Belehrung über die Aussichtslosigkeit eines Rechtsmittels

Ein Rechtsanwalt, der seiner Anwaltshaftung entgehen will, ist nach einem durch das Berufungsgericht erteilten Hinweis über die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung zur umfassenden Aufklärung seiner Mandanten samt den wirtschaftlichen Folgen verpflichtet,will er einer Anwaltshaftung entgehen. Will der Mandant trotz umfassender Belehrung über die Aussichtslosigkeit eines eingelegten Rechtsmittels an diesem festhalten, muss der Anwalt nicht für die dadurch entstandenen Mehrkosten haften.

Belehrung über die Aussichtslosigkeit eines Rechtsmittels

In dem hier vom Amtsgericht Frankfurt am Main entschiedenen Rechtsstreit begehrte die klagende Rechtschutzversicherung von dem beklagten Rechtsanwalt Schadensersatz aus übergegangenem Recht anlässlich einer unterlassenen Rechtsmittelrücknahme in Höhe der daraus erwachsenden Gebührendifferenz. Der Rechtsanwalt hatte zuvor die Versicherungsnehmer der Rechtsschutzversicherung in einem Berufungsverfahren vor dem OLG Stuttgart vertreten. In diesem Rechtsstreit hatte der Senat auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung der Versicherungsnehmer gemäß § 522 Abs. 2 ZPO hingewiesen und die Berufungsrücknahme zwecks Kostenersparnis anheimgestellt. Nachdem die Berufung nicht zurückgenommen wurde, hatte der Senat diese ankündigungsgemäß zurückgewiesen. Dies hatte zur Folge, dass eine 4,0-fache (anstatt 2,0-fache) Gerichtsgebühr fällig wurde.

Die Klage blieb ohne Erfolg. Nach Auffassung des Amtsgerichts war der Rechtsanwalt in einem solchen Fall zwar grundsätzlich gehalten, die Mandanten über den Inhalt des Hinweises, die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten einschließlich ihrer jeweiligen Risiken sowie der wirtschaftlichen Folgen für die Mandanten zu belehren. Auch müsse der Rechtsanwalt den Mandanten stets die günstigste Vorgehensweise aufzeigen, einschließlich etwa erkennbarer Auswirkungen im Verhältnis zur Rechtsschutzversicherung seiner Mandanten. Für eine Verletzung dieser Verpflichtung blieb die Rechtsschutzversicherung jedoch beweisfällig, nachdem die Beweisaufnahme ergeben hat, dass die Versicherungsnehmer die Kosten des Unterliegens hinnehmen wollten.

Voraussetzung eines solchen Anwaltshaftungsanspruchs ist eine schuldhafte Pflichtverletzung des Rechtsanwalts bei seiner Anwaltstätigkeit, wobei sein Tun oder Unterlassen zu einem Nachteil für den Mandanten geführt haben muss[1]. Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist nach den allgemeinen Beweisregeln der Mandant, im Falle von § 86 VVG die – wie hier – klagende Rechtschutzversicherung darlegungs- und beweisbelastet.

Soweit die Rechtsschutzversicherung behauptet, der Rechtsanwalt habe ungenügend über die Folgen des Hinweisbeschlusses sowie die kostenmindernden Möglichkeiten der anheimgestellten Rechtsmittelrücknahme aufgeklärt, so kann dies nach Auffassung des Gerichts grundsätzlich eine haftungsrelevante Pflichtverletzung begründen. Denn der Rechtsanwalt ist in einem solchen Fall gehalten, seinen Mandanten in einer ihm verständlichen Art und Weise über den Inhalt des Hinweises, die tragenden rechtlichen Erwägungen des hinweisenden Gerichts einschließlich deren Bewertung, die zur Verfügung stehenden Rechtsmittelmöglichkeiten oder anderweitige prozessualen Beendigungsmöglichkeiten einschließlich ihrer jeweiligen Risiken sowie der wirtschaftlichen Folgen für den Mandanten zu belehren. Droht der Rechtsstreit unanfechtbar verloren zu werden, muss er die günstigste prozessuale Beendigungsmöglichkeit aufzeigen. Dabei obliegt es dem Rechtsanwalt grundsätzlich auch, sofern er – wie hier – Kenntnis von einer Rechtsschutzversicherung hat, auf etwaige erkennbaren Auswirkungen im Versicherungsverhältnis hinzuweisen (so etwa im Falle von bedingten Deckungszusagen o. ä.). Diese Verpflichtung trifft den Rechtsanwalt indes im Verhältnis zu seinen Mandanten, ohne eine irgend gelagerte „Drittschutzwirkung“ gegenüber dem Rechtsschutzversicherer.

Eine derartige Aufklärungspflichtverletzung des Rechtsanwalts steht hier unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme indes nicht wie erforderlich zur zweifelsfreien Überzeugung des Gerichts im Sinne von § 286 ZPO fest.

Zwar vermochte das Gericht den konkreten Inhalt der auf den Hinweisbeschluss des OLG Stuttgart vom 09.01.2017 hin durch den Rechtsanwalt erfolgten Belehrung gegenüber den Versicherungsnehmern der Rechtsschutzversicherung nicht mehr inhaltlich nachzuvollziehen. So war der zunächst als Zeuge benannte … noch im Vorfeld der Beweisaufnahme verstorben. Der Zeuge … hat betreffend die Aufklärung durch den Rechtsanwalt im Zusammenhang mit dem Hinweisbeschluss des OLG Stuttgart vom 09.01.2017 bekundet, lediglich über seinen verstorbenen Schwager … darüber informiert worden zu sein, der für sämtliche Versicherungsnehmer den Kontakt zum Rechtsanwalt gehalten habe. Dieser habe ihm mitgeteilt, dass es eine negative Rückmeldung des Gerichts gegeben habe. Man habe dennoch, da man eine Rechtsschutzversicherung hatte und deshalb keine Kosten erwartete, sich gemeinsam dazu entschieden, dass man die abschlägige Entscheidung haben wolle. Auch konnten die des Weiteren gehörten Zeuginnen … und …, die jeweils glaubhaft bekundet haben, an der anwaltlichen Beratung selbst nicht teilgenommen, diese vielmehr ihren Ehemännern, dem verstorbenen … sowie … überlassen zu haben, nicht zur Sache beitragen.

Unter Berücksichtigung dieser glaubhaften Einlassungen der Zeugen kann das Gericht nicht – wie erforderlich – zweifelsfrei annehmen, dass der Rechtsanwalt keine ordnungsgemäße Belehrung erteilt hätte. Insbesondere spricht Einiges dafür, dass jedenfalls die Mehrkosten einer streitigen Entscheidung zum Gegenstand der Erörterung gemacht wurden, ihre Hinnahme jedoch von den Versicherungsnehmern wegen des bestehenden Versicherungsschutzes explizit gewollt war.
Ein derartiges Verhalten ist indes nicht ungewöhnlich, mag es im Einzelfall durch sachliche Gründe gerechtfertigt (so etwa präjudizielle Wirkung der Entscheidung für weitere Geschäftsvorgänge o. ä.) oder einfach dem Umstand geschuldet sein, dass fremdes Geld (namentlich das des Rechtschutzversicherers) ohne „Rücksicht auf Verluste“ ausgegeben wird.

Amtsgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 22. Juli 2021 – 32 C 807/21 (92)

  1. vgl. BeckOK BGB/Fischer, 58. Ed. 1.5.2021, BGB § 675 Rn. 29 m. w. N.[]