Berufsverschwiegenheit in der Insolvenz des Auftraggebers

Grundsätzlich sind diejenigen Personen dazu befugt, einen Berufsgeheimnisträger von seiner Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, die zu jenem in einer geschützten Vertrauensbeziehung stehen. Hierunter fallen im Rahmen eines Mandatsverhältnisses mit einem Wirtschaftsprüfer regelmäßig nur der oder die Auftraggeber.

Berufsverschwiegenheit in der Insolvenz des Auftraggebers

Für eine juristische Person können diejenigen die Entbindungserklärung abgeben, die zu ihrer Vertretung zum Zeitpunkt der Zeugenaussage berufen sind. Ist über das Vermögen der juristischen Person das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt worden, ist dieser berechtigt, soweit das Vertrauensverhältnis Angelegenheiten der Insolvenzmasse betrifft.

Grundsätzlich sind diejenigen Personen dazu befugt, einen Berufsgeheimnisträger von seiner Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, die zu jenem in einer geschützten Vertrauensbeziehung stehen. Hierunter fallen im Rahmen eines Mandatsverhältnisses mit einem Wirtschaftsprüfer regelmäßig nur der oder die Auftraggeber. Handelt es sich hierbei um eine juristische Person, können für diese diejenigen die Entbindungserklärung abgeben, die zu ihrer Vertretung zum Zeitpunkt der Zeugenaussage berufen sind. Ist über das Vermögen der juristischen Person das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt worden, ist dieser berechtigt, soweit das Vertrauensverhältnis Angelegenheiten der Insolvenzmasse betrifft. Hierzu im Einzelnen:

Eine nähere allgemeine gesetzliche Regelung dazu, wer berechtigt ist, im Sinne des § 53 Abs. 2 Satz 1 StPO von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit zu entbinden, fehlt (vgl. indes für Notare § 18 Abs. 2 BNotO). Nach der Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck der Vorschrift kann von einer Pflicht derjenige befreien, dem gegenüber diese besteht. Für die Frage, wem ein Berufsgeheimnisträger zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, sind insbesondere die zugrundeliegenden berufsrechtlichen Regelungen in den Blick zu nehmen, da § 53 StPO den Schutz des „berufsbezogenen Vertrauensverhältnisses“ zum Zweck hat[1].

Ist einem Wirtschaftsprüfer im Rahmen eines bestehenden Auftragsverhältnisses etwas anvertraut oder bekannt geworden, steht es dem Auftraggeber oder den Auftraggebern zu, über eine Entbindung von der Schweigepflicht zu entscheiden; denn die allgemeine berufsrechtliche Pflicht zur Verschwiegenheit gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 WPO schützt regelmäßig nur den Auftraggeber[2].

Würde gleichwohl zusätzlich auf Dritte abgestellt, hätte das zur Konsequenz, dass es demjenigen, der die Dienstleistung eines Wirtschaftsprüfers in Anspruch nimmt und in dessen Interesse der Geheimnisträger tätig wird, versagt wäre, zur Wahrung seiner eigenen Belange eine Zeugenaussage zu ermöglichen[3]. Zudem führte dies zu einem erweiterten Anwendungsbereich des eine Ausnahme von der Pflicht zur umfassenden Aufklärung der materiellen Wahrheit darstellenden Zeugnisverweigerungsrechts[4]. Etwas anderes kommt in spezifisch gelagerten Sonderkonstellationen in Betracht, in denen der Dritte seinerseits in einer individuellen Vertrauensbeziehung zu dem Berufsgeheimnisträger steht[5].

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine juristische Person selbst berechtigt, über die Schweigepflicht von Berufsgeheimnisträgern zu entscheiden, die sie allein beauftragt hat. Da eine juristische Person indes nicht unmittelbar handlungsfähig ist, können die Erklärung nur die für sie handelnden natürlichen Personen abgeben. Weitergehende Entbindungserklärungen natürlicher Personen im eigenen Namen sind dagegen im Allgemeinen entbehrlich.

Wie bereits dargelegt, steht im Falle vertraglicher Beziehungen die Befugnis, Wirtschaftsprüfer von der Verschwiegenheitspflicht zu befreien, regelmäßig dem Vertragspartner zu[6]. Handelt es sich hierbei um eine juristische Person, hat folglich diese zu entscheiden[7].

Soweit für sie innerhalb des berufsbezogenen Vertrauensverhältnisses natürliche Personen tätig geworden sind, bedarf es deren Entbindungserklärung grundsätzlich nicht. Allein dadurch, dass sie für die juristische Person handelten, haben sie noch kein eigenes geschütztes Vertrauensverhältnis zu dem Berufsgeheimnisträger aufgebaut. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Interessen der juristischen Person einerseits und der für diese handelnden natürlichen Person andererseits auseinanderfallen können. Stünde beiden die Entscheidung über die Schweigepflicht zu, beeinträchtigte dies letztlich diejenige, in deren Interesse das Vertrauensverhältnis begründet wurde.

Die dagegen erhobenen Bedenken greifen nicht durch. Es exisiert kein allgemeiner Grundsatz, wonach ein Vertrauensverhältnis nur zwischen natürlichen Personen bestehen könne und eine effektive Dienstleistung des Berufsgeheimnisträgers voraussetze, dass sich ihm die Organwalter vorbehaltlos öffnen könnten[8]. Gegenüber der Bedeutung der handelnden natürlichen Personen ist zu beachten, dass die juristische Person – wie hier eine Aktiengesellschaft (§ 1 Abs. 1 AktG) – von der Rechtsordnung als eigenständiges Rechtssubjekt anerkannt ist, das Träger von Rechten und Pflichten sein kann[9]. Den für sie tätigen Personen ist im Allgemeinen ersichtlich, dass sie nicht selbst in einem Vertrauensverhältnis zum Berufsgeheimnisträger stehen und im Konfliktfall die Interessen der diesen Beauftragenden Vorrang haben[10]. Ansonsten ergäbe sich die Folge, dass bei widerstreitenden Belangen der juristischen Person und ihres früheren Organwalters letztlich dieser sich durchsetzen könnte, selbst wenn die juristische Person Vertragspartei eines Dienstleistungsverhältnisses ist.

Eine juristische Person wird bei der Erklärung über eine Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht durch die zu diesem Zeitpunkt entscheidungsbefugten Organe vertreten[11].

Ist über das Vermögen der juristischen Person das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter ernannt worden, ist dieser berechtigt, den Berufsgeheimnisträger von der Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, soweit sich das Vertrauensverhältnis auf Angelegenheiten der Insolvenzmasse bezieht. Die Dispositionsbefugnis des Geheimnisherrn geht insoweit gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf den Verwalter über[12]. Dessen Verwaltungs- und Verfügungsrechte erstrecken sich nicht ausschließlich auf das Gebiet des Vermögensrechts[13]. Mithin kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Zeuge in einem Straf- oder Zivilverfahren – oder einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss – aussagen soll, sondern auf den Gegenstand des betroffenen Vertrauensverhältnisses und eine Bedeutung für die Insolvenzmasse[14]. Einer zusätzlichen Entbindungserklärung durch frühere oder gegenwärtige Organe bedarf es aufgrund der bereits ausgeführten Erwägungen im Normalfall nicht.

Nach diesen Maßstäben hatte der Wirtschaftsprüfer im hier entschiedenen Fall kein Zeugnisverweigerungsrecht im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO; denn er wurde von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit wirksam entbunden. Da Entbindungserklärungen sowohl des Insolvenzverwalters als auch des gegenwärtigen Vorstandes und Aufsichtsrates vorliegen, bedarf keiner weiteren Erörterung, ob in der gegebenen Konstellation eine solche mehrseitige Erklärung erforderlich war. Jedenfalls ist die vom Wirtschaftsprüfer für notwendig erachtete Entpflichtung durch weitere Personen entbehrlich. Es ist weder vorgebracht noch sonst ersichtlich, dass die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft etwa im Sinne eines Mehrfachmandates in Vertrags- oder sonstigen individuellen Vertrauensbeziehungen zu früheren Vorständen persönlich stand.

Eine Gefahr der Strafverfolgung mit Blick auf die Verletzung eines ihm als Wirtschaftsprüfer oder mitwirkende Person anvertrauten Geheimnisses ist nicht gegeben. Angesichts seiner bestehenden Aussagepflicht sind davon erfasste Angaben nicht unbefugt im Sinne des § 203 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 StGB, § 333 Abs. 1 HGB.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27. Januar 2021 – StB 44/20

  1. BGH, Beschluss vom 18.02.2014 – StB 8/13, NJW 2014, 1314 Rn. 8 mwN; vgl. bereits RG, Urteil vom 12.05.1922 – I 1628/21, RGSt 57, 63, 66[]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 16.02.2016 – VI ZR 441/14, WM 2016, 508 Rn. 25 mwN[]
  3. vgl. auch BGH, Urteil vom 30.11.1989 – III ZR 112/88, BGHZ 109, 260, 271[]
  4. s. dazu BVerfG, Beschluss vom 27.06.2018 – 2 BvR 1405/17 u.a., NJW 2018, 2385 Rn. 89[]
  5. s. BGH, Urteil vom 30.11.1989 – III ZR 112/88, aaO S. 272; zu „Doppelmandaten“ OLG Hamm, Beschluss vom 27.02.2018 – III-4 Ws 9/18, ZInsO 2018, 1152, 1156 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 53 Rn. 46c[]
  6. vgl. für das Anbahnungsverhältnis etwa BGH, Beschluss vom 18.02.2014 – StB 8/13, NJW 2014, 1314 Rn. 8 mwN[]
  7. ebenso OLG Hamm, Beschluss vom 27.02.2018 – III-4 Ws 9/18, ZInsO 2018, 1152, 1155; OLG Köln, Beschluss vom 01.09.2015 – III-2 Ws 544/15, StV 2016, 8, 9 f.; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18.06.2009 – 1 Ws 289/09, NJW 2010, 690 f.; Tully/Kirch-Heim, NStZ 2012, 657, 660 ff.[]
  8. derart etwa OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.12.1992 – 1 Ws 1155/92, StV 1993, 346 mwN; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 08.12.2016 – 1 Ws 334/16, NJW 2017, 902 Rn. 6; LG Berlin, Beschluss vom 05.03.1993 – 505 AR 2/93, wistra 1993, 278, 279; LR/Bertheau/Ignor, StPO, 27. Aufl., § 53 Rn. 78; MünchKomm-StPO/Percic, § 53 Rn. 57; Ehrenberg, Die Verschwiegenheit der Angehörigen rechtsberatender, steuerberatender und wirtschaftsprüfender Berufe, 2012, S. 145; s. auch SSW-StPO/Eschelbach, 4. Aufl., § 53 Rn. 44; Radtke/Hohmann/Otte, StPO, § 53 Rn. 40; Städler, Die Auswirkungen eines Personenwechsels bei Vertretungsorganen von GmbH und AG auf die Entbindungsberechtigung nach § 53 Abs. 2 S. 1 StPO, 2012, S. 279 f.[]
  9. vgl. zum persönlichen Vertrauen im Dienstverhältnis BGH, Urteil vom 02.05.2019 – IX ZR 11/18, DB 2019, 1379 Rn. 13 mwN; s. zudem BVerfG, Beschlüsse vom 27.10.2003 – 2 BvR 2211/00, BVerfGK 2, 97, 100; vom 13.09.1993 – 2 BvR 1666/93 u.a., NVwZ 1994, 54, 56; SK-StPO/Rogall, 5. Aufl., § 53 Rn.205[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 30.11.1989 – III ZR 112/88, BGHZ 109, 260, 271; OLG Hamm, Beschluss vom 27.02.2018 – III-4 Ws 9/18, ZInsO 2018, 1152, 1155; OLG Köln, Beschluss vom 01.09.2015 – III-2 Ws 544/15, StV 2016, 8, 10[]
  11. vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27.02.2018 – III-4 Ws 9/18, ZInsO 2018, 1152, 1155; OLG Köln, Beschluss vom 01.09.2015 – III-2 Ws 544/15, StV 2016, 8, 9 f.; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18.06.2009 – 1 Ws 289/09, NJW 2010, 690, 691; zum Strafantrag entsprechend Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 77 Rn. 14 mwN; s. zur Maßgeblichkeit des Vernehmungszeitpunkts auch Gesetzentwurf zum VerSanG, BT-Drs.19/23568 S. 97[]
  12. vgl. BGH, Beschluss vom 18.06.2018 – AnwZ (Brfg) 61/17, NJW-RR 2018, 1328 Rn. 7; Urteil vom 16.02.2016 – VI ZR 441/14, WM 2016, 508 Rn. 23; entsprechend zu § 6 KO BGH, Urteile vom 30.11.1989 – III ZR 112/88, BGHZ 109, 260, 270; vom 06.06.1994 – II ZR 292/91, NJW 1994, 2220, 2225; s. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 53 Rn. 46b; KK-StPO/Bader, 8. Aufl., § 53 Rn. 47; HK-InsO/Kayser/Thole, 10. Aufl., § 80 Rn. 45; MünchKomm-InsO/Vuia, 4. Aufl., § 80 Rn. 44, 79; aA SSWStPO/Eschelbach, 4. Aufl., § 53 Rn. 44; MünchKomm-StPO/Percic, § 53 Rn. 57; HKStPO/Gercke, 6. Aufl., § 53 Rn. 39; differenzierend SK-StPO/Wolter, 5. Aufl., § 53 Rn.207[]
  13. vgl. bereits RG, Beschluss vom 15.10.1904 – I 118/04, RGZ 59, 85, 86; s. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.10.1993 – 3 W 367/93, OLGZ 1994, 461, 462; OLG Nürnberg, Beschluss vom 19.07.1976 – 5 W 21/76, OLGZ 1977, 370, 371 f.[]
  14. vgl. Henssler, AnwBl 2019, 216, 219 f.; RG, Beschluss vom 15.10.1904 – I 118/04 aaO S. 87[]