Die Beiordnung eines Notanwalts setzt voraus, dass die Rechtsverfolgung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. Aussichtslosigkeit besteht, wenn ein günstiges Ergebnis auch bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann.

Auf ihren Antrag kann einer Partei für ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesarbeitsgericht oder für einen entsprechenden Wiedereinsetzungsantrag ein zur Vertretung vor dem Bundesarbeitsgericht notwendiger Rechtsanwalt (§ 11 Abs. 4 Satz 1 ArbGG) beizuordnen sein, wenn sie keinen zu ihrer Vertretung bereiten Prozessvertreter findet (§ 72 Abs. 5 ArbGG iVm. §§ 555, 78b ZPO). Die Partei muss darlegen und glaubhaft machen, dass sie eine gewisse Anzahl von Rechtsanwälten vergeblich um die Übernahme eines Mandats ersucht hat[1]. Die Beiordnung eines Notanwalts setzt ferner voraus, dass die Rechtsverfolgung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint (§ 78b Abs. 1 ZPO). Aussichtslosigkeit besteht, wenn ein günstiges Ergebnis auch bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann[2].
Diese Voraussetzungen waren in dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall nicht gegeben :
Die Beiordnung eines Rechtsanwalts kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger anwaltlich vertreten wird. Der Kläger trägt nicht vor, dass er das Mandat seines Prozessbevollmächtigten gekündigt hat. Dieser hat mit seinen E‑Mails vom 05.12 2016 auch nicht das Mandat „faktisch niedergelegt“, wie der Kläger meint. Ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers von ihm ernsthaft eine höhere als bislang vereinbarte Vergütung verlangt hat, kann dahinstehen. Die vom Kläger vorgelegten E‑Mails, in denen sein Prozessbevollmächtigter zur Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde wegen Aussichtslosigkeit rät, um ihn so vor einer sicher zu erwartenden Blamage als „verbohrter Rechthaber“ zu schützen, verbunden mit der Ankündigung, dass er anderenfalls 600, 00 Euro Schmerzensgeld pro Stunde verlangen müsse, die er sich mit dem Fall weiter beschäftige, könnten auch als sarkastisch-ironische Bemerkung gedeutet werden. Selbst wenn man die E‑Mails des Prozessbevollmächtigten des Klägers als Forderung nach einer höheren Vergütung ansehen würde, käme dies einer Mandatsniederlegung nicht gleich. Vielmehr würde damit zum Ausdruck gebracht, dass der Prozessbevollmächtigte am Mandatsverhältnis festhalten will, aber eine höhere Gegenleistung verlangt. Das Festhalten des Prozessbevollmächtigten am Mandatsverhältnis wird im Übrigen auch dadurch dokumentiert, dass er in der Folgezeit die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen, also eine Prozesshandlung vorgenommen hat. Ob die Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde – wie der Kläger meint – weisungswidrig geschah, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, da es an der bestehenden anwaltlichen Vertretung des Klägers nichts ändern würde.
Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass die Bestellung eines Notanwalts nicht deshalb verlangt werden kann, weil der bisher zur Vertretung bereite Anwalt nicht willens war, eine Nichtzulassungsbeschwerdebegründung nach den Vorstellungen oder den Vorgaben der Partei zu fertigen, oder weil er das Rechtsmittel für aussichtslos hält. Dies stünde insbesondere im Widerspruch zur Eigenverantwortung des Rechtsanwalts und den mit einem Anwaltsprozess verfolgten Zwecken[3].
Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen kommt die Beiordnung eines Rechtsanwalts auch deshalb nicht in Betracht, weil die Rechtsverfolgung als aussichtslos erscheint.
Der Kläger begehrt die Beiordnung eines Rechtsanwalts, wobei er für das weitere Verfahren auf die Notwendigkeit eines Wiedereinsetzungsantrags hinweist. Dabei gibt er nicht klar zu erkennen, für welche versäumte Frist er einen Wiedereinsetzungsantrag beabsichtigt. Soweit seine Ausführungen iVm. der vorgelegten E‑Mail-Korrespondenz mit zahlreichen Rechtsanwälten so verstanden werden sollte, dass er einen Antrag auf Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Frist zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde beabsichtigt, wäre ein solcher Antrag aussichtslos. Der Kläger war ganz offenkundig nicht unverschuldet verhindert, die Notfrist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde einzuhalten. Denn mit dem am 17.10.2016 eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten hat er rechtzeitig Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Daran ändert die spätere Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde nichts, unbeschadet des Umstands, dass der Kläger diese Rücknahme für unwirksam hält. Auch eine gegebenenfalls irrtümliche oder weisungswidrige Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde wären kein Grund, für die erneute Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung zu gewähren. Insoweit würde ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten vorliegen, welches sich der Kläger zurechnen lassen müsste[4].
Auch ein etwaig beabsichtigter Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist wäre aussichtslos. Ein solcher Antrag könnte selbst bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nur dann mit Erfolg gestellt werden, wenn noch eine rechtzeitig eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde anhängig wäre. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist aber wirksam mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 05.12 2016 zurückgenommen worden.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers konnte die Nichtzulassungsbeschwerde unbeschadet einer angeblichen Mandatsniederlegung wirksam zurücknehmen. Die Prozessvollmacht ermächtigt zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen (§ 81 ZPO). Dazu gehört auch die Rücknahme eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs[5]. Es kommt nicht darauf an, ob der Prozessbevollmächtigte – wie der Kläger meint, zuvor sein Mandat „faktisch niedergelegt“ hat. Im vorliegenden Anwaltsprozess endet die erteilte Prozessvollmacht gemäß § 87 Abs. 1 ZPO erst durch die Anzeige der Bestellung eines neuen Anwalts[6].
Die Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde durch den Prozessbevollmächtigten ist wirksam. Auch wenn die Rücknahme weisungswidrig erfolgt sein sollte, steht dies ihrer Wirksamkeit als Prozesshandlung nicht entgegen[7]. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass Prozesshandlungen auch grundsätzlich weder angefochten noch widerrufen werden können. Eine analoge Anwendung der für privatrechtliche Willenserklärungen geltenden Anfechtungsregeln verbietet sich, weil das Prozessrecht die Verfahrenslage weitgehend vor Unsicherheit schützen will und deshalb einen Widerruf von Prozesshandlungen – namentlich solcher, die sich maßgeblich auf die Beendigung des Verfahrens auswirken – nur in Ausnahmefällen zulässt[8].
Eine Ausnahme hat die Rechtsprechung lediglich in einem Einzelfall zugelassen, in dem die Rücknahmeerklärung zu dem wirklichen Willen des Rechtsmittelführers in Widerspruch stand und der Irrtum des Prozessbevollmächtigten, auf dem die Erklärung beruhte, für den Rechtsmittelgegner und das Gericht ganz offensichtlich war[9]. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Jedenfalls für das Gericht war ein etwaig entgegenstehender Wille des Klägers zur Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde nicht erkennbar.
Soweit der Kläger eine Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung aus dem Umstand ableiten will, dass sein Prozessbevollmächtigter erkennbar in der Absicht gehandelt habe, ihm größtmöglichen Schaden zuzufügen, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Die angebliche Schädigung durch einen Prozessbevollmächtigten und daraus folgende Ansprüche wären in einem diesbezüglichen Schadensersatzprozess zu klären. Die Wirksamkeit der Prozesshandlung als solche würde ferner auch schon deshalb nicht infrage gestellt werden können, weil die behauptete Schädigungsabsicht des Prozessbevollmächtigten jedenfalls dem Gericht nicht erkennbar war.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 10. Januar 2017 – 10 AZN 938/16 (A)
- vgl. BFH 11.05.2007 – III S 37/06 (PKH), Rn. 6 ; 14.10.2002 – VI B 105/02 ; BGH 27.04.1995 – III ZB 4/95 ; BAG 28.12 2007 – 9 AS 5/07, BAGE 125, 230 ; 25.08.2014 – 8 AZN 226/14 (A), BAGE 149, 57[↩]
- vgl. BSG 29.03.2012 – B 14 AS 251/11 B, Rn. 5 ; BGH 6.07.1988 – IVb ZB 147/87, zu II 2 a der Gründe[↩]
- vgl. BGH 18.12 2012 – VIII ZR 239/12, Rn. 4 ; 18.12 2013 – III ZR 122/13, Rn. 12 ; 12.03.2014 – V ZR 253/13, Rn. 2[↩]
- vgl. BGH 2.04.1998 – V ZB 6/98, zu II 3 der Gründe[↩]
- vgl. BGH 2.12 1987 – IVb ZB 125/87, zu II 1 der Gründe[↩]
- vgl. BGH 25.04.2007 – XII ZR 58/06, Rn. 11 ; 18.07.2007 – XII ZB 162/06, Rn. 7[↩]
- vgl. BGH 2.04.1998 – V ZB 6/98, zu II 2 der Gründe ; 2.12 1987 – IVb ZB 125/87, zu II 1 der Gründe[↩]
- vgl. BGH 27.05.1981 – IVb ZR 589/80, zu I und II der Gründe, BGHZ 80, 389[↩]
- vgl. BGH 21.03.1977 – II ZB 5/77[↩]