Bekanntgabe eines Steuerbescheids an einen Bevollmächtigten – trotz Widerrufs der Vollmacht

Die wirksame Bekanntgabe eines an einen Bevollmächtigten adressierten schriftlichen Verwaltungsakts, der im Inland durch die Post übermittelt wird und diesem tatsächlich zugeht, ist nicht davon abhängig, dass die Außenvollmacht des Bevollmächtigten im Bekanntgabezeitpunkt noch besteht[1].

Bekanntgabe eines Steuerbescheids an einen Bevollmächtigten – trotz Widerrufs der Vollmacht

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall erließ das Finanzamt am 21.12.2021 (Dienstag) geänderte Einkommensteuerbescheide für 2014 und 2015. Diese führten zu einer Nachzahlung von Einkommensteuer. Der Kläger hatte für seine Einkommensteuerveranlagung eine Steuerberaterkanzlei bevollmächtigt. Die Vollmachtserteilung war seitens der Kanzlei am 25.03.2021 in die elektronische Vollmachtsdatenbank bei der örtlichen Steuerberaterkammer eingestellt und anschließend vollautomatisiert in das Steuerkonto des Klägers übernommen worden. Die Bevollmächtigung umfasste auch die Entgegennahme von Steuerbescheiden. Die Bekanntgabe der beiden Änderungsbescheide erfolgte an die Kanzlei. Dort gingen die Bescheide am 22.12.2021 (Mittwoch) ein. Zwischenzeitlich hatte der Kläger der Kanzlei das Mandat entzogen. Die Kanzlei löschte die Vollmacht in der Vollmachtsdatenbank am 22.12.2021 und leitete den Widerruf an das Finanzamt weiter. Die Information über den Widerruf der Bevollmächtigung ging beim Finanzamt am 23.12.2021 (Donnerstag) ein. Am 27.12.2021 wurde die Bevollmächtigung im Steuerkonto des Klägers gelöscht. Die Änderungsbescheide wurden von der Kanzlei an den Kläger per einfachem Brief weitergeleitet.

Der Kläger erhob am 19.07.2022 eine „Restitutionsklage“. Der Kläger brachte vor, die Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 vom 21.12.2021 nie erhalten zu haben. Die vom Kläger erhobene Klage hatte beim Sächsischen Finanzgericht Erfolg[2]. Das Finanzgericht kam zu dem Ergebnis, die Änderungsbescheide vom 21.12.2021 für die Jahre 2014 und 2015 seien nicht wirksam bekanntgegeben worden. Dem Finanzamt sei vor der Bekanntgabe der Widerruf der Vollmacht mitgeteilt worden. Ein schriftlicher Verwaltungsakt gelte bei Übermittlung im Inland am dritten Tag nach Aufgabe der Post als bekannt gegeben. Existenz und Wirksamkeit des Verwaltungsakts träten mithin erst mit Ablauf der Drei-Tages-Frist ein. Das Bekanntgabedatum der Einkommensteuerbescheide für 2014 und 2015 falle damit auf den 24.12.2021. Dem Finanzamt sei aber der Widerruf der Bevollmächtigung bereits einen Tag zuvor am 23.12.2021 mitgeteilt worden. Am 24.12.2021 habe daher keine wirksame Bekanntgabe an die Kanzlei mehr erfolgen können. Eine Heilung des Bekanntgabemangels durch Weiterleitung der Bescheide an den Kläger sei nicht eingetreten.

Auf die Revision des Finanzamtes hob der Bundesfinanzhof das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts und wies die Klage ab, denn das Finanzgericht habe in der Sache rechtsfehlerhaft eine wirksame Bekanntgabe der Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 jeweils mit Bescheiddatum 21.12.2021 verneint:

Die Klage war als Feststellungsklage zulässig.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist eine Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Verwaltungsakts wegen fehlender oder mangelhafter Bekanntgabe im Sinne von § 124 Abs. 1 Satz 1 AO zur Beseitigung des Rechtsscheins eines ordnungsgemäß bekannt gegebenen Verwaltungsakts statthaft. Die Klage richtet sich auf die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses im Sinne von § 41 Abs. 1 Halbsatz 1 Alternative 1 FGO[3]. Denn mit der Klage wird nicht die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts (§ 41 Abs. 1 Halbsatz 1 Alternative 2 FGO), sondern die Feststellung begehrt, dass der Verwaltungsakt nicht wirksam geworden und daher die beabsichtigte Regelung nicht erreicht habe[4]. Ein Vorverfahren ist nicht erforderlich.

Der Zulässigkeit der Klage steht auch nicht die Subsidiarität der Feststellungsklage gemäß § 41 Abs. 2 FGO entgegen. Gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 FGO kann eine Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt aufgrund der Rückausnahme in § 41 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird. Dies ist entsprechend auf die vorliegende Klage, die auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Bescheide mangels Bekanntgabe gerichtet ist, anzuwenden[5].

Nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird; er kann aber gemäß Satz 3 der Vorschrift auch gegenüber einem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden. § 122 Abs. 1 Satz 3 AO räumt der Finanzbehörde mithin ein Ermessen ein, ob sie den Verwaltungsakt an den Beteiligten oder an dessen Bevollmächtigten bekannt gibt.

Wird ein Steuerbescheid durch die Post übermittelt (§ 122 Abs. 2 AO), gilt er gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Der Bekanntgabevermutung gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO steht nicht entgegen, dass das Finanzamt nach der Aufgabe des Verwaltungsakts zur Post von einem Widerruf der Vollmacht durch den Steuerpflichtigen Kenntnis erlangt hat[6].

Nach § 80 Abs. 1 Satz 3 AO wird der Widerruf der Vollmacht der Finanzbehörde gegenüber (erst) wirksam, wenn er ihr zugeht. Bis zu diesem Zeitpunkt kann das Finanzamt noch wirksam Verfahrenshandlungen im Sinne von § 80 Abs. 1 Satz 2 AO gegenüber dem Bevollmächtigten vornehmen[7]. Daher ist die wirksame Bekanntgabe eines an einen Bevollmächtigten adressierten Verwaltungsakts, der durch die Post übermittelt wird, nicht davon abhängig, dass die Vollmacht auch bei Ablauf der Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO noch besteht[8].

Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, der die Bekanntgabe am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post ohne weitere tatbestandliche Voraussetzungen vermutet, es sei denn, der Verwaltungsakt ist nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen[9].

Gestützt wird dies weiter durch den Sinn und Zweck des § 80 Abs. 1 Satz 3 AO. Diese Regelung soll nach dem Willen des Gesetzesgebers der Rechtssicherheit des Finanzamtes dienen[10], damit dieses nicht im Nachhinein von dem Umstand einer nicht mehr existierenden Vollmacht überrascht wird. Die Behörde soll sich insoweit auf eine erteilte Vollmacht verlassen können, bis ihr der Widerruf der Vollmacht zugeht. Maßgeblich ist dabei der Zeitpunkt der letzten Behördenhandlung, hier also der Zeitpunkt der Aufgabe der Steuerbescheide zur Post[11]. Liegt zu diesem Zeitpunkt eine Vollmacht vor und geht der Verwaltungsakt dem Bevollmächtigten auch zu, liegt eine wirksame Bekanntgabe vor[12].

Für diese Auslegung spricht auch, dass für die gerichtliche Überprüfung einer Ermessensentscheidung -hier § 122 Abs. 1 Satz 3 AO- stets auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungshandlung abzustellen ist. Danach eintretende Umstände sind für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung daher regelmäßig nicht mehr heranzuziehen[13].

Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Sächsische Finanzgericht zu Unrecht die wirksame Bekanntgabe der Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 verneint. Die Einkommensteuerbescheide gelten der Kanzlei als Bekanntgabeadressatin am 24.12.2021 wirksam als bekanntgegeben (§ 122 Abs. 1 Satz 3 AO). Die Bescheide sind damit gegenüber dem Kläger als Inhaltsadressaten wirksam geworden (§ 124 Abs. 1 AO).

Fehlerhaft ist das Sächsische Finanzgericht davon ausgegangen, es spiele keine Rolle, dass die Kanzlei im Zeitpunkt der Absendung der geänderten Steuerbescheide noch Bevollmächtigte des Klägers gewesen sei. Die Einkommensteuerbescheide sind nach den Feststellungen des Finanzgerichtes am 21.12.2021 zur Post gegeben worden. Der Kläger hatte der Kanzlei im Zeitpunkt der Absendung am 21.12.2021 noch die Empfangsvollmacht für Steuerbescheide erteilt. Das Finanzamt hat damit das ihm gemäß § 122 Abs. 1 Satz 3 AO eingeräumte Ermessen, die geänderten Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 vom 21.12.2021 der Kanzlei als der Bevollmächtigten des Klägers anstatt dem Kläger selbst bekannt zu geben, fehlerfrei ausgeübt. Ein Ermessensfehler ist nach den Feststellungen des Finanzgerichtes nicht erkennbar. Die beiden Einkommensteuerbescheide gelten daher der Kanzlei als am 24.12.2021 bekanntgegeben (§ 108 Abs. 1 und § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO). Da der Heiligabend ein Werktag ist, kommt die Regelung des § 108 Abs. 3 AO nicht zur Anwendung[14].

Die Entscheidung des Finanzgerichtes war daher aufzuheben. Der Bundesfinanzhof entschied in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO) und wies die Klage ab, da sie unbegründet war.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 11. Juni 2024 – IX R 30/23

  1. Anschluss an BFH, Urteil vom 08.02.2024 – VI R 25/21[]
  2. Sächs. FG, Urteil vom 22.11.2022 – 6 K 709/22[]
  3. vgl. BFH, Beschluss vom 25.02.1999 – IV R 36/98, BFH/NV 1999, 1117, unter 2.; Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler -HHSp-, § 41 FGO Rz 69[]
  4. vgl. dazu v. Beckerath in Gosch, § 41 FGO Rz 56[]
  5. vgl. BFH, Urteil vom 09.12.2009 – X R 54/06, BFHE 228, 111, BStBl II 2010, 732, Rz 46; Krumm in Tipke/Kruse, § 41 FGO Rz 29[]
  6. vgl. BFH, Urteil vom 08.02.2024 – VI R 25/21, Rz 24 für eine Einspruchsentscheidung[]
  7. vgl. BFH, Urteile vom 14.11.2012 – II R 14/11, Rz 13; und vom 08.02.2024 – VI R 25/21, Rz 26[]
  8. vgl. BFH, Urteil vom 08.02.2024 – VI R 25/21, Rz 26 ff.; ebenso Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.08.2000 – 2 K 779/97 E, Entscheidungen der Finanzgerichte 2001, 154; Wernsmann in HHSp, § 80 AO Rz 169; Burbaum/Uphues, Deutsches Steuerrecht kurzgefaßt 2022, 56[]
  9. vgl. BFH, Urteil vom 08.02.2024 – VI R 25/21, Rz 27[]
  10. s. BT-Drs. VI/1982, S. 131[]
  11. vgl. BFH, Urteil vom 08.02.2024 – VI R 25/21, Rz 28; Wernsmann in HHSp, § 80 AO Rz 169[]
  12. vgl. BFH, Urteil vom 08.02.2024 – VI R 25/21, Rz 28, m.w.N.[]
  13. BFH, Urteil vom 08.02.2024 – VI R 25/21, Rz 29, m.w.N.[]
  14. vgl. Wernsmann in HHSp, § 108 AO Rz 127, m.w.N.[]