Eine Anrechnung der Verfahrensgebühr des selbständigen Beweisverfahrens auf die Verfahrensgebühr des Hauptsacheverfahrens gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 5 VV RVG hat auch dann zu erfolgen, wenn die Antragstellerin des selbständigen Beweisverfahrens im Hauptsacheverfahren des Antragsgegners, in dem dieser seinen Werklohnanspruch einklagt, als Nebenintervenientin die im selbständigen Beweisverfahren festgestellten Mängel einwendet.

Die Anrechnungsvorschrift Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG bestimmt, dass die Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens auf die Verfahrensgebühr des Rechtszugs angerechnet wird, soweit der Gegenstand eines selbstständigen Beweisverfahrens auch Gegenstand des Rechtsstreits ist oder wird. Voraussetzung hierfür ist demnach, dass die Parteien und der Streitgegenstand des selbststän-digen Beweisverfahrens und des Hauptprozesses identisch sind[1].
Im hier entschiedenen Fall sind zunächst die Parteien identisch, weil die Antragstellerin des selbstständigen Beweisverfahrens die Beklagte, der Antragsgegner zu 1. der Kläger und der Antragsgegner zu 2. der Nebenintervenient des Hauptsache-verfahrens sind. Dass der Nebenintervenient grundsätzlich lediglich Gehilfe der unterstützten Partei ist, ohne selbst Partei des Verfahrens zu sein[2], ist im vorliegenden Fall unschädlich, weil der durch Beschluss gem. § 278 Abs. 6 ZPO festgestellte Vergleich unter seiner Beteiligung zustande gekommen ist und die gem. Ziff. 4 des Vergleichs auf der Grundlage von § 91 a ZPO getroffenen Kostenentscheidung vom 24.03.2015 eine anteilige Kostentragung bzgl. Rechtsstreit, selbstständigem Beweisverfahren und Vergleich auch durch den Nebenintervenienten vorsieht.
Doch auch der Gegenstand von selbstständigem Beweisverfahren und Hauptsacheverfahren ist vorliegend derselbe. Erfasst wird nicht nur der Fall, dass der Antragsteller eines selbstständigen Beweisverfahrens die in diesem Verfahren festgestellten Mängel bzw. einen Teil hiervon[3] zum Gegenstand einer Schadensersatzklage macht. Eine Identität der Streitgegenstände im Sinne der Anrechnungsvorschrift der Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG liegt auch vor, wenn sich das selbstständige Beweisverfahren auf die Rechtsverteidigung bezieht; eine derartige Konstellation lag bereits den früheren Beschlüssen des Oberlandesgerichts Rostock[4] zugrunde[5]. Eine Anrechnung hat also auch dann zu erfolgen, wenn wie im vorliegenden Fall die Antragstellerin des selbstständigen Beweisverfahrens im Hauptsacheverfahren des Antragsgegners, in dem dieser seinen Werklohnanspruch einklagt, als Nebenintervenientin die im selbstständigen Beweisverfahren festgestellten Mängel einwendet (zunächst hilfsweise zur geltend gemachten mangelnden Fälligkeit, nach Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht unbedingt im Wege der Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch wegen der Mängel).
Insoweit ist nicht auf den Begriff des Streitgegenstands im engeren zivilprozessualen Sinne[6] abzustellen. Das selbstständige Beweisverfahren dient ganz allgemein der Beweissicherung für einen Rechtsstreit, an dem Antragsteller und Antragsgegner jeweils auf Kläger- oder Beklagtenseite beteiligt sein können; es ist sowohl dann zulässig, wenn es Grundlage für Ansprüche des Antragstellers ist, als auch dann, wenn damit Ansprüche des Antragsgegners abgewehrt werden sollen[7]. Auch dann, wenn ein Hauptsacheverfahren mit umgekehrten Parteirollen gegenüber dem selbständigen Beweisverfahren geführt wird, können in diesem die gesicherten Beweise in gleicher Weise verwertet werden. Auch wenn also – wie hier – die Beweiserhebung im selbstständigen Beweisverfahren nur die Grundlage für Einwendungen oder Einreden bildet, ist der Anwendungsbereich der Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG eröffnet.
Dies entspricht dem Sinn und Zweck der Norm, die dem Rechnung trägt, dass der Rechtsanwalt über die Vertretung der Partei im selbstständigen Beweisverfahren derart eingearbeitet ist, dass die mit der Verfahrensgebühr im Hauptsacheverfahren abzugeltenden Tätigkeiten bereits abgegolten sind[8]. Dann ist es aber unerheblich, ob die Parteirollen im Hauptsacheverfahren dieselben wie im selbstständigen Beweisverfahren sind oder ob sie umgekehrt sind, solange das Beweisergebnis für den Angriff oder auch für die Verteidigung im Hauptsacheverfahren von Belang ist.
Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 8. September 2015 – 2 W 193/15
- std. Rspr., vgl. BGH NJW 2013, 648 f.; NJW-RR 2006, 810 f.; jeweils m. w. N.[↩]
- vgl. BGH NJW 2013, 648 f.[↩]
- vgl. BGH NJW-RR 2006, 810 f.[↩]
- OLG Rostock, Beschlüsse vom 30.01.2009 – 2 W 32/09, BauR 2009, 1180 f.; sowie vom 03.11.2009 – 2 W 310/09[↩]
- ebenso OLG Nürnberg JurBüro 1996, 35; OLG München JurBüro 2009, 475 f.; Zöller-Herget, ZPO, 30. Aufl., § 91 Rz. 13 Stichwort: „Selbstständiges Beweisverfahren“; grundsätzlich ebenso: OLG Hamburg JurBüro 1989, 976[↩]
- vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., Rz. 60 ff.[↩]
- vgl. Zöller-Herget, ZPO, 30. Auflage, § 485 Rz. 1[↩]
- OLG Koblenz JurBüro 2012, 76 f.[↩]