Bei von Amts wegen vorzunehmenden Zustellungen ist allein das Gericht „Zustellender“ iSd. § 172 Abs. 1 ZPO.

In einem anhängigen Verfahren hat die Zustellung nach der Grundregel des § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO – ausschließlich – an den für den (jeweiligen) Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen. Diese in § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO enthaltene Verpflichtung des Gerichts soll gewährleisten, dass der Rechtsanwalt, in dessen Verantwortung die Prozessführung gelegt ist, im gesamten Verfahren Kenntnis von zuzustellenden Schriftstücken erhält[1].
Zustellungen an die Partei persönlich unter Verstoß gegen diese Bestimmung sind daher unwirksam und setzen Fristen nicht in Lauf[2].
Die Bestellung erfolgt, indem die vertretene Partei oder ihr Vertreter dem Gericht – bzw. im Fall einer Parteizustellung dem Gegner – Kenntnis von dem Vertretungsverhältnis gibt. Sie kann auch durch eine Anzeige des Prozessgegners erfolgen, wenn dieser vom Bestehen einer Prozessvollmacht Kenntnis hat. Ist im Rubrum der Klageschrift ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter des Beklagten angegeben, hat das Gericht die Zustellung an diesen und nicht an die Partei vorzunehmen[3]. Ist kein Prozessbevollmächtigter „bestellt“, muss gemäß § 172 Abs. 2 Satz 3 ZPO an die Partei persönlich zugestellt werden[4].
Nach diesen Grundsätzen ist im hier entschiedenen Fall die gemäß § 253 Abs. 1, § 166 Abs. 2, § 168 Abs. 1 Satz 1 ZPO von Amts wegen auszuführende Zustellung der Klageschrift durch die Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts ordnungsgemäß an die Beklagte persönlich bewirkt worden. Im – maßgeblichen – Zeitpunkt des Beginns der Zustellung[5] war dem Arbeitsgericht eine Bestellung des Anwalts der Beklagten zum Prozessbevollmächtigten für den vorliegenden Anfechtungsrechtsstreit nicht bekannt gegeben worden.
Eine solche Bestellung erfolgte weder durch eine entsprechende Angabe im Rubrum der Klageschrift noch hat die Beklagte behauptet, das Arbeitsgericht bereits vorprozessual über die Bestellung ihres Anwalts im Fall einer etwaig erfolgenden Anfechtungsklage in Kenntnis gesetzt zu haben. Sie hat auch nicht dargetan, dass dem Arbeitsgericht die Bestellung durch ihren Prozessbevollmächtigten ausdrücklich oder durch schlüssiges Handeln bekannt gegeben worden sei. Die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, dass keine Generalvollmacht ihres Prozessbevollmächtigten beim Arbeitsgericht hinterlegt gewesen sei, hat sie – ungeachtet der Wirkungen einer solchen Vollmacht auf die Zustellung – nicht mit einer Revisionsrüge angegriffen. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann auch die Kenntnis über Prozessvollmachten in anderen Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien, zB in den Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht oder im Insolvenzverfahren des Schuldners, eine entsprechende Mitteilung betreffend den vorliegenden Anfechtungsrechtsstreit nicht ersetzen. Die Verpflichtung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO bezieht sich allein auf das konkrete anhängige Verfahren und auf die hierfür verlautbarte Bestellung[6]. Eine Pflicht zur Amtsermittlung besteht nicht[7]. Zudem hat eine Partei stets die Möglichkeit, bei der Bestellung eines Rechtsanwalts für die jeweiligen Verfahren einen Wechsel vorzunehmen.
Unschädlich ist, dass das Arbeitsgericht am Zustellungstag von der Bestellung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten erfahren hat. Die Kenntnisnahme erfolgte durch einen Telefonanruf des Beklagtenvertreters, nachdem die Beklagte die Klageschrift erhalten hatte und somit unstreitig nach erfolgter Zustellung. Eine Kenntniserlangung nach diesem Zeitpunkt machte die bereits wirksam erfolgte Zustellung an die Beklagte nicht fehlerhaft. Eine neue Zustellung an den nunmehr iSd. § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO bestellten Rechtsanwalt war nicht veranlasst[8].
Unerheblich ist, ob der Kläger Kenntnis davon hatte, dass der jetzige Prozessbevollmächtigte auch für das vorliegende Verfahren mandatiert war. Für eine Bestellung iSd. § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist allein maßgebend, ob dem Zustellenden die Bevollmächtigung zur Kenntnis gebracht worden ist. „Zustellender“ ist bei der hier vorliegenden Amtszustellung allein das Gericht[9]. Die Beklagte kann sich darum nicht auf die vorprozessuale Korrespondenz zwischen ihrem Prozessbevollmächtigten und dem Kläger bezüglich der Insolvenzanfechtung oder auf die Angaben in der Anmeldung eigener Forderungen zur Insolvenztabelle und die dabei erlangte Kenntnis des Klägers über eine etwaige Bevollmächtigung des jetzigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten stützen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. Februar 2024 – 6 AZR 125/23
- vgl. etwa BVerfG 16.07.2016 – 2 BvR 1614/14, Rn. 15 mwN; BGH 25.01.2022 – VIII ZR 233/20, Rn. 24 mwN[↩]
- vgl. zB BVerfG 16.07.2016 – 2 BvR 1614/14, Rn.19 mwN; BGH 8.11.2022 – VIII ZB 21/22, Rn. 15 mwN; 18.06.2020 – I ZB 83/19, Rn. 9 mwN[↩]
- ausführlich hierzu BGH 6.04.2011 – VIII ZR 22/10, Rn. 13 mwN; sh. auch BGH 12.09.2019 – IX ZR 262/18, Rn. 28 mwN; zur Vorgängerregelung § 176 ZPO aF: BGH 28.07.1999 – VIII ZB 3/99, zu II 1 b der Gründe; 9.10.1985 – IVb ZR 59/84, zu 1 der Gründe[↩]
- vgl. BAG 11.11.1976 – 3 AZR 641/75, zu II der Gründe[↩]
- vgl. hierzu BGH 9.10.1985 – IVb ZR 59/84, zu 1 der Gründe; 5.12.1980 – I ZR 51/80, zu II der Gründe; Zöller/Schultzky ZPO 35. Aufl. § 172 Rn. 8; Rohe in Wieczorek/Schütze ZPO 5. Aufl. § 172 Rn. 17; Stein/Jonas/Roth ZPO 23. Aufl. § 172 Rn. 10; Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO 44. Aufl. § 172 Rn. 4[↩]
- Zöller/Schultzky ZPO 35. Aufl. § 172 Rn. 6[↩]
- vgl. LAG Rheinland-Pfalz 23.03.2021 – 6 Sa 273/20, zu A II 1.1 b der Gründe; LAG Sachsen-Anhalt 16.12.1997 – 5 Ta 242/97, zu II 2 der Gründe; Zöller/Schultzky aaO Rn. 7; sh. hierzu auch MünchKomm-ZPO/Häublein/Müller 6. Aufl. § 172 Rn. 9; aA wohl Rohe in Wieczorek/Schütze ZPO 5. Aufl. § 172 Rn. 10[↩]
- vgl. BAG 11.11.1976 – 3 AZR 641/75, zu II der Gründe; Hanseatisches OLG Hamburg 6.11.1987 – 14 U 127/87, zu 1 b der Gründe; Musielak/Voit/Wittschier ZPO 20. Aufl. § 172 Rn. 4; vgl. auch MünchKomm-ZPO/Häublein/Müller 6. Aufl. § 172 Rn. 9[↩]
- vgl. zB BVerfG 16.07.2016 – 2 BvR 1614/14, Rn. 16; BGH 6.04.2011 – VIII ZR 22/10, Rn. 13 mwN; 28.11.2006 – VIII ZB 52/06, Rn. 7; 28.07.1999 – VIII ZB 3/99, zu II 1 b der Gründe; Stein/Jonas/Roth ZPO 23. Aufl. § 172 Rn. 9; Rohe in Wieczorek/Schütze ZPO 5. Aufl. § 172 Rn. 8[↩]