streitfall- mit seiner Einspruchsentscheidung einen unzulässigen Einspruch als unbegründet zurückgewiesen, ist die Klage als unbegründet abzuweisen[11].

Der Einspruch gegen die Ablehnung des Antrags auf Änderung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Oktober 2009 war ab dem Zeitpunkt des Ergehens des Umsatzsteuerjahresbescheides nicht mehr zulässig. Denn dieser erledigte den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid „auf andere Weise“ im Sinne des § 124 Abs. 2 AO[12]. Da der Jahressteuerbescheid das materielle Ergebnis der in dem Kalenderjahr entstandenen Umsatzsteuer für die Zukunft ausschließlich feststellt[13], kommt eine Entscheidung über einen Antrag auf Änderung eines dadurch erledigten Vorauszahlungsbescheides nicht mehr in Betracht.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 12. Oktober 2023 – V R 42/21

  1. Thüringer FG, Urteil vom 23.11.2021 – 3 K 219/18, EFG 2022, 202[]
  2. BFH, Urteile vom 13.11.2008 – V R 24/06, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2009, 817, Rz 13, m.w.N.; und vom 27.05.2004 – IV R 48/02, BFHE 206, 211, BStBl II 2004, 964, unter II. 2.a[]
  3. vgl. BFH, Urteile vom 14.06.2016 – IX R 11/15, BFH/NV 2016, 2550, Rz 22; vom 15.12.2021 – III R 34/20, BFH/NV 2022, 705, Rz 11; und vom 15.02.2023 – VI R 13/21, BFHE 279, 28, Rz 17[]
  4. vgl. BFH, Urteile vom 28.11.2018 – I R 61/16, BFH/NV 2019, 898, Rz 24; vom 29.10.2019 – IX R 4/19, BFHE 266, 126, BStBl II 2020, 368, Rz 13 und in BFHE 279, 28, Rz 18[]
  5. vgl. BFH, Urteile vom 08.05.2008 – VI R 12/05, BFHE 222, 196, BStBl II 2009, 116, Rz 9 und in BFHE 279, 28, Rz 19[]
  6. BFH, Urteil in BFH/NV 2019, 898, Leitsatz[]
  7. vgl. BFH, Urteile vom 07.11.2006 – VI R 14/05, BFHE 215, 61, BStBl II 2007, 236, unter II. 1.b bb; vom 27.10.2020 – VIII R 30/17, BFHE 271, 295, BStBl II 2021, 927, Rz 24; vom 13.04.2000 – V R 56/99, BFHE 191, 491, BStBl II 2000, 490, unter II. 2.; und vom 29.05.2001 – VIII R 10/00, BFHE 195, 486, BStBl II 2001, 747, unter II. 2.; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 365 AO Rz 152; Seer in Tipke/Kruse, § 365 AO Rz 26[]
  8. vgl. z.B. BFH, Urteil vom 03.11.2011 – V R 32/10, BFHE 236, 228, BStBl II 2012, 525, Leitsatz 1 und Rz 16[]
  9. BFH, Urteil vom 07.11.2006 – VI R 14/05, BFHE 215, 61, BStBl II 2007, 236, unter II. 1.b bb[]
  10. BFH, Urteil vom 16.12.2021 – V R 19/21, BFHE 275, 309, BStBl II 2022, 774, Rz 14[]
  11. vgl. BFH, Urteil vom 21.07.2011 – II R 7/10, BFH/NV 2011, 1835, Leitsatz 2[]
  12. BFH, Urteil vom 29.11.1984 – V R 146/83, BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370[]
  13. BFH, Urteil vom 21.02.1991 – V R 130/86, BFHE 163, 408, BStBl II 1991, 465[]